(K)Einen Kaktus zu Weihnachten #litadvent

by Bücherstadt Kurier

Sie knallte die Küchen­tür mit einem Schlag hin­ter sich zu. Trot­zig hörte man sie die Holz­stiege hin­auf stamp­fen. Wie­der mal ein ful­mi­nan­ter Auf­tritt mei­ner Schwie­ger­mut­ter, die es par­tout nicht wahr­ha­ben wollte, dass ihr mitt­ler­weile 34 Jahre alter Soh­ne­mann nicht ihr Eigen­tum war und er am kom­men­den Weih­nachts­abend nicht zu Hause sein würde. Wobei, doch, das würde er. Aber eben in sei­nem eige­nen Zuhause, da er sich selbst mit sei­ner Frau – als die ich mich seit drei Jah­ren bezeich­nen durfte – geschaf­fen hatte.

Aber zum bes­se­ren Ver­ständ­nis erzähle ich die Ereig­nisse bes­ser von Anfang an. Als Aus­gangs­punkt die­ser Ent­wick­lung kann man wohl den Tag sehen, an dem wir uns ken­nen­lern­ten. Dar­über bin ich auch heute noch glück­lich, ehr­lich! Ich liebe mei­nen Mann sehr: seine Art, mich im Arm zu hal­ten, oder wie er mir auch nach all der Zeit noch manch­mal ganz ver­stoh­len an den Po fasst, als wäre es was Ver­bo­te­nes. Ich liebe seine Zärt­lich­kei­ten und seine Auf­merk­sam­keit, wenn ich ihm etwas erzähle, aber auch seine Ver­letz­lich­keit. Kurz gesagt: Ich liebe ihn. Und er liebt mich. Seit­dem wir uns vor sie­ben Jah­ren das erste Mal auf einem Weih­nachts­markt getrof­fen haben.

Thors­ten, mein Mann, war nach der Arbeit mit sei­nen Kum­pels auf einen Glüh­wein am Weih­nachts­markt vor­bei gegan­gen und stand bereits an einem Steh­tisch, als ich mit mei­ner Schwes­ter dort ankam. Da meine Schwes­ter und ich bereits etwas län­ger durch die nebel­ver­schlei­erte Innen­stadt spa­ziert waren und uns die wun­der­schön weih­nacht­lich glit­zern­den Aus­la­gen bei bezau­bernd melan­cho­li­scher Vor­weih­nachts­stim­mung ange­schaut hat­ten, woll­ten wir uns heiße Scho­ko­lade gön­nen, um unsere Fin­ger, Mägen und Kind­heits­er­in­ne­run­gen aufzuwärmen.

Mit dem ers­ten Schluck der war­men Schoko waren meine Schwes­ter und ich zurück ver­setzt in die Advent­tage mit unse­rer Oma, die die bes­ten Kekse mit uns geba­cken und die leckerste heiße Scho­ko­lade für uns gekocht hatte. Und an man­chen Nach­mit­ta­gen, wenn es drau­ßen beson­ders kalt und neb­lig-feucht war, hatte es auch Brat­äp­fel gege­ben. Dann kuschel­ten wir uns alle drei gemein­sam unter eine Decke auf Omas Sofa, schlürf­ten heiße Scho­ko­lade und nasch­ten an unse­ren Bratäpfeln.

Das, was mei­ner Schwes­ter und mir also an die­sem Vor­weih­nachts­nach­mit­tag noch fehlte, waren Brat­äp­fel. Meine Schwes­ter machte sich auf, um uns vom Neben­stand wel­che zu holen, wäh­rend ich lie­be­voll an die beschwing­ten Advent­nach­mit­tage mit mei­ner Oma dachte. Als meine Schwes­ter nach eini­gen Minu­ten mit betrüb­tem Gesicht, jedoch ohne Brat­äp­fel zurück­kam, war ich ganz schön ent­täuscht und ließ mei­ner Wut über den prä­po­ten­ten Fett­sack, der sich nun unsere lecke­ren Oma-Brat­äp­fel rein­stopfte, freien Lauf.

