Lesende haben den Namen einer Romanfigur verdient

by Bücherstadt Kurier

Heut­zu­tage wer­den Buch­sen­dun­gen zumeist unper­sön­lich im Paket mit der Post zuge­sen­det. Wäre es nicht schön, wenn man die Bücher lie­be­voll ver­packt und per­sön­lich über­reicht bekom­men würde? Der Prot­ago­nist in Cars­ten Henns „Der Buch­spa­zie­rer“ belie­fert seine Kun­den nach Geschäfts­schluss auf diese Weise. Bücher­städ­te­rin Michelle-Denise hat den Buch­spa­zie­rer auf sei­ner täg­li­chen Route begleitet

Abends, wenn die Buch­hand­lung schließt, macht sich der Buch­händ­ler Carl Koll­hoff auf den Weg, sei­nen treuen Kun­den ihre bestell­ten Bücher nach Hause zu brin­gen. Seit Jah­ren macht der ältere Herr Tag für Tag die­sen Spa­zier­gang. Er nimmt dabei immer die glei­che Route und weicht nicht von ihr ab. Dies hat auch ein klei­nes Mäd­chen bemerkt und passt ihn eines Tages ab, um ihn beim Aus­tra­gen der Bücher zu beglei­ten. Obwohl Koll­hoff zunächst gar nicht begeis­tert von der Anwe­sen­heit des quir­li­gen Mäd­chens ist, merkt er, dass sie ihm die Augen für die Welt außer­halb der Bücher öff­nen kann.

„Bücher sind viel, viel gefähr­li­cher als Eis! Sie ver­der­ben einem den Kopf. Oder noch schlim­mer, das Herz.“ (S. 88)

Der Buch­spa­zie­rer hat die Bega­bung, für alle Kun­den das pas­sende Buch zu fin­den. Er ist sehr fein­füh­lig und ihm lie­gen Bücher und die Ver­mitt­lung von Lite­ra­tur sehr am Her­zen. In sei­nen Gedan­ken haben Men­schen, die gerne lesen, den Namen einer Roman­fi­gur ver­dient. Ob Effi Briest, Mr Darcy oder Frau Lang­strumpf – seine Kun­den spricht er gedank­lich nur mit die­sen Namen an und malt sich ihr Leben basie­rend auf denen ihrer pro­mi­nen­ten Namens­ge­ber aus. Diese Vor­ge­hens­weise hat beim Lesen sofort mein Inter­esse geweckt. Liegt der Prot­ago­nist mit sei­ner Ein­schät­zung aller Cha­rak­tere wirk­lich rich­tig? Denn schließ­lich hat er bei der Aus­wahl der Bücher sei­ner Kun­den stets ein gutes Gespür bewie­sen. Diese Frage hat mich nahezu bis zum Ende des Buches beschäf­tigt und sehr unterhalten.

„Bücher­wür­mer sind sehr sel­tene Tiere. Meist aus­ge­spro­chen scheu. Und eine aus­ster­bende Spe­zies, die drin­gend geschützt wer­den sollte.“ (S. 171)

Wäh­rend der Prot­ago­nist zunächst etwas unnah­bar wirkt, so voll­zieht er im Laufe des Buches eine rea­lis­tisch erzählte Wand­lung. Er wird nicht plötz­lich ein ande­rer Mensch. Viel­mehr behält er sein scheues Wesen bei, öff­net aber den­noch sein Herz für das kleine Mäd­chen. Man taucht zwar nicht gänz­lich in die Gedan­ken des Prot­ago­nis­ten ein, aber durch seine Taten erhält man den­noch einen Zugang zu sei­nem sym­pa­thi­schen und lieb­vol­len Wesen.

„Der Buch­spa­zie­rer“ ist ein berüh­ren­der Roman über das wahre Leben. Er erzählt von Ver­än­de­run­gen im beruf­li­chen Umfeld, als auch im pri­va­ten Leben. Nicht nur Bücher­wür­mer wer­den eine Freude daran haben, mit dem Buch­spa­zie­rer neue Rou­ten zu erkunden.

Der Buch­spa­zie­rer. Cars­ten Henn. Pendo Ver­lag. 2021

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