In Schreibgewittern mit Corinna Gerhards

by Satzhüterin Pia

Das Bre­mer Vier­tel. Eine gemüt­li­che, kleine Küche in einem typi­schen Bre­mer Alt­bau. Satz­hü­te­rin Pia war zu Besuch bei Corinna Ger­hards. Den Lebens­lauf lesend könnte man mit einem alten Men­schen rech­nen, der viele Jahre hatte, im Leben eini­ges aus­zu­pro­bie­ren und zu erle­ben. Corinna Ger­hards hat dies in sehr viel kür­ze­rer Zeit geschafft.

„Ich bezeichne mich als Autorin, weil ich vom Schrei­ben und Lesen leben kann.“

Corinna ist mir nicht unbe­kannt. In mei­nem Bache­lor­stu­dium lernte ich die ener­gie­ge­la­dene, große Frau mit den schwar­zen Haa­ren durch ihr Gene­ral-Stu­dies-Semi­nar mit dem Titel „Krea­ti­ves Schrei­ben: In Schreib­ge­wit­tern“ ken­nen. Der Kon­takt besteht bis heute. In Schreib­ge­wit­tern, das trifft den Nagel auf den Kopf.

Ein herz­li­ches Lachen auf meine Frage nach ihrem Lebens­lauf: „Wie viel Zeit hast du denn?“ Ich werde neu­gie­rig und bitte um die Kurz­fas­sung, die mich beein­druckt: Tisch­le­rin, Maschi­nis­tin, frei­schaf­fende Künst­le­rin durch Europa rei­send, Deutsch­leh­re­rin in einer ami­schen Schule in Michigan/USA, Pro­jekt- und Team­lei­te­rin in der Markt­for­schung, Selbst­stän­dige im Ein­zel­han­del, Stu­den­tin der Ger­ma­nis­tik, Kul­tur­wis­sen­schaf­ten und Phi­lo­so­phie, Lehr­be­auf­tragte und Dozen­tin der Uni Bre­men, Redak­teu­rin, frei­schaf­fende Autorin und Dreh­buch­au­torin, außer­dem Mut­ter. „Ich kann nur so schrei­ben, wie ich jetzt schreibe, eben weil ich so viel gemacht und gese­hen habe“, erzählt sie mir und ich glaube es sofort. 2011 ver­öf­fent­licht sie ihr Kin­der­buch „Mond­läu­fer“ und bekommt das Autoren­sti­pen­dium Bremen.

„Hier habe ich das erste Mal gemerkt, dass ich auch ein Buch schrei­ben kann.“

Gleich­zei­tig kommt sie von der Idee „Jour­na­lis­mus“ ab. Auf Dauer ist die Arbeit für Corinna doch zu ein­tö­nig, die Texte sol­len zu sehr fremd­be­stimmt geschrie­ben wer­den, als dass sie es in Voll­zeit machen möchte. Die Zahl der Autorin­nen und Autoren, die durch Ver­öf­fent­li­chun­gen leben kön­nen, ist jedoch ver­schwin­dend gering. „Dann bekam ich von Ute [Sie­werts, Anm. d. Red.] den Tipp, beim Dreh­buch­se­mi­nar mit­zu­ma­chen, was ich erst ganz furcht­bar fand. Es war so anders als alles, was ich bis­her gewohnt war zu schrei­ben“, erin­nert Corinna sich. Die Bre­mer Uni­ver­si­täts­lek­to­rin mag bei Corinna mit ihrem Vor­schlag nicht sofort auf Begeis­te­rung gesto­ßen sein, soll aber Recht behal­ten. Es fol­gen wei­tere Semi­nare in Ber­lin und es macht nicht nur immer mehr Spaß, son­dern es lässt sich auch Geld damit verdienen.

Ihre kri­ti­sche Art kann sie als Manu­skript­kri­ti­ke­rin aus­le­ben und erzählt von einer kur­zen Zeit der Hem­mung: „Bekom­men das die Autoren eigent­lich auch zu lesen? – Nein. – Oh, gut, dann kann ich ja so wei­ter­schrei­ben.“ Sie lacht und dreht sich noch eine Zigarette.