In mei­nem Mono­log über die Unge­rech­tig­keit des Lebens bemerkte ich gar nicht, wie meine Schwes­ter ihre Kapuze immer tie­fer ins Gesicht zog, bis mir plötz­lich jemand an die Schul­ter tippte. Ich drehte mich um und blickte in die wun­der­schöns­ten grü­nen Augen, die ich jemals gese­hen habe. Der prä­po­tente Fett­sack, der übri­gens kein Fett­sack war, ent­schul­digte sich dafür, mir anschei­nend ein Stück mei­ner Kind­heit gestoh­len zu haben und bot mir an, dafür seine Kind­heits­er­in­ne­run­gen und den letz­ten Brat­ap­fel mit mir zu tei­len. Und so nahm unsere Geschichte ihren Lauf: Thors­ten und ich tra­fen uns noch ein wei­te­res Mal auf die­sem Weih­nachts­markt, genau an die­sem Steh­tisch zu Brat­ap­fel und hei­ßer Scho­ko­lade, ver­brach­ten dann Sil­ves­ter und seit­dem all die ande­ren Fest­tage der letz­ten sie­ben Jahre mit­ein­an­der. Die­ser Weih­nachts­markt und die­ser Steh­tisch waren es auch, an dem er mich vor vier Jah­ren fragte, ob ich seine Frau wer­den wollte.

Dass ich mich jedoch an dem Tag, an dem ich ihm die ewige Treue schwor, auch auf ewi­gen Krieg ein­ließ, wurde mir erst etwas spä­ter bewusst. Als wir unsere gemein­same Zukunft genauer defi­nier­ten, wurde uns klar, dass mög­li­che Kin­der in unse­rer doch sehr klei­nen, aber kusche­li­gen Miet­woh­nung wohl kei­nen Platz hät­ten und wir uns für unsere Kin­der genau das wünsch­ten, was wir auch selbst so lieb­ten: viel Platz, Natur und Groß­el­tern in der Nähe, mit denen man vor Weih­nach­ten Kekse bäckt, heiße Scho­ko­lade trinkt und Brat­äp­fel nascht.

Wir waren über­glück­lich mit die­sem Plan und konn­ten es gar nicht erwar­ten, los­zu­le­gen! Als Thors­ten den Kre­dit für unser Bau­vor­ha­ben bewil­ligt bekom­men und zugleich auch das Grund­stück gekauft hatte, das wir uns gemein­sam aus­ge­sucht hat­ten, kam er mit einem roten Eimer und den Wor­ten: „Den wirst du in Zukunft öfter brau­chen!“ nach Hause. In dem Eimer befan­den sich Ham­mer, Nägel, Säge, Hand­schuhe und vie­les mehr, das uns unsere ers­ten Schritte ins eigene Heim ankündigte.

Wäh­rend der drei­jäh­ri­gen Bau­zeit lie­fen wir alle nur noch auf Reserve, was auch für unsere Bezie­hung eine wahre Zer­reiß­probe war. Auch die zuerst so fried­li­che Bezie­hung zu mei­ner Schwie­ger­mut­ter wurde suk­zes­sive schwie­ri­ger. Anfäng­li­che Ver­stimmt­hei­ten wur­den bald zu Recht mani­fes­ten Aggres­sio­nen, die sie mir mit unüber­seh­ba­rer Gering­schät­zung und schnip­pi­schen Bemer­kun­gen à la Schwie­ger­mons­ter deut­lich machte. Von Din­gen wie „toll­pat­schi­ger Tram­pel“ oder „Möch­te­gern-Model“ ließ ich mir ja kaum die Laune ver­der­ben und schob ihr unpas­sen­des Ver­hal­ten auf die all­ge­meine Über­be­las­tung, unter der wir wäh­rend des Haus­baues standen.

Als sie jedoch anfing, Thors­ten expli­zit alleine nach Hause ein­zu­la­den und ihm dort all das zu erklä­ren, was ich in ihren Augen in den ehe­li­chen Pflich­ten nicht gut genug machte, wurde es mir zu viel. Anstatt das sofort mit Thors­ten zu bespre­chen, bemühte ich mich um Geduld. Diese kam mir jedoch mit einem Mal abhan­den, als sie Thors­ten, ihren Sohn, als hal­ben Mann und mich im glei­chen Satz als uner­zo­ge­nes Gör, das sich nur in ein gemach­tes Nest set­zen wollte, bezeichnete.

Zu Hause brach all das her­aus, was sich in den Wochen und Mona­ten davor schon an Frust in mir ange­staut hatte. „Wenn diese Frau so wei­ter macht, schenke ich ihr einen Kak­tus zu Weih­nach­ten!“, warf ich Thors­ten an den Kopf und schloss mich im Bade­zim­mer ein, um mich bei einem hei­ßen Bad wie­der etwas zu beru­hi­gen. Thors­ten ver­kroch sich an sei­nen PC und ich legte mich nach dem Bad sofort ins Bett, um nicht noch Schlim­me­res zu sagen.

Als wir Thors­tens Mut­ter an einem vor­weih­nacht­li­chen Sonn­tag­nach­mit­tag gemein­sam besuch­ten, um die Situa­tion mit ihr zu klä­ren, wurde uns die Tür mit thea­tra­li­schem Augen­rol­len geöff­net, von dem jede sech­zehn­jäh­rige Toch­ter noch mäch­tig was hätte ler­nen kön­nen. Wider­wil­lig stellte sie uns bei­den Kaf­fee auf den Tisch und stellte rein obli­ga­to­ri­sche Small­talk-Fra­gen. Als Thors­ten jedoch kon­kre­ter wurde und auf die Pla­nung des nahen­den Weih­nachts­abends zu spre­chen kam, kippte die Stim­mung schlagartig.

Jetzt wisst ihr auch, wie es zum Anfang der Geschichte gekom­men ist. An die­sem Tag näm­lich, an dem die ver­letzte Schwie­ger­mut­ter wie ein klei­nes Kind die Stiege hin­auf gestampft ist, ist auch Thors­ten der Gedulds­fa­den geris­sen. Er schnappte mich an der Hand, stieß dabei den Kaf­fee auf dem vor­weih­nacht­li­chen Küchen­tisch um und ließ ihn unge­ach­tet auf den Boden trop­fen. Er pol­terte mit mir im Schlepp­tau die Stiege hin­auf. Noch ganz erschro­cken von die­ser emo­tio­na­len Wende tapste ich ihm hin­ter­her, als er ins Wohn­zim­mer stürmte und der wut­ent­brann­ten Mut­ter an den Kopf warf: „Mama, du bewegst dich auf dün­nem Eis! Wenn du glaubst, mich durch deine kin­di­sche Zicke­rei für immer unter dei­nen Fit­ti­chen hal­ten zu kön­nen, hast du dich gewal­tig geirrt! Ich bin mitt­ler­weile ein erwach­se­ner Mann, der Ver­ant­wor­tung für sich und seine Frau trägt – aber sicher nicht für eine klam­mernde Mutter!“

Mit die­sem Satz ver­lie­ßen wir eine wei­nende Schwie­ger­mut­ter, die sich am Weih­nachts­abend mit Kek­sen, hei­ßer Scho­ko­lade und Brat­äp­feln in unse­rem neu bezo­ge­nen Wohn­zim­mer ein­fand und ver­söh­nende Geschich­ten aus einem Weih­nachts­buch mei­ner Kind­heit vor­las. Ich blickte dabei in die glit­zern­den, grü­nen Augen mei­nes Man­nes und wusste, ich würde ihn sofort wie­der heiraten.

Text: Mar­tha Ortner
Illus­tra­tion: Sei­ten­künst­ler Aaron

Ein CLUE-Bei­trag zum Spe­cial #lit­ad­vent. In die­sem Jahr haben wir vier Clues vor­ge­ge­ben, die in den krea­ti­ven Tex­ten auf­tau­chen soll­ten: Schlag, auf dün­nem Eis, Kak­tus, roter Eimer. Was sich die AutorIn­nen aus­ge­dacht haben, könnt ihr an den Advents-Wochen­en­den hier in der Bücher­stadt erfah­ren. Dazwi­schen erwar­ten euch u.a. Buch- und Film­tipps zur Win­ter- und Advents­zeit und einige span­nende Buch­ver­lo­sun­gen. Hier wer­den alle Bei­träge zum #lit­ad­vent gesam­melt. Wir wün­schen allen eine besinn­li­che, ruhige Advents­zeit und viel Freude beim Lesen!

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr