Ein (fast) perfekter Mord: „Irrational Man“ im Literarischen Duett

by Worteweberin Annika

Will­kom­men zum bücher­städ­ti­schen „Lite­ra­ri­schen Duett“! Anläss­lich unse­res Spe­cials #phi­lo­so­phie­stadt geht es in der heu­ti­gen Sen­dung um Woody Allens Film „Irra­tio­nal Man“. Stadt­be­su­cher Chris­tian und Worte­we­be­rin Annika phi­lo­so­phie­ren dar­über, wann ein Mord eigent­lich gerecht­fer­tigt ist, und wel­che Fol­gen er haben kann.

WA: Ok, dann erzähl doch zum Ein­stieg mal, worum es in die­sem Film geht.

SC: Es geht um einen Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor, Abe heißt er – oder ist er eigent­lich Phi­lo­soph, und nimmt nur eine Dozen­ten­stelle an?

WA: Ja, ich glaube, er ist eigent­lich Phi­lo­soph, aber er hat seit eini­ger Zeit Pro­bleme, noch was zu Papier zu brin­gen, seine Gedan­ken sind eigent­lich vor allem destruk­tiv und vom Alko­hol vernebelt…

SC: Jeden­falls nimmt er die Stelle an der Uni an, weil sein Leben irgend­wie aus dem Ruder gelau­fen ist und er in einer ganz schö­nen Mid-Life-Cri­sis steckt. Die Stelle soll ihm hel­fen, auf Kurs zu kommen.

WA: Und ich glaube, er braucht auch ein­fach das Geld, obwohl er eigent­lich keine Lust auf die Stu­die­ren­den hat und dar­auf, über­haupt mit ande­ren in Kon­takt zu kommen.

SC: Dann freun­det er sich am Col­lege mit einer Stu­den­tin an, Jill, gespielt von Emma Stone. Sie ist ganz begeis­tert von sei­nem Semi­nar und spricht ihn schließ­lich an.

WA: Abe stellt dann fest, dass Jill klü­ger als die ande­ren ist, er sucht ihre Gesell­schaft und ihre Freund­schaft. Wobei es für sie mehr als Freund­schaft ist, auch wenn sie das anfangs nicht unbe­dingt möchte, denn sie hat einen Freund.

SC: Stimmt, aber das ist ja nur ein Strang der Neben­hand­lung. Eigent­lich geht es darum, dass die bei­den in einem Restau­rant ein Gespräch belau­schen, von einer Mut­ter, der das Sor­ge­recht ent­zo­gen wer­den soll, obwohl sich der Vater gar nicht um die Kin­der küm­mert. Der Rich­ter ist aber befan­gen und die Mut­ter ist des­we­gen sicher, dass er falsch han­deln wird. Dann keimt in unse­rem klei­nen Phi­lo­so­phen die Idee, dass er den Rich­ter ein­fach umbrin­gen könnte, um das Pro­blem so aus der Welt zu schaffen.

WA: Er beginnt Pläne für den „per­fek­ten Mord“ zu schmie­den, beob­ach­tet die­sen Rich­ter lange, und gleich­zei­tig blüht er immer mehr auf. Er kann wie­der Bezie­hun­gen ein­ge­hen, sogar wie­der klar den­ken und wirkt auch sonst zugänglicher…

SC: …weil er sich plötz­lich wie­der leben­dig fühlt, und denkt, er würde end­lich wie­der etwas Sinn­vol­les machen. Mit dem Mord glaubt er, im Klei­nen einen direk­ten Ein­fluss aufs Schick­sal zu haben und die Welt etwas bes­ser machen zu kön­nen. Aber es darf natür­lich ange­zwei­felt wer­den, ob man die Welt bes­ser macht, wenn man jeman­den umbringt.

WA: Ein guter Punkt! Ist das nicht die Frage nach dem kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv von Kant auf der einen Seite, und auf der ande­ren der Uti­li­ta­ris­mus? Ent­we­der darf man nie töten, weil töten immer schlecht ist, oder man darf es aus guten Grün­den tun, wenn man die Welt dadurch bes­ser macht. Ich meine, so in der Art haben wir das in der Schule gelernt, aber ich würde jetzt nicht dar­auf pochen. Doch egal, wie das jetzt in der Phi­lo­so­phie heißt, die Frage nach der Moral von Abes Mord bleibt. Die Stu­den­tin fin­det auf jeden Fall falsch, was er da gemacht hat, als sie es dann rausbekommt.

