Luftlöcher starren

by Wortklauberin Erika

„Manu.“
„...“ Manch­mal muss ich ein­fach vor mich hin­star­ren, bevor ich mit einem Text begin­nen kann.
„Manuela.“
„…“ Ich nenne es «Fak­ten ord­nen». Iris nennt es «Luft­lö­cher starren».
„Manu.“ Oh, der Unter­ton wird pene­trant. Ich sollte viel­leicht aufsehen.

Ganz fal­sche Ent­schei­dung. Iris’ Augen fes­seln mich immer wie­der, dass ich mich jetzt nicht mehr auf den Arti­kel kon­zen­trie­ren kann. Sie lächelt breit.
Zwi­schen uns ste­hen bloß mein Lap­top und ein Wäsche­berg auf dem Bett, über­lege ich. Ich bräuchte bloß zwei Minu­ten, um besag­tes Bett zu räu­men, um mit ihr das anstel­len zu kön­nen, was ihre herr­li­chen Augen zum Strah­len bringt…
„Hör auf, so per­ver­ses Zeug zu den­ken“, kon­tert schon Iris meine Gedan­ken, und ich spüre, wie meine Wan­gen flam­mend rot wer­den. „Kannst du Gedan­ken lesen?“ Mur­rend reibe ich mir über den rech­ten Unter­arm, ver­su­che, meine Ver­le­gen­heit zu ver­ber­gen. Aber Iris kennt mich schon zu gut. Sie lächelt mir zu, so strah­lend wie sonst kaum. Ich will dahin schmel­zen wie das Eis neu­lich, als unsere Kühl­truhe den Geist auf­ge­ge­ben hat.
Ver­dammt. Ich darf mich nicht so oft ablen­ken las­sen. Wir schwei­gen, und ich nutze das, um ange­strengt auf den Bild­schirm des Lap­tops zu star­ren. ‚Viel­leicht kann ich die Fak­ten irgend­wie gut zusam­men­bas­teln?‘, frage ich mich mit gerun­zel­ter Stirn. „Nein, die Arbeit muss schon gut wer­den“, murmle ich in mei­nen Bart und kann schon wie­der Iris’ Lächeln aus den Augen­win­keln sehen.
Schon wie­der Leer­lauf. Mist.
Iris lächelt mir zu, legt der­weil die Wäsche zusam­men. Der Berg teilt sich auf klei­nere Hügel­land­schaft. Socken­hü­gel, Unter­wä­sche­hü­gel. In der Mitte der Mount Ever­est der Wäscheberge.

Jeder, der meine Freun­din zum ers­ten Mal sieht, weiß gleich: Iris ist ein fröh­li­cher Mensch. Das geht jedem so – auch mir. Sie lächelt ein­fach die ganze Zeit, immer irgend­wie glück­lich, irgend­wie… fröh­lich eben. So, dass man gleich denkt, ihr Bild steht im Wör­ter­buch dabei, wenn man es nachschlägt.
Mit der Zeit habe ich natür­lich begrif­fen, dass diese Fröh­lich­keit auch Pau­sen braucht – doch meis­tens ist sie tags­über wie auf Abruf bereit. Das hat mich bereits zu Anfang an ihr fas­zi­niert, viel­leicht, weil meine Mit­ar­bei­ter sich stets über meine intro­ver­tierte Art beklagt haben.

