Jörg Armbruster über deutschstämmige Juden in Israel

by Bücherstadt Kurier

Ausch­witz ist nicht nur Teil der Ver­gan­gen­heit, son­dern all­täg­li­che Gegen­wart im jüdi­schen Staat, der geprägt ist durch seine geo­po­li­ti­sche Lage ebenso wie durch die Geschichte als Ein­wan­de­rungs­land. Aus­ge­hend von den Erin­ne­run­gen ein­ge­wan­der­ter KZ-Über­le­ben­der beschreibt Jörg Arm­brus­ter einen Lei­dens­weg, der nicht mit dem Über­le­ben endet, aber Anstoß für eine neue Geschichte gibt. Am 11. Okto­ber 2016 war Arm­brus­ter in der Buch­hand­lung Decius in Han­no­ver zu Gast und der Bücher­stadt Kurier durfte dabei sein. – Von Erzähl­de­tek­ti­vin Annette

Als Anfang der 1990er Jahre das Gerücht auf­kommt, die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger hätte es nie gege­ben, bricht Judith Rosen­zweig ihr jahr­zehn­te­lan­ges Schwei­gen. Als Jugend­li­che hatte sie The­re­si­en­stadt, Ausch­witz, Ber­gen-Bel­sen und schließ­lich einen Todes­marsch über­lebt, doch nie­mals über ihre trau­ma­ti­schen Erfah­run­gen gespro­chen. Ihre Erin­ne­run­gen teilt sie schließ­lich aus einem simp­len Grund: Die Bil­der, die sie ihr gesam­tes Leben lang beglei­tet haben, dro­hen im inter­na­tio­na­len Kol­lek­tiv­ge­dächt­nis zu ver­blas­sen und dies gilt es zu verhindern.

Judith Rosen­zweig gehört zu den hun­dert­tau­sen­den euro­päi­schen Ein­wan­de­rern, die in ihren Her­kunfts­län­dern ver­folgt wur­den und im „gelob­ten Land Israel“ eine neue Hei­mat such­ten. Nicht alle haben diese auch gefun­den oder jeden­falls nicht sofort. Heute leben noch etwa hun­dert­neu­zig­tau­send Opfer der Nazi­ver­bre­chen in Israel, jeder vierte von ihnen am Exis­tenz­mi­ni­mum. Vom israe­li­schen Staat bekom­men sie kaum Unter­stüt­zung, die Hilfe stammt in aller Regel von inter­na­tio­na­len Organisationen.
So unter­hält die „Inter­na­tio­nal Chris­tian Embassy Jeru­sa­lem“ in Haifa das „Warm Home for Holo­caust Sur­vi­vors“, eine Wohn­stätte für Holo­caust-Über­le­bende, die sich eine Unter­brin­gung in einem teu­ren staat­li­chen Heim nicht leis­ten kön­nen. Hier star­tet auch Jörg Arm­brus­ter seine umfas­sende Recher­che. Und obwohl seine Suche in der Ver­gan­gen­heit beginnt, schlägt er in sei­nem Werk „Will­kom­men im gelob­ten Land? Deutsch­stäm­mige Juden in Israel“ gekonnt einen Bogen bis in die welt­po­li­ti­sche Gegenwart.

Viel Hin­ter­grund­wis­sen

Geo­gra­fisch ist Israel für Arm­brus­ter kein unbe­kann­tes Ter­rain. Über viele Jahre war er Aus­lands­kor­re­spon­dent der ARD für den Nahen und Mitt­le­ren Osten und Mode­ra­tor des ARD-Welt­spie­gels. 2011 ver­öf­fent­lichte er ein Werk über den Beginn des ara­bi­schen Früh­lings, 2013 führte er der west­li­chen Welt ihre poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung vor Augen. In sei­nem neu­es­ten Buch begibt er sich zunächst weit in die Ver­gan­gen­heit und beleuch­tet ein Kapi­tel der Geschichte, dem bis­her nur wenig Auf­merk­sam­keit zu Teil wurde. Die ursprüng­lich geplante Repor­tage über das Heim in Haifa wei­tete sich zu einem umfas­sen­den Recher­che-Werk aus. Denn schnell wird klar: Das Leid der Holo­caust-Über­le­ben­den endete nicht mit der Ein­wan­de­rung in das gelobte Land.

