Leben

by Zeichensetzerin Alexa

Was bringt einen Men­schen dazu, sich das Leben zu neh­men? In sei­nem aktu­el­len Werk „Koala“ ver­sucht Lukas Bär­fuss eine Ant­wort auf diese Frage zu fin­den, zu ergrün­den, wes­halb sich sein Bru­der für den Frei­tod ent­schied. – Von Zei­chen­set­ze­rin Alexa

„Im Laufe der Wochen und Monate blickte ich in viele lange Gesich­ter und schaute in viele leere Bli­cke, und ich bemerkte, wie sich in den Zim­mern, wann immer der Selbst­mord zur Spra­che kam, ein Schat­ten aus­brei­tete und auf die Men­schen legte, ihre Stim­men bedrückte und die Bli­cke verfinsterte.“

Selbst­mord gehört zu den The­men, die ungern bespro­chen wer­den, mög­li­cher­weise weil man nicht damit umzu­ge­hen weiß. In den Medien spricht man im Zusam­men­hang mit Arti­keln über Sui­zid von einem Wert­her-Effekt, doch kann ein Text allein jeman­den dazu ver­lei­ten, Selbst­mord zu bege­hen? Hat sich der Betrof­fene nicht schon zu einem frü­he­ren Zeit­punkt dafür entschieden?

Mein Tod gehört mir“ heißt ein Arti­kel in der Süd­deut­schen Zei­tung, ein Plä­doyer für das Recht, selbst über den Tod bestim­men zu dür­fen. Anfang des Jah­res stand das Thema „Ster­be­hilfe“ groß in den Medien. Es wurde heiß dis­ku­tiert, ob nicht auch Kin­der über ihren Tod ent­schei­den dürf­ten. Pro und Con­tra wur­den auf­ge­führt, Inter­views mit „Fach­leu­ten“ prä­sen­tiert. Dabei scheint ein ganz wich­ti­ger Punkt in den Hin­ter­grund gera­ten zu sein: Wer, wenn nicht wir selbst, hat denn das Recht, über das eigene Leben und den eige­nen Tod zu ent­schei­den? Wir leben in einem Sys­tem, in dem wir uns anpas­sen müs­sen, in dem Regeln, Gesetzte, Moral und Wert­vor­stel­lun­gen vor­ge­ge­ben wer­den, und wenn wir uns weh­ren, so bedeu­tet es noch lange nicht, dass unsere Stim­men erhört wer­den. Wenn wir schon nicht über unser Leben bestim­men dür­fen, dann doch wenigs­tens über den Tod?

Romane wie „Koala“ kom­men da zur rech­ten Zeit. Denn sie zei­gen, dass es denen, die Sui­zid bege­hen wol­len, egal ist, was andere den­ken. Sie ent­schei­den sich, weil sie es kön­nen – und gehen ein­fach. Dabei hin­ter­las­sen sie Fra­gen, wer­fen die Moral­vor­stel­lung ande­rer durch­ein­an­der. Warum tut einer so etwas? Warum begeht er Selbst­mord? Was ist der Aus­lö­ser? Bär­fuss über­legt und recher­chiert, sucht die Ant­wor­ten in der Lite­ra­tur, bei den Römern und Griechen.

Schließ­lich wei­tet er seine Recher­chen mit der Kolo­ni­al­ge­schichte Aus­tra­li­ens aus, wel­che den Haupt­teil des Buches ein­nimmt. In die­ser bezieht sich Bär­fuss auf die Geschichte des Koa­las. Seine vori­gen Aus­füh­run­gen über sei­nen Bru­der las­sen auf Gemein­sam­kei­ten schlie­ßen, nicht zuletzt wegen sei­nes Spitz­na­mens Koala. Es scheint, als sei sein Bru­der wie der Koala, ein Faul­pelz, der nur für sich dahin­lebt, nichts erreicht, nichts bewegt, sich nicht anpas­sen will oder kann, keine Ver­ant­wor­tung über­neh­men will. Somit könnte man mei­nen, es sei purer Ego­is­mus, das eigene Leben zu been­den, sich all dem zu ent­zie­hen, womit andere tag­täg­lich zu kämp­fen haben. Und doch for­mu­liert Bär­fuss es so tref­fend, dass ich nach dem Lesen die­ser Zei­len erst ein­mal schlu­cken und wie erstarrt aus dem Fens­ter bli­cken musste:

„Und ich begriff auf ein­mal, wes­halb man es scheute, über den Selbst­mord zu reden. Er war nicht wie eine Krank­heit anste­ckend, er war über­zeu­gend wie ein schlüs­si­ges Argu­ment. Es war eine Lüge zu behaup­ten, dass man die Selbst­mör­der nicht ver­stand, im Gegen­teil. Jeder ver­stand sie nur zu gut. Denn die Frage lau­tete nicht, warum hat er sich umge­bracht? Die Frage lau­tete: Warum seid ihr noch am Leben?“

Es sind Zei­len, die man nicht ver­gisst, an die man den­ken muss, wenn es einem schlecht geht. Bär­fuss rüt­telt einen mit sei­nen kla­ren, treff­si­che­ren Wor­ten wach, äußert Gedan­ken, ganz ohne Scham und Unsi­cher­heit, spricht über den Tod wie auch über Sui­zid als gäbe es nichts Selbst­ver­ständ­li­che­res. Und nicht sel­ten ertappt man sich dabei, sei­nen Ver­glei­chen und Aus­füh­run­gen zuzu­stim­men – der vom Aus­ster­ben bedrohte Koala und der Selbst­mör­der, die Fau­len und die Flei­ßi­gen, die Toten und die Leben­den. Am Ende ist all das nicht wich­tig, es ist die Erkennt­nis, die zählt: Dass letzt­end­lich jeder von uns eine Wahl hat.

Koala. Lukas Bär­fuss. Wall­stein Ver­lag. 2014.

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dasgrauesofa 9. November 2014 - 15:34

Liebe Alexa,
ich habe ja ein wenig geha­dert mit dem „Koala“. Wenn ich nun aber den Satz sehe, den Du zitiert hast, erst ein­mal so lese, ganz iso­liert von übri­gen Inhalt, dann bekommt die Lek­türe doch noch ein­mal eine andere Fär­bung. Ob meine Deuutng des Romans nun doch run­der wird, das über­lege ich mir jetzt auf einem Spaziergang :-).
Einen schö­nen Sonn­tag wünscht Claudia

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Bücherstadt Kurier 9. November 2014 - 17:43

Liebe Clau­dia,
es freut mich, dass dir das Zitat gefal­len hat. Magst du mir mit­tei­len, ob du wäh­rend des Spa­zier­gangs zu einem Ergeb­nis gekom­men bist? Ich bin gespannt!
Dir auch einen schö­nen Rest-Sonntag,
Alexa

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