„Weißt du noch, wie wir uns zum ers­ten Mal begeg­net sind?“, stelle ich die unver­mit­telte Frage, ohne auf­zu­bli­cken. „Natürlich.“Ich kann Iris bei­nahe schon lächeln hören. „Im Tro­pi­cana. Ich hab’ dich erst gar nicht gese­hen, weil du so still in der Ecke rum­ge­lehnt bist mit dem einen Typen – Wie hieß der noch gleich?“
Ich run­zele die Stirn, tippe die ers­ten Worte des Arti­kels mit hacken­den Fin­gern. „Du meinst Miles?“ – „Genau der!“ Iris lacht. „Ich dachte im ers­ten Moment, er wäre dein fes­ter Freund oder so…“ – „Der? Ernst­haft?“ Nun ist es an mir zu lachen. „Miles ist mein Cou­sin, wir haben die Kind­heit mit­ein­an­der verbracht!“
„Das hast du nie erzählt!“, kichernd wirft Iris mir ein Kis­sen zu. Viel­leicht hätte es in mei­nem Gesicht lan­den sol­len, aber Kis­sen­schlach­ten waren immer schon so etwas wie mein zwei­ter Beruf. Ach­tung, fan­gen… und – „Bombe!“ Ich lache, einer­seits über mei­nen Aus­ruf, ande­rer­seits dar­über, dass ich drei Meter an Iris vor­bei gewor­fen habe. Mit mei­ner Treff­si­cher­heit ist es lei­der nicht allzu gut bestellt – des­halb blei­ben Kis­sen­schlach­ten auch bloß zwei­ter Beruf.
Iris stemmt eine Hand auf die Hüf­ten, weist mit der ande­ren in Rich­tung Kis­sen, das vor dem Klei­der­schrank gelan­det ist. „Das hebst aber du auf“, bestimmt sie. Der Schalk in ihren Augen straft den bestim­men­den Ton­fall Lügen. Ich stre­cke ihr in einem Anfall von Über­mut die Zunge her­aus. „Wenn ich das nächste Mal daran vor­bei komme“, erwi­dere ich augenzwinkernd.
„Damals im Tro­pi­cana bist du mir viel­leicht gerade wegen Miles auf­ge­fal­len. So ein häss­li­cher Kerl bei so einer hüb­schen Frau?, dachte ich.“ Iris’ Lächeln ist unschul­dig, wie immer, wenn sie auf ihre bei­läu­fige Art Kom­pli­mente ver­teilt. Ich spüre meine Wan­gen rot wer­den – die Hitze kriecht ein­fach hin­ein, ich kann nichts tun! Sie lacht leise, und ich häm­mere die nächs­ten zwei Zei­len des Arti­kels, ohne nachzudenken.
„Du bist mir damals gleich auf­ge­fal­len“, gestehe ich, bli­cke auf, um in zwei grün fun­kelnde Sma­ragde zu sehen. Wie­der fühle ich meine Wan­gen glü­hen. Sie lacht. „Ach ja, da war ja diese Wette mit dem Rock!“, erin­nert sie sich an den bun­ten Zigeu­ner­rock, der klim­perte wie ihre vie­len Arm­reife, als sie plötz­lich bei mir stand und die Arme um mich legte.

Der Wäsche-Hima­laya ist so plötz­lich geschrumpft und hat sich in den Apen­nin der Wäsche­hü­gel ver­wan­delt. Er schrumpft immer wei­ter. Mein Arti­kel ist noch immer nicht fer­tig – wie denn auch? Ich habe doch in der ver­gan­ge­nen Stunde bei­nahe nichts ande­res getan als Iris anzu­star­ren. Ihr Lächeln fes­selt mich auch nach zwei Jah­ren immer wie­der aufs Neue. Ich mag die kleine Zahn­lü­cke in ihrem Mund­win­kel, wenn sie schief grinst.
„Hör auf, Luft­lö­cher zu star­ren, Schatz“, höre ich sie sagen. Ver­dammt, schon wie­der werde ich rot.
Ich darf meine Freun­din ein­fach nicht so oft anstar­ren, befinde ich.
Oder das Anstar­ren redu­zie­ren – ratio­nie­ren. Aber Iris in Ratio­nen? Das schaffe ich doch nie­mals. Ich brau­che sie wie die Luft zum Atmen und die Scho­ko­lade für die Nerven.
Ich seufze leicht. Schade, dass ich ver­ges­sen habe, Scho­ko­lade zu kau­fen. Davon ist nichts mehr in der Woh­nung zu fin­den, in kei­nem Winkel.
Ich seufze leicht, reibe mir mit über den rech­ten Unter­arm. Viel­leicht schaffe ich es, den Arti­kel in den nächs­ten fünf­zehn Minu­ten zu schrei­ben, wenn ich mich jetzt umdrehe...?

Gesagt, getan. Der Lap­top auf mei­nem Schoß, Iris in mei­nem Rücken, die Infor­ma­tio­nen schön auf­ge­lis­tet vor mir. Scheiße, was habe ich bis jetzt bloß geschrie­ben? Das ist doch alles bloß... Schwach­sinn. Mist.
Also von vorne. Reset-Taste und neu schreiben.
Tat­säch­lich schaffe ich es, in der fol­gen­den Vier­tel­stunde die Hälfte des Arti­kels fer­tig zu stel­len. Irgendwo hin­ter mir höre ich Iris wer­keln, und außer ihren lei­sen Geräu­schen und mei­nem Hacken auf die Tas­ta­tur ist es tat­säch­lich voll­kom­men still in unse­rer klei­nen Zwei­zim­mer­woh­nung. Da ist bloß noch das leise Ticken der Stand­uhr in der Wohn­kü­che. So still ist es sel­ten – wir leben ein­fach ziem­lich laut. Reden, lachen, kichern, gluck­sen, strei­ten und uns ver­söh­nen; unser Leben ist ziem­lich fröh­lich, glaube ich. Zumin­dest normalerweise.