„Dead­lines dik­tie­ren oft den Tag.“

„Die eigene Orga­ni­sa­tion ist schwie­rig. Die krasse Struk­tur des Tages fehlt bei mir, aber es funk­tio­niert für mich ein­fach nicht. Statt­des­sen dik­tie­ren Dead­lines oft den Tag. Und die eigene Stim­mung, die mir sagt, wor­auf ich gerade Lust habe“, ver­rät Corinna mir. Eine Situa­tion, mit der sich viele Stu­die­rende iden­ti­fi­zie­ren dürf­ten, denn auch hier gilt es, sich selbst best­mög­lich im Home­of­fice zu struk­tu­rie­ren. „Ich muss mich auch sehr nach Jonas rich­ten.“ Ihr 15-jäh­ri­ger Sohn schaut wäh­rend des Inter­views immer mal in der Küche vor­bei. Ganz wie seine Mut­ter ist auch er krea­tiv und sam­melt bereits erste Erfah­run­gen im Filmgeschäft.

Eines der gemein­sa­men Kurz­film­pro­jekte ent­stand von der Idee bis zur Voll­endung in 99 Stun­den: „Sun­scream“, ein No-Bud­get-Pro­jekt, geschaf­fen von vier Per­so­nen. „Ich habe mit einem Freund ‚Nos­fe­ratu‘ gese­hen und wir muss­ten dazu ein­fach einen Kurz­film machen“, lacht Corinna in Erin­ne­rung an den wit­zi­gen 3‑Mi­nu­ten-Film über Vam­pire, die heut­zu­tage schnell von Ver­ein­sa­mung und Depres­sion betrof­fen seien, aber eigent­lich nur ein ganz nor­ma­les Leben füh­ren wol­len. Noch gibt es kei­nen fer­tig­ge­stell­ten Spiel­film aus der Feder der 39-Jäh­ri­gen. „Lang­film­pro­jekte dau­ern halt so lange, von Idee über Ent­wick­lung bis zum fer­ti­gen Film kann es zwi­schen vier und sie­ben Jah­ren dau­ern“, erklärt Corinna. Kurz­filme brin­gen viel schnel­ler Ergeb­nisse, wes­we­gen sie diese immer wie­der und wie­der gerne mache. Auch wenn es ein No-Bud­get-Pro­jekt wie ‚Sun­scream‘ ist. Obwohl, No-Bud­get stimme nicht ganz: „Wir haben ein bil­li­ges Vam­pir-Gebiss gekauft.“

„Ein Voll­zeit­krea­ti­ver-Tag liegt eigent­lich bei etwa 4,5 Stunden.“

Statt­des­sen kommt Corinna oft auf 15 Stun­den-Tage. „Der All­tag ist Arbeit, Wochen­en­den habe ich nicht. Manch­mal habe ich den­noch das Gefühl, ich arbeite gar nicht rich­tig.“ Des­we­gen beginne sie den Tag auch lie­ber mit den Hän­den, bevor dann der Kopf dran sei. Nur mit dem Haus­halt pro­kras­ti­niere sie lei­der nicht – und sieht sich lachend in der Küche um. Ich mag die künst­le­risch anmu­tende Küche auch mit den drei Spinn­we­ben an der hohen Decke.

Aus den Serien und Fil­men, die sie wäh­rend hand­werk­li­cher Tätig­kei­ten schaut, nimmt sie viele neue Impulse mit: „Es geht ein­fach darum, neue Wel­ten auf­zu­ma­chen. Nicht darum, Sze­nen zu über­neh­men.“ Und was braucht es noch, um all der gefor­der­ten Krea­ti­vi­tät nach­kom­men zu kön­nen? „Viele Wein­abende mit Freun­den!“, grinst Corinna und wird wie­der erns­ter. „Ganz wich­tig ist das Her­um­spin­nen mit Freun­den. Zum Dran­rei­ben. Man braucht einen ‚Spa­ring-Part­ner‘, der mit­macht und dich weiterbringt.“