SC: Genau, sie sagt ihm, er soll sich stel­len. Und dann ver­spricht er ihr es auch, denn es würde sonst jemand ande­res für ihn ver­ur­teilt, der unschul­dig ist. Sonst wäre es Jill glaube ich auch nicht so wich­tig gewe­sen, dass Abe sich stellt.

WA: Ich glaube aber schon, dass sie es gene­rell schlimm fin­det, dass er gemor­det hat. Auf mich wirkte sie extrem erschüttert.

SC: Aber es ändert für sie trotz­dem die Situa­tion, immer­hin müsste sonst jemand Unschul­di­ges ins Gefängnis.

WA: Was ich an dem Mord auf jeden Fall falsch finde, ist, dass der Pro­fes­sor, Abe, es zwar vor­der­grün­dig für das Wohl die­ser Mut­ter tut, letzt­end­lich inter­es­siert er sich spä­ter aber gar nicht dafür, wie der Fall ent­schie­den wird. Es geht ihm vor Allem um sich selbst, plötz­lich fühlt er sich toll, kann sich wie­der auf Frauen ein­las­sen. Der Mord ist für ihn wie ein Heilmittel.

SC: Ich finde es auch ziem­lich zwei­fel­haft, dass gerade diese Sach­lage einen Mord recht­fer­ti­gen soll. Das könnte man auch auf ande­rem juris­ti­schen Weg aus der Welt schaf­fen. Der Pro­fes­sor könnte ja auch an die Öffent­lich­keit gehen und von dem Fall erzäh­len, er hat immer­hin mehr Ein­fluss als die Mut­ter des Kindes.

WA: Und so exis­ten­ti­ell ist das Pro­blem der Frau ja dann auch nicht. Natür­lich wäre es schreck­lich, wenn sie das Sor­ge­recht ver­liert, aber der Rich­ter ist ja trotz­dem kein Ver­bre­cher wie Hit­ler, der das Leben Tau­sen­der bedro­hen würde. Wenn man alle Men­schen umbrin­gen würde, die irgend­wie mora­lisch ver­werf­lich han­deln, wären nicht mehr beson­ders viele Leute übrig. Das allein reicht als Kri­te­rium also finde ich nicht aus.

SC: Aber man kann ja vor­her auch nicht wis­sen, was noch pas­sie­ren wird. Das ist irgend­wie das Pro­blem, wenn man jeman­den umbrin­gen will, nur um mehr Tote zu ver­hin­dern zum Bei­spiel: Man sieht das Ende nicht. Gerade bei dem Rich­ter ist es nur eine Mut­ma­ßung, was er getan haben könnte, wenn er nicht umge­bracht wor­den wäre.

WA: Stimmt natür­lich. Ich habe mal gele­sen: Das Leben ist eine Lot­te­rie, bei der man nur die Gewin­ner sieht. So ähn­lich ist es hier natür­lich auch. In dem Moment, wo Abe sich ent­schei­det, den Rich­ter zu töten, sind alle Kar­ten sozu­sa­gen neu gemischt. Hast du dir eigent­lich beim Schauen schon Gedan­ken dar­über gemacht?

SC: Eigent­lich nicht so direkt. Am Anfang konnte ich noch nach­voll­zie­hen, was Abe tut, aber dann hat er sich immer mehr zum Ant­ago­nis­ten ent­wi­ckelt. Sein mora­li­scher Stand­punkt ist immer dün­ner gewor­den und dann kom­plett in unethi­sches Ver­hal­ten umgeschlagen.

WA: Ich konnte ihn von Anfang an nicht so rich­tig lei­den, was aber glaube ich erst weni­ger an sei­nem mora­li­schen Stand­punkt lag, denn den kannte man da ja noch nicht. Aber seine Figur ist so abge­ris­sen, so am Ende, und dann zieht er Jill da immer wei­ter mit rein. Auch wenn das wie gesagt nicht der Fokus der Geschichte ist, finde ich es doch wich­tig. Sie weiß nicht, wor­auf sie sich ein­lässt, aber Abe weiß, was er für ein Mensch ist und könnte sie von sich fern­hal­ten. Er ver­sucht das zwar auch halb­her­zig, aber natür­lich erfolg­los. Das mochte ich von Anfang an nicht.

