Männerlastige Reise durch die Weltliteratur

by Worteweberin Annika

Lesen ist wie Rei­sen, wird immer wie­der behaup­tet und tat­säch­lich: Wenn man man­che Bücher auf­schlägt, fühlt man sich den beschrie­be­nen Orten so nah, wie man ihnen sonst nie wie­der kom­men wird. Worte­we­be­rin Annika ist daher dem „Atlas der lite­ra­ri­schen Orte“ von Sarah Bax­ter gefolgt.

Atlan­ten sind gerade auf dem Buch­markt schwer in Mode. Sie zei­gen ver­ges­sene Orte, selt­same Orte, nie gebaute Bau­werke, unheim­li­che Orte und immer wie­der auch lite­ra­ri­sche Orte, zum Bei­spiel füh­ren sie uns von Wun­der­land bis Mit­tel­erde oder prä­sen­tie­ren Kar­ten der fan­tas­tischs­ten Lite­ra­tur­orte. Sarah Bax­ter führt ihre Lese­rin­nen und Leser im „Atlas der lite­ra­ri­schen Orte“ zu den Schau­plät­zen der Welt­li­te­ra­tur, die man auf jeder nor­ma­len Welt­karte fin­den kann. Statt Hog­warts oder dem Nim­mer­land arbei­tet sie sich von Europa aus ein­mal um den Globus.

Wir begin­nen im Paris von Vic­tor Hugos „Les Misé­ra­bles“, kom­men nach eini­gen Zwi­schen­stopps schließ­lich ins Kairo aus „Zwi­schen den Paläs­ten“. In Asien sehen wir uns unter ande­rem im Sai­gon aus „Der stille Ame­ri­ka­ner“ um und berei­sen das aus­tra­li­sche Han­ging Rock mit „Pick­nick am Valen­tins­tag“. Schließ­lich führt unser Weg auf den ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, an Huck­le­berry Finns Mis­sis­sippi und das Mon­ro­eville, das dem May­comb in „Wer die Nach­ti­gall stört…“ Pate stand. In Chile, das Isa­bel Allende in „Das Geis­ter­haus“ beschreibt, been­den wir unsere lite­ra­ri­sche Reise.

„Wer schreibt, schafft Orte. (…) Und manch­mal gelingt es, reale Orte wirk­li­cher wie­der­zu­ge­ben, als es ein Foto könnte. Mit blo­ßer Tinte ver­grö­ßern sie die Ansich­ten, fan­gen Blick­win­kel, Geräu­sche, Gerü­che und die Essenz per­fekt ein – als würde sich das ursprüng­lich leere Blatt in einen Tele­por­ter für die Vor­stel­lungs­kraft der Leser ver­wan­deln.“ (S. 6)

Frauen der Weltliteratur?

Die Aus­wahl der welt­li­te­ra­ri­schen Texte ist unter dem Gesichts­punkt abwechs­lungs­reich, dass sehr unter­schied­li­che und mal mehr, mal weni­ger bekannte Werke vor­ge­stellt wer­den. Die Lust auf den ein oder ande­ren Roman wird sicher­lich bei den meis­ten Lese­rin­nen und Lesern geweckt. Geprägt ist die Aus­wahl aber klar vom west­li­chen Hin­ter­grund der Autorin – die Abste­cher in Asien, Afrika und Süd­ame­rika sind kurz.

Zudem wer­den mehr als dop­pelt so viele männ­li­che wie weib­li­che Autoren gewählt; ein Fakt, der beson­ders auf­fällt, da die Sicht­bar­keit von Frauen in der Lite­ra­tur­szene aktu­ell heiß dis­ku­tiert wird. Schade ist die­ses Ungleich­ge­wicht ins­be­son­dere, weil Sarah Bax­ter aus unend­lich vie­len Roma­nen hätte wäh­len kön­nen. Warum nicht auch mit Aga­tha Chris­tie an den Nil oder Astrid Lind­gren und Selma Lager­löf nach Schwe­den fol­gen? Mit Syl­via Plath, Fran­çoise Sagan, Simone de Beau­voir, Elfriede Jeli­nek, Vir­gi­nia Woolf, Mar­ga­ret Atwood und vie­len ande­ren kann man die Liste der Frauen der Welt­li­te­ra­tur belie­big ver­län­gern, die hier fehlen.

Bild­pracht

Beson­ders zau­ber­haft an die­sem Atlas sind hin­ge­gen die Illus­tra­tio­nen von Amy Gri­mes. Jeder Ort, der auf zwei bis drei Sei­ten anhand eines Romans beschrie­ben wird, wird mit min­des­tens zwei farb­star­ken Bil­dern bedacht. Den zuge­fro­re­nen Fluss im New Yor­ker Cen­tral Park in Nuan­cen von Blau vor dem pin­ken Him­mel des Son­nen­un­ter­gangs könnte ich immer wie­der betrach­ten, mich in den Rot­tö­nen der La Man­cha-Ebene ver­lie­ren oder die indi­sche Fluss­szene genießen.

Alleine für diese Illus­tra­tio­nen lohnt es sich, einen Blick in den „Atlas der lite­ra­ri­schen Orte“ zu wer­fen. Im Anschluss sollte man unbe­dingt selbst los­zie­hen und viele andere Orte mit Hilfe der Lite­ra­tur ent­de­cken – gerne auch mit den Roma­nen von her­aus­ra­gen­den Autorinnen.

Atlas der lite­ra­ri­schen Orte. Ent­de­ckungs­rei­sen zu den Schau­plät­zen der Welt­li­te­ra­tur. Sarah Bax­ter. Über­set­zung: Bar­bara Stern­thal. Illus­tra­tio­nen: Amy Gri­mes. Brand­stät­ter. 2019.

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