„Beim U‑Bahnfahren in Ber­lin fin­det man die bes­ten Charaktere.“

Ein­mal sei sie dafür extra Run­den gefah­ren, auf dem Schoß immer das obli­ga­to­ri­sche Notiz­buch lie­gend. Ich will schon mit der nächs­ten Frage wei­ter­ma­chen, als Corinna noch was ein­fällt: „Ach ja! Und Yahoo News! Wenn du mal einen Krimi schrei­ben willst, schau auf die Yahoo News.“ Ein Blick auf besagte Inter­net­seite zeigt: Die­ser Tipp ist erschre­ckend gut!

Jetzt habe ich also erste Ideen – und nun? Was müs­sen ange­hende AutorIn­nen oder Dreh­buch­au­torIn­nen denn eigent­lich mit­brin­gen? Die Ant­wort folgt unmit­tel­bar auf meine Frage: „Man muss gucken kön­nen. Man muss die Geschich­ten sehen kön­nen. Das Gespür für Wör­ter kann man ler­nen, die Men­schen auf der Straße, die klei­nen Sze­nen, die muss man sehen kön­nen. Man muss raus­ge­hen und die Geschich­ten ein­fach sehen kön­nen.“ Und genau so habe es bei ihr begon­nen. „Ich habe ange­fan­gen zu schrei­ben, weil ich nicht malen kann. Ich habe die Geschich­ten gese­hen, aber ich konnte nur das Abbild malen. Beim Schrei­ben bekomme ich diese zweite Ebene, das was eigent­lich hin­ter dem liegt, was man offen­sicht­lich sieht, hin. Da wurde mir klar, dass das meine Kunst ist.“

Ich merke Corinna an, dass sie sich dar­über schon häu­fi­ger Gedan­ken gemacht hat. Das Thema ist ihrs! Ihre Moti­va­tion? „Ein biss­chen auch, um die Welt zu ver­än­dern und wenn es nur ein klei­nes biss­chen ist. Der Gedanke daran, etwas in Men­schen bewe­gen zu kön­nen. Und wenn es nur ein Kind ist, was meine Geschichte liebt. Dann habe ich es schon geschafft.“ Und im Film sei das natür­lich noch intensiver.

„Ich habe neben Heike Makatsch gepinkelt.“

Apro­pos Film. Wenn man regel­mä­ßig auf gro­ßen Film­fes­ti­vals her­um­läuft, gibt es doch sicher­lich schöne Anek­do­ten, oder? „Puh!“, ist die spon­tane erste Reak­tion von Corinna. Sie lehnt sich auf dem nied­ri­gen, gepols­ter­ten Stuhl zurück und über­legt. „Ich renne regel­mä­ßig Tom Schil­ling um. Er ist aber auch soooo klein und ein­fach auf jeder Party.“ Ihr ent­schul­di­gen­der Blick bringt mich erneut zum Lachen. Aber alles in allem sei es irgend­wann ein­fach sehr nor­mal, all die­sen klei­ne­ren und grö­ße­ren Pro­mi­nen­ten zu begeg­nen. Und nicht weni­ger span­nend seien die vie­len Begeg­nun­gen mit Autorin­nen und Autoren: „Irgend­wann mach ich noch mal ‘ne Reihe ‚Auf ein Bier mit…‘, weil ich schon mit so vie­len Autoren einen trin­ken war.“ Bei einer Lesung von Kai Meyer im März 2014 zu sei­nem Buch „Phan­tas­men“ wäre ich bei­nahe noch mit­ge­gan­gen. Es scheint eine lus­tige, lange Nacht gewor­den zu sein. Ärger­lich für mich!