Im Rah­men der Lesung wird schnell deut­lich, dass Arm­brus­ter sämt­li­che Ergeb­nisse der umfang­rei­chen Recher­che bereits in sei­nem Buch ver­wen­det hat. Wer im Vor­feld die Chance hatte, das Werk auf­merk­sam zu lesen, wird daher nicht viel neuen Input erhal­ten. Den­noch bemüht sich Arm­brus­ter, auf Fra­gen und Ein­wände des Publi­kums ein­zu­ge­hen und offen­bart ein gro­ßes Wis­sen über den Nahen Osten als Brenn­punkt aktu­el­ler Poli­tik. Stets kehrt er jedoch zu den his­to­ri­schen und per­sön­li­chen Schick­sals­be­schrei­bun­gen in sei­nem aktu­el­len Buch zurück.

Vom jüdi­schen Deut­schen zum deut­schen Juden

Vor allem den deut­schen und öster­rei­chi­schen Ein­wan­de­rern fällt es schwer, in der neuen Hei­mat Fuß zu fas­sen. Sie erfah­ren eine dop­pelte Krän­kung: Einer­seits sahen sie sich bis zur Ver­trei­bung aus Europa als euro­päi­sche Bür­ger, die nun ihrer Spra­che, Kul­tur und Lebens­welt beraubt sind. Ande­rer­seits sind die Geflüch­te­ten aus Mit­tel- und West­eu­ropa bei den bereits ansäs­si­gen zio­nis­ti­schen Juden aus Ost­eu­ropa und den rus­si­schen Staa­ten eben genau wegen die­ses „deut­schen“ oder „euro­päi­schen“ Hin­ter­grun­des unbe­liebt. „Kommst du aus Über­zeu­gung oder aus Deutsch­land?“, lau­tete ein Witz der alt­ein­ge­ses­se­nen Juden in Palästina.

Und auch nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges reißt die Ein­wan­de­rungs­welle nicht ab. Noch immer füh­len sich die euro­päi­schen Juden nicht sicher, sind Aus­gren­zung und Pogro­men aus­ge­setzt. Wer die Ver­nich­tungs­ma­schi­ne­rie der Nazis über­stan­den hat, kann außer­dem nur schwer mit der deut­schen Bevöl­ke­rung umge­hen. Noch bis ins hohe Alter hin­ein fra­gen sich ehe­ma­lige Häft­linge, was denn ihre Alters­ge­nos­sen wäh­rend des Krie­ges gemacht haben: „Wir beide waren doch in Ausch­witz, ich drin­nen und du drau­ßen, du hast doch auf­ge­passt, dass ich nicht weg­ge­lau­fen bin.“ Damit stellt sich auch die Frage nach einer mög­li­cher­weise sogar ver­erb­ba­ren Kol­lek­tiv­schuld. Doch diese The­ma­tik bleibt ange­nehm klein in Arm­brusters Buch, wie auch in der Dis­kus­sion im Rah­men der Lesung.

Aus Todes­angst wird Lebensfurcht

Statt­des­sen ste­hen viel­mehr die Opfer im Vor­der­grund und die schreck­li­chen Erleb­nisse, die sie durch­lei­den muss­ten. Auch die Ver­er­bung der Trau­mata an nach­fol­gende Genera­tio­nen wird the­ma­ti­siert: Eltern, die die Bil­der ster­ben­der Men­schen bis in die Träume ver­fol­gen. Die Angst um die Sicher­heit der Kin­der, die die­sen jeg­li­che Ent­wick­lungs­frei­heit nimmt. Die Unfä­hig­keit, Liebe und Zunei­gung zu zei­gen, nicht sel­ten emo­tio­nale Ver­nach­läs­si­gung oder inner­fa­mi­liäre Gewalttätigkeiten.
„Hit­ler hat auch mein Leben zer­stört“, sagt Daniela Sobol, Toch­ter der KZ-Über­le­ben­den Lie­sel Bin­zer, denen Arm­brus­ter ein eige­nes Kapi­tel gewid­met hat. Geprägt ist die Bezie­hung der Über­le­ben­den „ers­ten“ zur nach­ge­bo­re­nen „zwei­ten Genera­tion“ in ers­ter Linie durch Sprach­lo­sig­keit. Die Eltern ver­su­chen, ihre eige­nen Erfah­run­gen zu ver­drän­gen, um ihre Kin­der nicht damit zu belas­ten. Die Kin­der neh­men die Exis­tenz eines fürch­ter­li­chen Geheim­nis­ses wahr, das sie selbst jedoch nie zu fas­sen krie­gen. Erfah­ren sie irgend­wann doch von den Erleb­nis­sen ihrer Eltern, füh­len sie sich oft ein Leben lang für diese ver­ant­wort­lich und ste­cken kaum Ener­gie in die eigene Entwicklung.