SC: Ich fand es aber gut, dass er für Leute ein­tre­ten wollte, die sich selbst nicht hel­fen kön­nen, auch wenn die Wahl der Mit­tel viel­leicht nicht ange­mes­sen ist. Aber am Ende will er sich nur noch selbst aus der Schlinge zie­hen, das hat auch nichts mehr mit edlen Zie­len zu tun. Das ist ein defi­ni­ti­ves Cha­rak­te­ris­ti­kum für einen Mord, heim­tü­ckisch und aus nie­de­ren Beweggründen.

WA: Stimmt, eigent­lich wäre es mora­lisch noch in Ord­nung gewe­sen, wenn er sich am Ende ein­fach gestellt hätte. Für den Fall der Frau hätte das ja nichts geän­dert, aber es hätte gezeigt, dass es Abe nicht nur um sich selbst geht. Statt­des­sen plant er aber einen wei­te­ren Mord zur Ver­tu­schung, aber da soll­ten wir wohl nicht zu viel verraten.

SC: Wenn er alles zuge­ge­ben hätte, wäre es viel­leicht sogar nur Tot­schlag gewe­sen, das weiß ich nicht genau, aber auf jeden Fall hatte er da noch ganz gute Gründe.

WA: Das stimmt, die Moral­frage ist irgend­wie ziem­lich kom­plex, aber ich glaube, für uns haben wir sie beant­wor­tet. Und wie hat dir Film gene­rell gefallen?

SC: Ganz gut! Ich mag Woody-Allen-Filme, sie sind nicht so auf­re­gend, es knallt nicht so viel, aber sie sind schön anzu­schauen. Meis­tens ver­wen­det er pas­tell­far­bene Bil­der, fast wie ein Gemälde.

WA: Stimmt, das ist mir auch in ande­ren sei­ner Filme auf­ge­fal­len. Dabei ist das bei „Irra­tio­nal Man“ schon erstaun­lich. Der Kon­trast zwi­schen den hel­len Bil­dern und dem per­fi­den Plan und der düs­te­ren Gedan­ken­welt von Abe ist ja ziem­lich groß.

SC: Ja, man erkennt da eine klare Linie in den Fil­men. Man kann sie schön anschauen, aber trotz­dem bleibt es span­nend, auch wenn die Hand­lung etwas dahin­plät­schert. Das ist anspruchs­voll, aber ohne, dass das ganze Wohn­zim­mer wackelt. Was er sagen möchte, ist schön ver­dich­tet und in schö­nen Bil­dern erzählt.

WA: Unauf­ge­regt erzählt, das würde ich auch sagen. Und gleich­zei­tig hat er uns gut zum Nach­den­ken gebracht. Ich habe jeden­falls auch schon beim Schauen dar­über nach­ge­dacht, ab wel­chem Punkt Abes Ver­hal­ten nicht mehr in Ord­nung ist und mit­ge­fie­bert. Das liegt glaube ich auch an den Figu­ren, die haben Tiefe und sind nicht total ste­reo­typ. Also ich würde sagen, ein emp­feh­lens­wer­ter Film, der unter­hält, und hin­ter dem trotz­dem eine ganze Menge steckt!

Und damit ist unsere Sen­de­zeit vor­bei! Wir hof­fen, unser Publi­kum konnte einen Ein­blick in unser heu­ti­ges Werk erhal­ten und schal­tet auch das nächste Mal wie­der ein, wenn es heißt: das Lite­ra­ri­sche Duett in der Bücherstadt!

Irra­tio­nal Man. Regie & Dreh­buch: Woody Allen. J. Phoe­nix, E. Stone. War­ner Bros. 2015. USA. (95 Minu­ten.) FSK 12.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #phi­lo­so­phie­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike, Film­bil­der: War­ner Bros.

Live aus der Bücher­stadt: Akram El-Bahay im Lite­ra­ri­schen Duett

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