Lasst die Bären aus dem Keller

by Worteweberin Annika

Rachel Elliotts Roman „Bären füt­tern ver­bo­ten“ wurde in den Rezen­sio­nen mit Mariana Lekys „Was man von hier aus sehen kann“ ver­gli­chen. Worte­we­be­rin Annika wollte wis­sen, ob etwas dran ist – und wurde nicht enttäuscht.

Rachel Elliott erzählt von einer Reihe Men­schen, die im Küs­ten­städt­chen St. Ives auf­ein­an­der­tref­fen. Sie alle haben ihren „Bären“ im Kel­ler – Ängste, uner­füllte Wün­sche, Trauer –, und hüten sich, ihn zu füt­tern oder gar frei­zu­las­sen. Da ist zum Bei­spiel Syd­ney, die nach einem trau­ma­ti­schen Ereig­nis vor drei­ßig Jah­ren einen gro­ßen Bogen um St. Ives gemacht hat. Jetzt, mit 47, kann sie nicht mehr anders, als zurück­zu­keh­ren. Mit ihren hals­bre­che­ri­schen Par­cours-Ein­la­gen macht sie schnell die Ein­woh­ner auf sich auf­merk­sam und lernt schließ­lich Maria und ihre Toch­ter Belle kennen.

Figu­ren und Perspektiven

Maria ist in einer unglück­li­chen Ehe mit Jon, einem Künst­ler und Mis­an­thro­pen, gefan­gen. Die hell erleuch­te­ten Fens­ter der Gale­rien auf ihren Wegen kün­den ver­hei­ßungs­voll von einem Leben, das sie sich nie getraut hat zu leben. Kann sie daran jetzt noch etwas ändern? Ihre Toch­ter Belle, Ende 20, wohnt noch bei ihren Eltern, arbei­tet in der Buch­hand­lung um die Ecke und führt in ihrer Frei­zeit das Hän­ge­bauch­schwein der Nach­barn spa­zie­ren, wenn sie nicht gerade im Schre­ber­gar­ten wer­kelt. Müsste sie eigent­lich mehr vom Leben wol­len? Syd­neys Vater Howard, ihre Lebens­ge­fähr­tin Ruth und Bel­les Kol­lege Dex­ter, der ab und an gerne Klei­der trägt, ver­voll­stän­di­gen das Figu­ren­ka­bi­nett des Romans.

Erzählt wird aus wech­seln­den Per­spek­ti­ven, zum Bei­spiel aus Syd­neys Ich-Per­spek­tive, wenn sie an der Gra­phic Novel über ihre Kind­heit arbei­tet, aber auch Bel­les und Marias Hund hat immer wie­der das Wort und anfangs sogar ein Toter. Zum Glück wirkt das nicht auf­ge­setzt und nach kur­zer Zeit fin­det man sich in der Erzäh­lung gut zurecht.

„I ♥ Otter“

Die Figu­ren sind leicht skur­ril, ohne unrea­lis­tisch zu wir­ken – haben wir nicht alle Macken wie Belle, die nur T‑Shirts mit der Auf­schrift „I ♥ Otter“ trägt? Mir hat auch gefal­len, dass die dar­ge­stell­ten Figu­ren divers sind, was ihre Sexua­li­tät und Geschlechts­iden­ti­tät angeht. Sie alle haben ihr Päck­chen zu tra­gen. Doch auch wenn der Roman viel Trau­ri­ges erzählt, ver­mit­telt er vor allem die Hoff­nung auf einen Neu­an­fang und führt uns die Chance vor Augen, sich der Ver­gan­gen­heit zu stellen.

Nicht alles wird dabei aus­er­zählt. Zwi­schen Andeu­tun­gen und losen Fäden schwin­gen die Mög­lich­kei­ten mit, die sich die Prot­ago­nis­tin­nen und Prot­ago­nis­ten im Laufe des Romans erar­bei­ten. Damit ist das Buch etwas fürs Herz, ohne mit einem gro­ßen Happy End und viel Kitsch auf­zu­war­ten. Die­ses Set­ting und die Stim­mung erin­nern tat­säch­lich an Lekys „Was man von hier aus sehen kann“. Wer die­sen Roman mochte, den die unab­hän­gi­gen Buch­händ­ler 2017 als Lieb­lings­buch kür­ten, wird sicher­lich auch Gefal­len an „Bären füt­tern ver­bo­ten“ fin­den – locker-leicht, lus­tig, erfri­schend und damit genau das rich­tige, wenn im All­tag alles zu viel wird.

Die Über­set­zung

Etwas geär­gert habe ich mich aller­dings über eine For­mu­lie­rung: In der ansons­ten tadel­lo­sen Über­set­zung von Clau­dia Feld­mann fällt gleich zwei Mal der Spruch „Jedem das Seine!“ Ob es für die­ses Sprich­wort, das immer­hin am Haupt­tor des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Buchen­wald ange­bracht war und das längst kon­tro­vers dis­ku­tiert wird, nicht eine über­set­ze­ri­sche Alter­na­tive gege­ben hätte?

Bären füt­tern ver­bo­ten. Rachel Elliott. Aus dem Eng­li­schen von Clau­dia Feld­mann. mare. 2020.

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