Kleine Mädchen sind nicht niedlich

by Buchstaplerin Maike

Auch wenn Mar­ga­ret Atwoods „Kat­zen­auge“ fast 30 Jahre alt ist, macht es eine zeit­lose Aus­sage zur kom­ple­xen Natur von Freund­schaf­ten, fin­det Buch­stap­le­rin Maike. Die Ver­gan­gen­heit, die Atwood beschreibt, kommt dabei ganz ohne Nost­al­gie und rosa­rote Brille aus.

Kanada in den 1980ern: Male­rin Elaine berei­tet sich gerade auf die erste Retro­spek­tive ihres Schaf­fens vor. Sie merkt, wie sehr sich ihre Hei­mat­stadt und auch sie selbst ver­än­dert haben. Sie blickt zurück in ihre Kind­heit in den 40ern und das Erwach­sen­wer­den in den 50ern – eine Zeit, die von einer grau­sa­men Mäd­chen­freund­schaft beherrscht wurde, die Elaine bis heute nicht loslässt.

Eine dop­pelte Retrospektive

Elai­nes Leben wird auf zwei Zeit­ebe­nen erzählt. Aus­gangs­punkt der Ich-Erzäh­le­rin ist die Vor­be­rei­tung auf die Rück­schau auf ihr künst­le­ri­sches Schaf­fen. Wohl ist Elaine dabei nicht, zu groß ist die Gefahr, miss­ver­stan­den zu wer­den. Doch auch die eigene Rück­schau auf ihr Leben lässt sie nicht zur Ruhe kommen.

Chro­no­lo­gisch von den 40er Jah­ren an ver­we­ben sich epi­so­den­haft die ver­stö­ren­den Sta­tio­nen ihrer Kind­heit mit den Gescheh­nis­sen der Gegen­wart. Ver­zerrt und sym­bol­haft auf­ge­la­den fin­den die Erfah­run­gen und Ängste der jun­gen Elaine ihren Weg in die Gemälde: Da ist das Her­um­rei­sen mit Eltern und Bru­der wäh­rend des Krie­ges. Da sind die ers­ten Freund­schaf­ten mit gleich­alt­ri­gen Mäd­chen, die grau­sa­men Spiele, um dazu­zu­ge­hö­ren. Immer wie­der nimmt Cor­de­lia einen gro­ßen Raum in Elai­nes Gedan­ken ein: die ver­wöhnte, lau­ni­sche Freun­din, die ebenso will­kür­lich bestraft, wie sie sich zucker­süß ein­schmei­cheln kann. Doch die Freund­schaft ist zu kom­plex, um sich davon abzu­wen­den. Sie ist für Elaine genauso wert­voll wie erschre­ckend: „Hass wäre ein­fa­cher gewe­sen. Bei Hass hätte ich gewusst, was ich tun muss. Hass ist klar, metal­lisch, ein­hän­dig, uner­schüt­ter­lich; nicht wie Liebe.“

Atwood lässt Elaine und Cor­de­lias kom­pli­zierte Bezie­hung mühe­los zeit­los wir­ken. Trotz des his­to­ri­schen Kon­tex­tes schei­nen die Macht­kämpfe unter befreun­de­ten Mäd­chen und die Sta­tio­nen des Erwach­sen­wer­dens heute ebenso gül­tig zu sein. So zeigt sich, wie prä­gend Kind­heit und Jugend – auch wider Wil­len – für das ganze rest­li­che Leben sind.

„Kleine Mäd­chen sind nur für Erwach­sene nied­lich. Für­ein­an­der sind sie nicht nied­lich. Sie sind lebensgroß.“

„Kat­zen­auge“ bün­delt die Kom­ple­xi­tät eines gan­zen Lebens. Atwood ver­klärt Kind­heit und Jugend, Freund­schaf­ten und Bezie­hun­gen nicht, son­dern lässt Ver­stö­ren­des und schein­bar Wider­sprüch­li­ches an die Ober­flä­che tre­ten. Elai­nes Kunst ist dafür die per­fekte Pro­jek­ti­ons­flä­che: Nur, weil ihre Gemälde zwei­di­men­sio­nal sind, heißt das nicht, dass sie nicht viel­schich­tig und mehr­deu­tig sind.

Kat­zen­auge. Mar­ga­ret Atwood. Aus dem kana­di­schen Eng­lisch von Char­lotte Frank. Piper. 2017.

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1 comment

„Die Schwalbe entflieht den Bösewichtern“ – Bücherstadt Kurier 29. Mai 2017 - 13:41

[…] Klei­ne Mäd­chen sind nicht niedlich […]

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