Plötz­lich schlin­gen sich zwei Arme von hin­ten um mich, ich fühle wei­che Lip­pen in mei­nem Nacken. „Weißt du was?“ Grün fun­kelnde Augen mus­tern mich, und wie­der sind alle Tat­sa­chen für den Arti­kel aus mei­nem Kopf gelöscht. Reset-Taste.
Da sind bloß Iris’ berau­schende Lip­pen auf mei­nen. Keine Reset-Taste für die­sen Moment.
Ich will keine Reset-Taste für mein Leben haben, dazu gefällt mir die­ser real gewor­dene Traum zu sehr.
„Du machst die­sen doo­fen Arti­kel fer­tig“, ihre Aus­drucks­weise zau­bert ein Lächeln auf meine Lip­pen, „und ich gehe uns jetzt einen schö­nen, hei­ßen Kakao machen und dann schauen wir uns zusam­men wie­der mal Dirty Dan­cing an...“, höre ich sie sagen, und schnel­ler, als ich schauen kann, ist sie aus dem Raum ver­schwun­den. Ich höre sie in der Küche klap­pern und dabei irgend­ein Lied summen.

End­lich, der Arti­kel ist fer­tig und auch schon an mei­nen Chef abge­schickt – ich lege die Hände in den Schoß, seufze erleich­tert auf. Und wie aufs Stich­wort ist Iris wie­der im Raum. Sie bringt den Duft von hei­ßer Scho­ko­lade mit sich.
Sie lacht, als ich sie küsse. Ich liebe diese vol­len, schö­nen Lip­pen, die mich um den Ver­stand brin­gen, seit ich sie zum ers­ten Mal gekos­tet habe.

Jeder, der Iris zum ers­ten Mal sieht, weiß gleich: Sie ist ein fröh­li­cher Mensch. Mir ging es genauso.
Manch­mal aber wird Iris auch ganz still und nach­denk­lich. Ich weiß nicht, woran sie denkt – ich glaube, ich will es auch gar nicht wis­sen. Obwohl... ich würde sie immer gleich gern haben wie jetzt. Ich kann gar nicht anders.
Wenn Iris so in ihren Gedan­ken ver­sinkt, fühle ich mich immer voll­kom­men hilf­los. Weil ich ihr nicht bei­ste­hen kann, wenn sie sich in ihren Kopf verzeiht.

„Hast du ihren BH gese­hen?“ Iris lacht, deu­tet auf Baby, die über den Fern­se­her tanzt, und erzählt wei­ter: „So einen BH hat meine Oma immer getra­gen!“ Ich murre leicht, schmiege mich schläf­rig an ihre Schul­ter. „Ich hab’ bis heute immer geglaubt, Baby hätte kei­nen ande­ren Namen...“, murmle ich grin­send. Ich hebe den Kopf, und Iris’ Blick begeg­net mei­nem. Wir bre­chen in Geläch­ter aus – eigent­lich mögen wir beide Dirty Dan­cing nicht. Trotz­dem sehen wir ihn uns jedes Mal, wenn er im Fern­se­hen kommt, gemein­sam an.
Meine schöne Freun­din nippt an ihrer hei­ßen Scho­ko­lade, lehnt sich woh­lig in die Couch zurück und unter­drückt ein Gähnen.

Wenn man Iris zum ers­ten Mal begeg­net, weiß man eines: Sie ist ein fröh­li­cher Mensch. Ich habe das­selbe geglaubt, bis ich zum ers­ten Mal bei ihr über­nach­tet habe. Es war spät, wir hat­ten beide etwas zu viel getrun­ken und... nun, wir hat­ten getan, was nor­ma­ler­weise auch Mann und Frau tun, die sich gern haben. Ich bin ein­fach lie­gen geblie­ben in ihrem beque­men Dop­pel­bett mit den vie­len Kis­sen, und bald eingeschlafen.
Wenn man Iris zum ers­ten Mal begeg­net, weiß man gleich, sie ist ein fröh­li­cher Mensch. Die Fröh­lich­keit ist den gan­zen Tag über abruf­bar. Aber in der Nacht kom­men die Schat­ten, die das strah­lende Lächeln tags­über vertreibt.
Ich habe sie fle­hen hören in jener Nacht und in noch vie­len ande­ren Näch­ten, die spä­ter gekom­men sind. Jedes Mal fleht sie darum, end­lich aus ihrem Alb­traum erwa­chen zu kön­nen. Ich weiß nicht, was sie träumt. Aber jedes Mal schmiege ich mich an sie und halte Iris ganz fest, damit sie keine Angst mehr hat.

Ich spüre Lip­pen, die nach Scho­ko­lade schme­cken, auf mei­nen. Iris’ Lip­pen, auf denen wie­der ein­mal ein sach­tes Lächeln liegt. Iris lehnt sich an mich, nach­dem wir den Kuss gelöst haben, blickt mich von unten her an. „Hör auf, Luft­lö­cher zu star­ren“, lächelt sie sanft. Ich grinse. Viel­leicht sollte ich das wirk­lich lassen…

Text: Wort­klau­be­rin Erika
Illus­tra­tion: Feder­schrei­be­rin Kristina

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Kun­ter­bunt.

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