Kafka ganz privat

by Wortklauberin Erika

Franz Kafka: Vor allem zeich­nen sich die Werke des deutsch-tsche­chi­schen Autors dadurch aus, dass sie zwar tie­fen Ein­blick in sein See­len­le­ben geben, doch bleibt er im „tie­fen Meer in uns“ nur schwer erreich­bar. Auf der lit​.COLO​GNE 2015 eröff­ne­ten Corinna Har­fouch und Robert Gwis­dek einen neuen Zugang zum Autor der „Ver­wand­lung“ – Wort­klau­be­rin Erika hat die Kopf­hö­rer auf­ge­setzt und mitgehört.

Franz Kafka ist ein unzu­gäng­li­cher Autor: In jedem Gespräch über ihn kommt über kurz oder lang der „Brief an den Vater“ zur Spra­che, und urplötz­lich sind alle Kon­ver­sa­ti­ons­part­ner Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin­nen und Psy­cho­ana­ly­ti­ker. Der Kon­flikt mit dem Vater, der sich in den unzäh­li­gen Kurz­ge­schich­ten spie­gelt, die dank Max Brod der Öffent­lich­keit zugäng­lich sind, durch­zieht Franz Kaf­kas Werk und wird gern gerade im Zusam­men­hang mit „Das Urteil“ und „Die Ver­wand­lung“ heraufbeschworen.

Ein ganz ande­rer Kafka

Corinna Har­fouch und Robert Gwis­dek bre­chen mit die­ser nicht enden wol­len­den Tra­di­tion auf erfri­schende Art und Weise, und es gelingt ihnen vor­treff­lich. Sie bedie­nen sich nicht nur des Selbst­zeug­nis­ses namens „Brief an den Vater“, wel­ches Franz Kafka anhängt wie ein Schat­ten, son­dern auch Brief­aus­züge aus Brie­fen an die ehe­ma­lige Ver­lobte Felice Bauer sowie an Milena Jesen­ská. Die tsche­chi­sche Jour­na­lis­tin ent­deckte in den 1920er Jah­ren eine Kurz­ge­schichte Kaf­kas. In der Folge ent­wi­ckelte sich ein inten­si­ves Ver­hält­nis zwi­schen den bei­den. Dazu kom­men Tage­buch­aus­züge sowie Ein­bli­cke in ver­schie­dene Erzäh­lun­gen und Romane, genauso wie amt­li­che Doku­mente. Auch der Kon­flikt rund um den Vater wird gestreift, aber er reiht sich ange­nehm in die Reihe von Sin­nes­ein­drü­cken ein, wel­che ange­bo­ten werden.

Selbst­zeug­nisse und his­to­ri­sche Doku­mente sprechen

Die Selbst­zeug­nisse, Pro­sa­aus­züge und his­to­ri­schen Doku­mente – unter ande­rem zitie­ren Har­fouch und Gwis­dek aus einem Arbeits­zeug­nis Franz Kaf­kas – begin­nen mit den Stim­men der bei­den Vor­tra­gen­den zu spre­chen und geben Ein­blick in einen ganz neuen Franz Kafka, der anders ist als erwar­tet. Dies wird durch die Spre­cher noch unter­stützt. Sowohl Har­fouch als auch Gwis­dek lei­hen die­sem Kafka ihre Stimme, und eröff­nen durch ihre Per­for­mance eine neue Wahr­neh­mung von Franz Kafka.

Die Per­for­mance macht die Musik

Die weib­li­che Sprech­stimme drängt, ist ner­vös und scheint über­all zugleich sein zu wol­len, alles zugleich haben zu wol­len – oder nichts. Es ist als sprä­che Kaf­kas innere Stimme aus den drän­gen­den Brie­fen an Felice Bauer, in denen er sie anweist, mög­lichst jeden Tag einen Brief an ihn zu schrei­ben. Kafka wird als Beses­se­ner gezeigt, als Fanat, und dar­aus ergibt sich unge­wollt-gewollt eine gewisse Situa­ti­ons­ko­mik. Sel­ten sieht man einen Schrift­stel­ler der­art nah vor sich, sel­ten hat man Gele­gen­heit, ihn wirk­lich fas­sen zu kön­nen. Genau die­ses Gefühl ver­mit­telt Har­fouch durch ihre Per­for­mance des drän­gen­den Kafka.

Gwis­dek spricht bedeck­ter, ruhi­ger, und wird zum Dreh- und Angel­punkt für Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rer und gelei­tet gekonnt durch den Text. Auch er liest Text­stel­len vor, jedoch jene, wel­che nicht aus Kaf­kas Feder selbst stam­men. Es ergibt sich ein har­mo­ni­scher Kon­trast zwi­schen Gwis­dek und Har­fouch, wobei bei­den Spre­chen­den genü­gend Raum zukommt, um ihr offen­sicht­li­ches Talent deut­lich auszuschöpfen.

Lite­rat Pri­vat: Ein ande­rer Kafka

Der Live-Mit­schnitt des Köl­ner Lite­ra­tur­fests lit​.COLO​GNE, das jähr­lich im Früh­ling statt­fin­det, gibt einen neuen Blick auf den deutsch-tsche­chi­schen Schrift­stel­ler Franz Kafka frei, den viele noch aus der Schul­zeit in schlech­ter Erin­ne­rung haben. Mit­tels die­ses Hör­buchs, das ins­ge­samt eine Spiel­zeit von 78 Minu­ten ein­nimmt, wird diese schlechte Erin­ne­rung in eine gute ver­än­dert. Kafka wird nicht nur auf den Vater redu­ziert, son­dern als das gezeigt, was er ist: Ein Mensch mit vie­len Facet­ten, ein Schrift­stel­ler auf dem ver­zwei­fel­ten Weg des Schrei­bens, ein inten­siv Füh­len­der inmit­ten einer Welt vol­ler Reize.

Da es sich um einen Live-Mit­schnitt han­delt, blei­ben laute Atem- und Schmatz­ge­räu­sche sowie das eine oder andere Inter­mezzo des Publi­kums nicht erspart, doch nimmt dies dem Hör­buch in kei­ner Weise sei­nen Reiz. Viel­mehr fühlt man sich in den Zuschau­er­raum ver­setzt. Das Hör­buch ist eine Emp­feh­lung für alle Kafka-Fans und die­je­ni­gen, die es noch wer­den wollen.

Lite­rat Pri­vat: Franz Kafka. Live Mit­schnitt der li​.COLO​GNE mit Corinna Har­fouch und Robert Gwis­dek. Ran­dom House Audio. 2016. Lauf­zeit: ca. 78 Min.

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