Ver­mut­lich hat auch die eine oder andere Begeg­nung die­ser Art für Inspi­ra­tion von Figu­ren gesorgt. Gibt es aktu­ell eine Lieb­lings­fi­gur? Auch hier muss Corinna erst über­le­gen: „Ich arbeite an so vie­len Pro­jek­ten gleich­zei­tig, dass ich manch­mal sogar die Figu­ren durch­ein­an­der bringe. Die leben alle in dei­nem Kopf!“ Beson­ders gerne habe sie aber nach wie vor die Figur „Dschäck Ohne­bohne“ aus ihrer Fort­set­zungs­ge­schichte in der „Kin­der­zeit“.

„Lei­den­schaft, Spaß, man muss es wirk­lich wollen!“

Ein eige­nes Buch zu schrei­ben ist der Traum vie­ler Men­schen. Der Gedanke, einen bes­se­ren als den letz­ten, ent­täu­schen­den Film zu schrei­ben, kommt so ziem­lich nach jedem schlech­ten Kino­be­such auf. Wie oft mokiere ich mich selbst über grau­sige Dia­loge! Und trotz­dem: Warum schreibt man dann doch wie­der kein Buch? Ich frage nach Tipps, die ich auch bekomme: „Ein­fach machen. Nicht irgend­wann mal, son­dern machen. Den Zen­sor aus­stel­len, ein­fach mal was run­ter­schrei­ben und Ver­bes­se­run­gen erst danach ange­hen. Zuerst muss man die Illu­sion der Per­fek­tion von Anfang an los­wer­den.“ Eine Vari­ante, seine Hem­mun­gen abzu­stel­len und den Gedan­ken­strom zuzu­las­sen, ist der „NaNo­WriMo – der Natio­nal Novel Wri­ting Month“, also in einem Monat, genauer im Novem­ber, ein Buch zu schrei­ben. Bei durch­schnitt­lich 1.667 Wör­tern am Tag kann man es sich nicht leis­ten, über jeden Satz lange nach­zu­den­ken. Und genau das ist auch der Sinn die­ses krea­ti­ven Schreib­pro­jekts: Ein­fach losschreiben.

„Nicht alle fin­den alles gut.“

Um die Moti­va­tion nicht zu ver­lie­ren, gibt Corinna noch einen Tipp: „Man sollte sich nicht zu sehr von ande­ren Men­schen her­un­ter­re­den las­sen. Nicht alle fin­den alles gut. Es muss dir gefal­len.“ Und nie­mals das Notiz­buch ver­ges­sen! An die­sen Tipp erin­nere ich mich selbst noch aus ihrem Semi­nar vor zwei Jah­ren. Genauso wie die klei­nen, wenige Minu­ten umfas­sen­den Schreib­übun­gen zu einem bestimm­ten Begriff. Hier­bei gilt es, den Kopf aus‑, den Stift ein­zu­schal­ten. Es geht darum, sich in Schreib­ge­wit­ter fal­len zu las­sen. Die Worte, von denen man nicht ein­mal weiß, dass sie in einem ste­cken, her­aus­zu­las­sen. Ob quan­ti­ta­tiv oder doch qua­li­ta­tiv aus­ge­rich­tet: Corinna Ger­hards lebt in Schreibgewittern.

Auf dem Bre­mer Film­fes­ti­val am 24. und 25. Sep­tem­ber konn­ten Zuschauer den sie­ben­mi­nü­ti­gen Film „Hold it (AT)“ von Corinna in der Kate­go­rie „Kurz & Gut, Teil 1 – Kurz­filme bis 15 Minu­ten“ erle­ben. Bei der deutsch-ukrai­ni­schen Pro­duk­tion über­nahm sie zusätz­lich zum Dreh­buch neben Leon Pietsch die Regie. Außer­dem kann man ihre Arbeit bald bei „Sie­ben­stein“, einer TV-Kin­der­se­rie vom ZDF, wie­der­fin­den. Corinna bekam den Zuschlag für einen Ani­ma­ti­ons­film in einer Folge. Sicher­lich inspi­riert und berührt sie damit noch die eine oder andere Kin­der­seele: „Denn du weißt nie, wo die Geschichte noch hinkommt.“

Die­ser Bei­trag ist erst­mals im Uni­ma­ga­zin Schein­Wer­fer erschienen.

Fotos: pri­vat

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr