„Jedes Kind ist genial“: Über die Wichtigkeit des Spiels

by Zeichensetzerin Alexa

André Stern zeigt in sei­nem Werk „Spie­len, um zu füh­len, zu ler­nen und zu leben“ die Wich­tig­keit des freien Spiels auf. Er führt vor Augen, wel­che Bedeu­tung das Spiel für Kin­der und ihre Ent­wick­lung hat und dass es ernst genom­men wer­den sollte. Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat sich inspi­rie­ren lassen.

Als ich meine Aus­bil­dung zur Erzie­he­rin gemacht habe, war das „Frei­spiel“ noch ein Thema, das erst an Bedeu­tung gewin­nen musste. Zuneh­mend began­nen päd­ago­gi­sche Ein­rich­tun­gen das Spiel des Kin­des ernst zu neh­men und Frei­raum zu schaf­fen. Statt den Kita-All­tag mit päd­ago­gi­schen Ange­bo­ten voll­zu­stop­fen, sollte mehr Zeit fürs Frei­spiel zur Ver­fü­gung ste­hen. Nicht alle Ein­rich­tun­gen fan­den diese Ent­wick­lung gut und nicht alle Eltern konn­ten nach­voll­zie­hen, wes­halb Frei­spiel wich­ti­ger sein sollte als ein för­dern­des Angebot.
„Die spie­len ja nur den gan­zen Tag“ ist ein geäu­ßer­ter Satz, der eng ver­knüpft ist mit dem Gedan­ken: „Die Erzie­he­rIn­nen las­sen die Kin­der den gan­zen Tag nur spie­len und machen sonst nichts“. Was dabei nicht bedacht wird, ist die Rolle der Erzie­he­rIn als Beob­ach­te­rIn und Beglei­te­rIn. Es geht nicht mehr nur darum, Kin­der anzu­lei­ten, son­dern auch, den nöti­gen Frei­raum zu geben, die Umge­bung krea­tiv zu nut­zen. Die Spiel­ideen und die Krea­ti­vi­tät gehen dann vom Kind aus – und nicht mehr vom Erwachsenen.

„Jedes Kind ist genial“

„Wenn man Kin­der in ihrem Ele­ment, dem Spiel, lässt, sind sie aus­nahms­los genial. Meine Eltern haben nie ver­sucht, eine per­sön­li­che Vor­stel­lung durch­zu­set­zen: Aus­gangs­punkt waren immer wir. Sie haben uns immer sehr genau beob­ach­tet und stell­ten sich immer begeis­tert die Frage: ‚Was wird wohl der nächste Schritt sein?‘ Sie kamen gar nicht auf die Idee, uns zu fördern.“

André Stern geht davon aus, dass jedes Kind auf seine eigene Weise genial ist: Sobald sich das Kind für etwas begeis­tern kann, setzt es sich inten­siv damit aus­ein­an­der und sucht eigene Lösungs­stra­te­gien. So hat in einem von Stern auf­ge­führ­ten Bei­spiel sein Sohn Anto­nin eine Geige bekom­men. Aller­dings nutzte er das Instru­ment nicht „rich­tig“. Doch anstatt ein­zu­grei­fen und dem Kind zu zei­gen, wie man es „rich­tig“ macht, wurde ihm die Mög­lich­keit gege­ben, es selbst her­aus­zu­fin­den. Anto­nin beob­ach­tete andere Gei­ge­rIn­nen und ver­in­ner­lichte alles. Dann begann er von sich aus, den Bogen rich­tig zu hal­ten. „Und ja, das pas­siert bei jedem Kind – denn jedes Kind ist hochbegabt.“

Kin­dern ver­trauen und sie ernst nehmen

Stern plä­diert dafür, Kin­dern zu ver­trauen und sie in ihrem Tun ernst zu neh­men: „Kin­der zei­gen uns immer ihre Ernst­haf­tig­keit. Und wir sind die­je­ni­gen, die diese Ernst­haf­tig­keit ernst neh­men und ihr mit ent­spre­chen­der Ehr­lich­keit begeg­nen kön­nen.“ Oft kon­stru­ie­ren Erwach­sene eine „kind­ge­rechte Welt“, in der sich Kin­der bes­ser zurecht­fin­den sol­len. Diese „kind­ge­rechte Welt“ ist aller­dings in eine Kon­sum­falle abge­rutscht: Es wer­den Dinge gekauft, die Kin­dern gefal­len sol­len, auch wenn Erwach­sene sie selbst gräss­lich fin­den. Warum wird davon aus­ge­gan­gen, dass Kin­der so etwas mögen? Wün­schen sie sich von sich aus eine Bar­bie, ein rosa Schmet­ter­lings­kos­tüm und Ähn­li­ches? Oder wird ihnen nur ein­ge­re­det (von Medien und Erwach­se­nen), dass sie es haben müssen?

Wie viel Ein­fluss neh­men Erwach­sene tat­säch­lich auf die Vor­stel­lun­gen und die Wün­sche des Kin­des? Wel­chen Weg wäre es gegan­gen, wenn Erwach­sene es von Anfang an ernst genom­men, ihm zuge­hört und es unter­stützt hät­ten? Wenn sie statt „ja, aber“ oder „das ist nicht mög­lich“ eher „alles ist mög­lich!“ und „ja, mach es!“ gesagt hät­ten? Wäre die Mensch­heit dann nicht grund­sätz­lich eine glück­li­chere geworden?

Ver­korks­tes Bildungssystem

Ich bin in mei­ner Sub­jek­ti­vi­tät gefan­gen, wenn ich an meine Schul­zeit zurück­denke und mich frage: Wes­halb das alles? All die Jahre vol­ler Zwang und Ein­schrän­kung. Viel inves­tierte Zeit für etwas, auf das ich keine Lust hatte, weil ich lie­ber ande­ren Beschäf­ti­gun­gen nach­ge­hen wollte. Mei­nen krea­ti­ven Hob­bys zum Bei­spiel: die Musik, das Schrei­ben, das Lesen, das Tan­zen. Es ergab bis zum Schluss kei­nen Sinn für mich, wes­halb ich Dinge aus­wen­dig ler­nen sollte, die ich nie­mals wie­der in mei­nem Leben gebrau­chen würde, weil ich schon als Kind wusste, was ich machen und wel­chen Weg ich gehen wollte. Die Schule hat mir die Zeit geraubt, meine Inter­es­sen und mein Kön­nen zu vertiefen.

André Stern ist nie­mals zur Schule gegan­gen. Er hatte viel Zeit, sich mit den Din­gen zu beschäf­ti­gen, die sei­ner Mei­nung nach wich­tig waren, die ihm Spaß gemacht haben. Und ist nicht gerade das das Ent­schei­dende? Die Frei­heit, der intrinsi­schen Moti­va­tion zu fol­gen und die Lern­be­geis­te­rung auf­recht­zu­er­hal­ten? Das der­zei­tige Bil­dungs­sys­tem ist in die­sem Sinne nicht son­der­lich förderlich.

Dabei ist Ler­nen sehr stark ver­knüpft mit Spiel und Spaß. Durch das Spiel wird die Welt (be-)greifbar. Der Spaß hält die Moti­va­tion auf­recht, etwas ler­nen zu wol­len. André Stern zeigt das in sei­nem Werk sehr anschau­lich und mit vie­len Bei­spie­len auf. Dabei kom­men wei­tere am Buch Mit­wir­kende zu Wort, dar­un­ter Sabine Kriech­baum, Prof. Dr. Gerald Hüt­her und Arno Stern.

„Ein Kind macht kei­nen Unter­schied zwi­schen Leben, Ler­nen und Spie­len. Es ist für das Kind eine orga­ni­sche Ein­heit. Für das Kind ist die Welt in Ord­nung, wenn es spielt. Es fühlt sich als Teil die­ser Welt. Es fühlt, dass seine ange­bo­rene Nei­gung, immer und über­all zu spie­len, sinn­voll und ernst ist. […]“

„Spie­len, um zu füh­len, zu ler­nen und zu leben“ ist inspi­rie­rend und erfri­schend. Stets for­dert es zum Reflek­tie­ren der eige­nen Kind­heit auf und stößt Gedan­ken zu unter­schied­li­chen The­men an („Was ist männ­lich, was ist weib­lich?“, „Die Ver­mark­tung der Kind­heit“, „Liebe gegen Leis­tung“, „Das künst­lich behin­derte Kind“ usw.). Sel­ten habe ich mich in puncto Bil­dung und Ler­nen so ver­stan­den gefühlt, wie beim Lesen die­ses Buches. Ein Tipp für alle Päd­ago­gen, Eltern und Interessierten!

Spie­len, um zu füh­len, zu ler­nen und zu leben. André Stern. Eli­sa­beth Sand­mann Ver­lag. 2016. Web­site des Autors: www​.and​res​tern​.com

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr