Küssen oder Fußball?

by Worteweberin Annika

Die Ber­li­ne­rin Kirs­ten Fuchs ist beson­ders als Lese­büh­nen­au­torin bekannt, nun ist eine Samm­lung ihrer Erzäh­lun­gen namens „Signal­stö­run­gen“ erschie­nen. Mit den Geschich­ten hat sich Worte­we­be­rin Annika von den Färöer-Inseln bis in die DDR, vom Job­cen­ter bis ins Flug­ha­fen­bis­tro gelesen.

Schon der erste Satz der ers­ten Geschichte zeigt, dass Kirs­ten Fuchs ein Talent dafür hat, auf engem Raum Infor­ma­tio­nen zu ver­dich­ten, aus klei­nen Bege­ben­hei­ten große Geschich­ten zu erzählen:

„‚Wenn nicht küs­sen, dann Fuß­ball‘, sagte er und nahm das Mes­ser vom Gür­tel.“ (S. 7)

Eine der Sto­ries han­delt von einer Bus­fahrt, wäh­rend der die Ich-Erzäh­le­rin Jugend­li­chen zuhört, eine andere von einem Knei­pen­be­such, eine von einem Nach­mit­tag in der Laube. Hier wer­den kurze Ein­bli­cke in die Welt, oft in den All­tag der Figu­ren gege­ben, und doch steht dahin­ter viel mehr, näm­lich ein prä­zi­ser Blick auf unsere Zeit. Der erste, oben zitierte Satz ist der Beginn einer mög­li­chen Lie­bes­ge­schichte auf den Färöer-Inseln, doch zwi­schen die jun­gen Ver­lieb­ten schiebt sich der Wal­fang und ein impro­vi­sier­tes Fußballspiel.

Der Brief im Klavier

Auch in vie­len der ande­ren Geschich­ten wirft Fuchs einen Blick auf zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hun­gen: Es gibt da das Paar, das wäh­rend einer Reise nach Damas­kus fest­stellt, dass die Bezie­hung nicht mehr funk­tio­niert – und jeder von bei­den viel mehr Inter­esse an einem der bei­den Gast­ge­ber hat. Und dann gibt es da den Mann, der jeden Tag im Flug­ha­fen­bis­tro auf seine Exfreun­din Ina war­tet: Im Kla­vier hat er für sie eine Bot­schaft ver­steckt und ist sich sicher, wenn sie den Brief end­lich fin­den würde, stün­den der Ver­söh­nung und dem gemein­sa­men Flug nach Casa­blanca nichts mehr im Wege. Ob Ina heute auf­tau­chen wird?

Die titel­ge­ben­den Signal­stö­run­gen fin­den sich einer­seits in der gleich­na­mi­gen Kurz­ge­schichte, die in einer Schalt­zen­tral der Deut­schen Bahn wäh­rend der Geflüch­te­ten­trans­porte spielt. Doch auch in ande­ren Geschich­ten zei­gen sich Signal­stö­run­gen, dann näm­lich, wenn plötz­lich alles ins Kip­pen gerät und sich die Leser nicht mehr sicher sein kön­nen, was hier gerade mit der Rea­li­tät pas­siert. Ein­drucks­voll zeigt sich das in der Story „Rosa Man­tel“, in der die Ich-Erzäh­le­rin in der U‑Bahn einer Obdach­lo­sen begeg­net. Diese taucht schließ­lich bei der Erzäh­le­rin zu Hause auf, nimmt ihren Platz in der Bade­wanne ein und ent­lässt diese hin­aus in die Kälte.

„Ich zog ihre Sachen an. Meine Sachen, und dann ging ich dahin, wo ich hin­ge­hörte. Die Later­nen blie­ben aus, als ich ging. Es war kalt, ich wusste schon, wo ich schla­fen würde.“ (S. 163)

Die im Band „Signal­stö­rung“ ver­sam­mel­ten Kurz­ge­schich­ten ent­stan­den über einen län­ge­ren Zeit­raum, womit sich sicher­lich auch erklä­ren lässt, warum die Texte so unter­schied­lich sind. Der wahr­schein­lich am auto­bio­gra­fischs­ten geprägte beschreibt die aber­wit­zi­gen Besu­che einer Autorin beim Job­cen­ter. Der Kampf um Anträge, Bei­blät­ter, Anla­gen und Geduld erscheint ihr wie ein Com­pu­ter­spiel „Job­cen­ter. Bist du zäh genug?“ gespickt mit unlus­ti­gen Hart­z­vier­wit­zen. Auch wenn man hier eini­ges kaum glau­ben mag, ande­res klar über­spitzt scheint, wird doch deut­lich, dass diese Geschichte einen wah­ren Kern hat.

In „Signal­stö­rung“ ver­sam­melt Kirs­ten Fuchs tem­po­rei­che, genau beob­ach­tete All­tags­ge­schich­ten. Viele, die lange nach­hal­len und unse­ren gewohn­ten Blick stö­ren – Signal­stö­run­gen eben.

Signal­stö­rung. Kirs­ten Fuchs. Rowohlt Ber­lin. 2018.

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