Iwan Gontscharow: Oblomow

by Bücherstadt Kurier

„Erin­ne­run­gen sind ent­we­der höchste Poe­sie, wenn sie Erin­ne­run­gen an ein leben­di­ges Glück sind, oder bren­nen­der Schmerz, wenn sie an ver­schorfte Wun­den rühren.“

Der Guts­be­sit­zer Ilja Iljitsch Oblo­mow ist auf­grund sei­ner mate­ri­el­len Sicher­heit in der Lage sich sei­nem Däm­mer­zu­stand und sei­ner Schläf­rig­keit hin­zu­ge­ben und sich trotz gro­ßen Intel­lekts der Pro­kras­ti­na­tion hin­zu­ge­ben. Briefe tref­fen ein, der All­tag muss bewäl­tigt wer­den, sein Gut gepflegt wer­den, doch Oblo­mow ist der Schnell­le­big­keit immer weni­ger gewach­sen und ver­langt nach Auf­schub – bis es not­ge­drun­gen unum­gäng­lich ist.

Der mür­ri­sche Die­ner Sachar ist ebenso keine große Hilfe im Haus­halt, doch gehört er nun ein­mal zur Fami­lie und besitzt kein so schlech­tes Herz, wie er im ers­ten Blick zu den­ken lässt. An einem Tag, als der Phleg­ma­ti­ker Oblo­mow sei­nen Müßig­gang bis aufs Äußerste aus­reizt, tritt der Jugend­freund Stolz in die Hand­lung ein. Der völ­lig gegen­sätz­li­che Cha­rak­ter ist arbeit­sam, tugend­haft, nichts könnte sie beide ver­ei­nen, doch eine gemein­same Ver­gan­gen­heit und die uner­mess­li­che Liebe zu sei­nem trä­gen Freund zieht Letz­te­ren aus dem Sumpf der Untä­tig­keit hin­ein in die Gesell­schaft und stellt ihm die junge Olga vor.

Olga ver­mag Ilja Iljitsch auf dem Land zu beschäf­ti­gen, regt sei­nen Geist an, jedoch auch sein Herz. Sie ver­lie­ben sich inein­an­der, wol­len sich ver­mäh­len, doch Oblo­mows Lethar­gie siegt über die Hei­rats­pläne und er kehrt in stil­lem Ein­ver­neh­men in sei­nen Däm­mer­zu­stand zurück, wird von ande­ren Neben­cha­rak­te­ren um sein Geld betro­gen, Stolz regelt aber­mals sein Leben. Jedoch ret­tet dies Oblo­mow nicht.

Anfäng­lich muss der Leser sich behü­ten, dass die Lethar­gie des Oblo­mow nicht auf ihn über­greift, denn um den Cha­rak­ter und des­sen Ent­wick­lung zu ver­ste­hen, ist es unab­ding­bar den Müßig­gang mit all sei­nen Details zu ver­in­ner­li­chen – auch wenn es in Anbe­tracht der fol­gen­den 600 Sei­ten zeit­wei­lig träge stimmt. Die Lek­türe nimmt an Fahrt auf, wenn Olga die Szene betritt und das von Stolz beschrie­bene „gol­dene Herz“ zum Vor­schein bringt.
In all dem Tief­gang ist es jedoch bemer­kens­wert wie viel Witz zwi­schen all der Tra­gik Platz fin­det, sich gemüt­lich macht und wie ein Mephisto vom Ses­sel aus auf die Sze­ne­rie spuckt. Doch genauso ver­steht er es auch sich zur rech­ten Zeit zu ver­zie­hen. Es ist schlicht­weg eine per­fekte Balance von Liebe, Gesell­schafts­kri­tik, Humor und Tra­gik – ein Gemälde, das aus dem Leben gegrif­fen ist. Und wäh­rend das Mahl zube­rei­tet wird, zwit­schern die Vögel und der Wind bauscht die wei­ßen Vor­hänge auf, sodass der Früh­lings­duft sich im gesam­ten Raum verteilt...

Der Roman hallt noch Tage spä­ter in mir nach, prägt mein Bild von rus­si­schen Som­mer­aben­den auf dem Land. Der mir bis vor weni­gen Mona­ten gänz­lich unbe­kannte Autor hat mir bin­nen der 750 Sei­ten einen neuen Favo­ri­ten in mein Buch­re­gal gezau­bert – ich bin fas­zi­niert, kann nicht auf­hö­ren zu schwär­men, Gont­scha­row hat mich voll­ends erobert!
Die Dia­loge der Ver­lieb­ten sind zum Wei­nen schön: all die Unsi­cher­heit und Unge­duld, die in den See­len haf­tet, die ein­an­der noch nicht gebeich­tet haben. 1859 erschien das berühm­teste Werk des rus­si­schen Roman­ciers Iwan Alex­an­d­ro­witsch Gont­scha­row (1812−1891) – eine lie­be­volle Skiz­zie­rung aller Cha­rak­tere, ein­ge­bet­tet in leben­dige Dia­loge, machen es schlicht­weg zu einem Meisterwerk!

Nicole
urwort​.com

Oblo­mow, Iwan A. Gont­scha­row, Vera Bischitzky (Über­set­ze­rin),
dtv, 2014, Erst­ver­öf­fent­li­chung: 1859

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4 comments

Pop-Polit 25. März 2015 - 16:44

Das Buch steht schon seit Jah­ren unge­le­sen im Regal! Irgend­wann falle ich über Oblo­mow her...

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Oblomow – Iwan Gontschwarow | 26. März 2015 - 0:34

[…] liebs­ten Lek­tü­ren zäh­len – die Bespre­chung zu die­sem Schatz der Welt­li­te­ra­tur ist im Bücher­stadt Kurier zu […]

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buzzaldrinsblog 26. März 2015 - 15:55

Mir geht es da so wie Pop-Polit, auch hier steht das Buch seit Jah­ren unge­le­sen im Regal ... viel­leicht sollte ich es doch noch mal hervorholen!

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Petra Gust-Kazakos 30. März 2015 - 16:10

Schön auch: „s gibt, vom Roman inspi­riert, das Verb „oblo­mo­wie­ren“ für „lust­los, lebens­un­fä­hig sein, träge u. müßig leben“. Ich ver­wende es gele­gent­lich im Sinne von „der Muße pflegen“ ; )

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