Aus der Ver­gan­gen­heit lernen

In den zehn Kapi­teln sei­nes Buches gibt Arm­brus­ter nicht nur Über­le­bende mit ganz unter­schied­li­chen Lebens­ge­schich­ten eine Stimme, son­dern lässt auch diverse Ange­hö­rige der zwei­ten und drit­ten Genera­tion zu Wort kom­men. Denn auch die Enkel ehe­ma­li­ger KZ-Insas­sen füh­len sich von den Erfah­run­gen ihrer Groß­el­tern betrof­fen. Sie recher­chie­ren inten­siv ihre Fami­li­en­ge­schich­ten, hören den Alten zu und schrei­ben deren Erzäh­lun­gen auf. Und nicht sel­ten zie­hen sie dar­aus wich­tige Impulse für Gegen­wart und Zukunft.
Für viele junge Israe­lis ist Deutsch­land mitt­ler­weile ein wich­ti­ges Ziel. Es zieht sie in das welt­of­fene und sichere Ber­lin, das sie dem unsi­che­ren Tel Aviv vor­zie­hen. Die Gefahr, als Min­der­heit umge­ben von einer feind­lich gesinn­ten Mehr­heit zu leben, ken­nen sie nicht, dafür jedoch die stän­dig dro­hen­den Gefahr reli­giös moti­vier­ter Anschläge und Kriege. Sie wün­schen sich Frie­den, der nur durch eine gewalt­freie Eini­gung zwi­schen Israe­lis und Paläs­ti­nen­sern erfol­gen kann.

Sehr geschickt spannt Arm­brus­ter den Bogen von den Gräu­el­ta­ten der Nazis und den Trau­mata der Über­le­ben­den bis zur heu­ti­gen israe­li­schen Gesell­schaft, der Poli­tik des Lan­des aber auch der deut­schen Ver­ant­wor­tung für das Gesche­hen im Nahen Osten. Deutsch­land trage eine Ver­ant­wor­tung dafür, so zitiert er den israe­li­schen Schrift­stel­ler David Gross­mann, „dass Israel nicht in der Lage ist, Frie­den zu machen“. Es obliege daher dem deut­schen Staat in beson­de­rem Maße, bei der Über­win­dung des Has­ses zu hel­fen und den Dia­log zwi­schen Israe­lis und Paläs­ti­nen­ser zu för­dern. Eine Ver­ant­wor­tung, der wir auch in unse­rem eige­nen Land nach­kom­men müssen.

Gelun­gene Aus­ein­an­der­set­zung mit schwie­ri­ger Thematik

Ins­ge­samt möchte Arm­brus­ter sicher keine poli­ti­schen Rat­schläge geben oder gar Ant­wor­ten lie­fern. In sei­nem Werk gelingt es ihm jedoch, in ange­nehm leich­ter Spra­che einen Über­blick über die Aus­wir­kun­gen ver­meint­li­cher Ver­gan­gen­heit bis in unsere heu­tige Gegen­wart zu geben. Auch die schwie­rige, aber viel­schich­tige poli­ti­sche Lage Isra­els sowie die deutsch-israe­li­schen Bezie­hun­gen gibt er nach­voll­zieh­bar wie­der. Immer wie­der wer­den die Leser auf die Fra­gen zurück­ge­wor­fen: „Wie das Unvor­stell­bare vor­stell­bar machen, das schier Unbe­greif­li­che begreif­bar? Wie das Unbe­schreib­li­che beschrei­ben, das Bei­spiel­lose als Bei­spiel erzäh­len?“ Arm­brus­ter hat hier sprach­lich wie inhalt­lich einen guten Weg gefunden.

In der Prä­sen­ta­tion sei­nes Buches wirkt Arm­brus­ter manch­mal etwas unsi­cher, ver­wech­selt Namen oder ver­has­pelt sich beim Lesen. Alles in allem ver­mit­telt er jedoch mit gut aus­ge­wähl­ten Stel­len einen umfas­sen­den Ein­blick in sein Werk und die eigene Moti­va­tion dahin­ter und gibt sich Mühe bei der Publi­kums­in­ter­ak­tion. Zu emp­feh­len ist eine Lesung des ehe­ma­li­gen ARD-Kor­re­spon­den­ten alle­mal, die Lek­türe sei­nes „Will­kom­men im gelob­ten Land? Deutsch­stäm­mige Juden ins Israel“ ist wärms­tens ans Herz zu legen

Will­kom­men im Gelob­ten Land? Deutsch­stäm­mige Juden in Israel.
Jörg Arm­brus­ter. Hoff­mann und Campe. 2016.

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