Leben reloaded

by Worteweberin Annika

Du bist ich und ich bin du… Was, wenn jemand das glei­che Leben führt wie du selbst? Chris­toph in „Die sanfte Gleich­gül­tig­keit der Welt“ von Peter Stamm jeden­falls ist über­zeugt, einen Dop­pel­gän­ger zu haben. Ob Worte­we­be­rin Annika auch einen hat?

Als alter Mann erin­nert sich der Schrift­stel­ler Chris­toph an einen Win­ter­tag in Stock­holm vor eini­gen Jah­ren. Dort ver­ab­re­dete er sich mit der jun­gen Lena, durch­wan­derte mit ihr die Stadt und damit nimmt die Geschichte Fahrt auf. Chris­toph hat Lena zu die­sem Tref­fen gebe­ten, denn er glaubt, sie zu ken­nen. In ihr erkennt er die Mag­da­lena, mit der er vor fast 20 Jah­ren zusam­men war. Er weiß, wohin sie gehen müs­sen, glaubt zu wis­sen, was pas­sie­ren wird – denn vor vie­len Jah­ren war er schon mal da, in Stock­holm, mit sei­ner Mag­da­lena. Wie­der­holt sich nun alles? Sind Lena und Mag­da­lena die glei­chen? Und wie sieht es mit Chris­toph und Lenas Freund Chris aus? Füh­ren die bei­den Schrift­stel­ler wirk­lich das glei­che Leben, nur zeit­ver­setzt? Auf dem Spa­zier­gang durch das Vene­dig des Nor­dens mischen sich die Zei­ten, wäh­rend Chris­toph Lena alles über sein und viel­leicht auch ihr Leben erzählt.

Vier Leben

Exis­ten­zi­elle Fra­gen sind es, mit denen sich Chris­toph aus­ein­an­der­setzt, seit er eines Tages Chris über den Weg lief und in ihm sein jün­ge­res Eben­bild erkannte. Seit­dem hat er es mit Kon­fron­ta­tion und Davon­lau­fen ver­sucht, ent­kom­men konnte er sei­nem Dop­pel­gän­ger nie. Das Tref­fen mit Lena könnte die Ret­tung sein, die Mög­lich­keit, ein­zu­grei­fen und das Schick­sal der bei­den von sei­nem eige­nen zu tren­nen. Ob Chris­toph das nur für Lena tut oder auch für sich selbst, bleibt offen.

„Lena dachte lange nach, dann sagte sie, Sie sind ihm zu ähn­lich und zu ver­schie­den von ihm. Wenn ich wüsste, wenn ich sicher wäre, dass er ein­mal so wird wie Sie, dann könnte ich wohl zu ihm zurück­keh­ren. Aber viel­leicht kann er nur so wer­den wie Sie, wenn ich ihn ver­lasse, wenn sein Leben in die Brü­che geht, wie Ihres in die Brü­che gegan­gen ist.“ (S. 147)

Rea­li­tät oder Fiktion?

Für Chris­toph ver­schwim­men aber nicht nur die eige­nen Gren­zen zu Chris, son­dern auch die zwi­schen Fik­tion und Rea­li­tät: Als er in sei­nem ers­ten und ein­zi­gen Roman seine Freun­din Mag­da­lena und die Bezie­hung zu ihr beschreibt, ist es schnell aus mit den bei­den. Die Frau auf dem Papier ersetzt die aus Fleisch und Blut.

„Zugleich ent­glitt mir die Rea­li­tät immer mehr, erschien mir der All­tag lang­wei­lig und schal. Meine Freun­din ver­ließ mich, aber wenn ich ehr­lich bin, hatte ich mich im Kopf schon Monate frü­her von ihr getrennt, war in die Fik­tion ent­kom­men, in meine künst­li­che Welt.“ (S. 16–17)

Und so stellt sich auch beim Lesen des Romans die Frage, was hier eigent­lich Wort- und Gedan­ken­ge­spinst eines alten Man­nes ist, und was Chris­toph tat­säch­lich pas­sierte. Was ist mit der geis­ter­haft jun­gen, nebel­haf­ten Lena an Chris­tophs Bett, die uns im ers­ten Kapi­tel des Romans begeg­net? Wenn sie nicht echt ist, ist es dann die junge Lena in Stock­holm? Und was wurde aus Chris­tophs Mag­da­lena? Chris­toph erfährt spä­ter, dass sie hei­ra­tete, und auch die jun­gen Lena und Chris sind mit­ein­an­der ver­hei­ra­tet. Zufall, oder nur die sanfte Gleich­gül­tig­keit der Welt?

Der neue Roman ist der siebte des erfolg­rei­chen schwei­zer Schrift­stel­lers Peter Stamm. „Die sanfte Gleich­gül­tig­keit der Welt“ ist ein kur­zes, aber inten­si­ves Abtau­chen in das Leben ande­rer, das viele Fra­gen offen lässt und eine nach­denk­li­che Stim­mung hinterlässt.

Die sanfte Gleich­gül­tig­keit der Welt. Peter Stamm. S. Fischer Ver­lag. 2018.

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