Jan Wagner in der „Schatulle“

by Worteweberin Annika

Nicht nur für Worte­we­be­rin Annika war es die erste Lyrik­le­sung über­haupt, son­dern auch für die Betrei­be­rin­nen der Buch­hand­lung „Die Scha­tulle“ in Oster­holz-Schar­m­beck, wo Jan Wag­ner am 8. März zu Gast war – mit All­tags­ein­drü­cken der beson­de­ren Art im Gepäck.

Die klei­nen und all­täg­li­chen Dinge sind es, die es Jan Wag­ner ange­tan haben: Giersch, Ret­tich, Tee­beu­tel – es scheint, als könne Wag­ner alles zum Gedicht machen. In der „Scha­tulle“ wird zum Bei­spiel herz­lich gelacht, als Wag­ner Betrach­tun­gen über einen Latein­leh­rer vor­trägt. Bezugs­punkte zu sei­nem All­tag kann hier fast jeder fin­den, wenn auch aus einem ande­ren Blick­win­kel. Denn wer von uns hat einen Tee­beu­tel vor­her schon ein­mal als Ere­mi­ten betrach­tet? Müll­män­ner beschreibt er, vom Bal­kon bli­ckend, als auf­blü­hende Gerbera.

Es lohnt sich, genau hin­zu­hö­ren. Beson­ders deut­lich wird das, als Wag­ner eine Ses­tine vor­trägt, ein Gedicht, bei dem es beson­ders auf die Form ankommt. Es spielt mit der Zahl sechs, erzählt Wag­ner. Sechs Verse à sechs Stro­phen müsse es geben, dazu sechs Worte, auf die die ein­zel­nen Verse in einem bestimm­ten Mus­ter enden müs­sen. Klingt kom­pli­ziert, und auch beim Zuhö­ren merkt man, wie sich das Publi­kum anstrengt, dem Mus­ter zu fol­gen, bis eine Zuhö­re­rin zur Erleich­te­rung aller darum bit­tet, das Gedicht noch ein­mal hören zu dür­fen. Man­ches braucht ein­fach etwas län­ger. Sol­che stren­gen For­men, erzählt Wag­ner spä­ter, gefal­len ihm beson­ders gut, da sie inspi­rie­ren und auf ihre Art Frei­heit geben.

Jan Wag­ner ist auch als Über­set­zer tätig, vor allem aus dem Eng­li­schen, aber auch aus dem Ita­lie­ni­schen. Manch­mal, so erzählt er, sei das gar nicht leicht, nicht umsonst gel­ten Gedichte teil­weise als unüber­setz­bar. Dass sie das nicht sind, davon scheint Wag­ner über­zeugt, aber den­noch: Manch­mal müsse man ihnen untreu wer­den, um ihnen am nächs­ten zu kommen.

Eini­ges erfah­ren die Gäste an die­sem Abend über den Autor per­sön­lich. So erzählt Wag­ner von sei­ner Vor­liebe für Esel – immer­hin fast ein Ana­gramm von „Seele“! In sei­nen bio­gra­fi­schen Pro­sa­tex­ten geht es um die Buch­hand­lung der Jugend, in der Wag­ner auch ein Prak­ti­kum absol­vierte, um die alten Kapi­täne, die die Wit­wen im Küs­te­nört­chen heirateten.

Im Pro­jekt „Fra­gile – Euro­päi­sche Kor­re­spon­den­zen“ des Netz­werks der Lite­ra­tur­häu­ser tauschte Jan Wag­ner Briefe mit dem maze­do­ni­schen Lyri­ker Nikola Mad­zi­rov aus. Thema der Briefe sollte die poli­ti­sche, kul­tu­rell und gesell­schaft­li­che Situa­tion in Europa sein. Wag­ner liest einen Brief über Flug­hä­fen vor, den er an Mad­zi­rov schickte, dar­über, wie er mit einem Kof­fer vol­ler Käse in Frank­reich die Sicher­heits­be­am­ten betörte – mon dieu! – und es gerade noch recht­zei­tig mit dem Päck­chen Earl Grey ins Flug­zeug schaffte. Kleine Bege­ben­hei­ten, in denen sich für Wag­ner die Schön­heit Euro­pas offen­bart. Auch hier sind es wie­der die schein­bar nich­ti­gen Dinge, in denen, wenn man genau hin­sieht, die Bedeu­tung liegt. Wenn man aus Wag­ners Tex­ten eines mit­nimmt, dann sicher­lich das: Auch im All­täg­li­chen kann viel Gewicht stecken.

Zum Brief­wech­sel zwi­schen Jan Wag­ner und Nikola Mad­zi­rov im Pro­jekt „Fra­gile“.

Foto: Worte­we­be­rin Annika

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