Memento Monstrum – Interview mit einem Vampir #Todesstadt

by Bücherstädterin Kathrin

Bücher­städ­te­rin Kath­rin hat das Buch „Memento Mons­trum“ von Jochen Till und Wiebke Rau­ers ein­mal genauer unter die Lupe genom­men und dafür das Schloss des Gra­fen auf­ge­sucht, um sich mit ihm über sein neues Werk zu unterhalten.

Ein cha­rak­te­ris­ti­scher tief roter Man­tel pas­send zu den blut­ro­ten Augen, eine runde, dunkle Brille, erschre­ckend lange blitz­weiße Zähne, Fle­der­maus­flü­gel und ein flau­schi­ges Fell, das sei­nes­glei­chen sucht – das dürfte dem einen oder ande­ren sicher bekannt vor­kom­men. Rich­tig! Die Rede ist hier natür­lich von Graf Dra­cula höchst­per­sön­lich. Das ein­zige irri­tie­rende Detail dürfte das wirk­lich wahn­sin­nig flau­schige Fell sein, das …

„Dürfte ich Sie bit­ten, junge Dame, mein Fell nicht stän­dig als flau­schig zu bezeich­nen? Zuge­ge­ben, es ist recht glän­zend, aber ich und das Wort flau­schig pas­sen nicht wirk­lich zusam­men, fin­den Sie nicht auch?“
„Herr Graf!“, ich zucke zusam­men und starre ihn mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen an. Vor mir steht oben Beschrie­be­ner höchst­selbst und beäugt mich kritisch.
„Ich … ent­schul­di­gen Sie, ich wollte nicht ...“ Lang­sam wei­che ich einige Schritte zurück, bereit zum Sprint, sollte dies nötig sein, auch wenn ich nicht den Hauch einer Chance gegen einen fast 600 Jahre alten Vam­pir habe.
„589.“
„Wie bitte?“
„589 Jahre, nicht 600. Auf­run­den wird überbewertet.“
„Kön­nen Sie Gedan­ken lesen?“
„Wer weiß das schon?“, läs­sig zuckt der Graf mit den Schul­tern. „Dürfte ich fra­gen, was Sie hier tun? Ich beob­achte Sie nun schon län­ger, wie Sie um mein Schloss her­um­schlei­chen.“ Der Graf hebt fra­gend eine Augen­braue und ver­schränkt die Flügel.
„Ich … nun ...“ Da ich mir sicher bin, mich die­ser Frage nicht ent­zie­hen zu kön­nen, schlu­cke ich kurz, straffe meine Schul­tern und ver­su­che mei­ner Stimme das Zit­tern zu neh­men. „Eigent­lich, Herr Graf, möchte ich über ihr neues Buch Memento Mons­trum spre­chen.“ Ich schlu­cke und kon­zen­triere mich. „Ein Meis­ter­werk, neben­bei bemerkt, wie ich finde. Ich konnte es nicht aus der Hand legen und bin nur so durch die Sei­ten geflo­gen.“ Der Graf lächelt bei die­sen Wor­ten und spitzt seine Fle­der­maus­oh­ren. „Was Sie alles erlebt haben, ist wirk­lich beeindruckend.“
„Oh, vie­len Dank, junge Dame. Das ist in der Tat ein trif­ti­ger Grund, warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Kom­men Sie doch bitte rein. Darf ich Ihnen einen Blut­oran­gen­tee anbieten?“

Wenig spä­ter sitze ich mit einer Tasse blut­ro­tem Tee (an dem ich nicht zu nip­pen wage) in einem Ses­sel dem Gra­fen gegen­über. Das Kamin­feuer knackt leise im Hin­ter­grund. Mitt­ler­weile hat die Neu­gier die Angst besiegt und meine Knie schlot­tern nicht mehr ganz so sehr. Ein Inter­view mit einem Vam­pir! So eine Gele­gen­heit kann ich mir doch nicht ent­ge­hen lassen.
Läs­sig über­schlägt Graf Dra­cula seine Beine und nimmt schlür­fend einen Schluck von sei­nem Tee. „Nun, Sie haben also mein Buch gelesen?“
Ich nicke hef­tig, bevor die Worte nur so aus mir her­aus­spru­deln: „Ja! Und es war wirk­lich groß­ar­tig! Es gibt so vie­les, das ich noch nie über Sie gehört habe. Und wo Sie über­all waren! Beein­dru­ckend! Das sind ja Geschich­ten, die sich über Jahr­hun­derte und ganze Kon­ti­nente erstre­cken! Mal befin­den wir uns in Paris um 1909, dann wie­der im Jahr 1436. Sie brin­gen uns die Yeti näher, genauso wie den soge­nann­ten Schre­cken vom Ama­zo­nas oder einen Schlag­zeug spie­len­den Wer­wolf. Sie ken­nen die Beat­les! Ich meine, die Beat­les! Und wie Sie Ihren drei zucker­sü­ßen Enkeln diese Geschich­ten Ihrer Ver­gan­gen­heit erzäh­len ist ein­fach nur herz­er­wär­mend.“ Ich halte kurz inne, um Luft zu holen, doch bevor ich mit mei­nen Lobes­hym­nen wei­ter­ma­chen kann, unter­bricht mich der Graf: „Ich sehe, Sie schei­nen mein Buch auf­merk­sam gele­sen zu haben“, er glät­tet einige Fal­ten sei­nes roten Man­tels, „und Sie haben sogar auf die Details geach­tet. Das beein­druckt mich sehr. Denn Sie sag­ten die Yeti, was kor­rekt ist, denn sie ist eine sehr edle Dame – übri­gens, hier würde ich das von Ihnen ver­wen­dete Wort flau­schig für ange­mes­sen hal­ten – vie­len Dank für das Kom­pli­ment zu mei­nem Buch.“ Schmun­zelnd lehnt sich der Graf zurück. „Aber ich wollte Sie nicht unter­bre­chen, meine Liebe, fah­ren Sie fort.“

Ich nicke und ver­su­che meine Gedan­ken zu ord­nen und meine Begeis­te­rung etwas zu zügeln.
„Nun“, fahre ich etwas gesetz­ter fort, „die Illus­tra­tio­nen, die Ihre Geschichte beglei­ten, sind eben­falls groß­ar­tig. Wiebke Rau­ers hat sie ange­fer­tigt und Sie sehr gut getrof­fen, wie ich finde.“
Der Graf brummt zustim­mend. „Ja, die Gute hat wirk­lich Talent. Aller­dings muss ich anmer­ken, dass Sie mit mei­nem Fell viel­leicht doch etwas über­trie­ben hat. Wenn ich mir die Bil­der jetzt im Nach­hin­ein so ansehe, ver­stehe ich Ihre Asso­zia­tion mit dem Begriff flau­schig. Da hat Frau Rau­ers viel­leicht doch etwas zu dick auf­ge­tra­gen. Ansons­ten hat sie aber alle Bil­der aus mei­nem pri­va­ten Foto­al­bum en détail über­tra­gen und fan­tas­tisch koloriert.“
Bei der Erwäh­nung mei­nes gewähl­ten Begriffs sein Fell betref­fend lächle ich ver­le­gen. Die­ses Wort scheint den Gra­fen wirk­lich ein wenig zu stö­ren. Aber unter uns: Wiebke Rau­ers hat den Gra­fen wirk­lich haar­ge­nau getrof­fen. (Ent­schul­digt, die­ses Wort­spiel konnte ich mir im Eifer des Gefechts nicht ver­knei­fen, aber erzählt dem Gra­fen nichts davon!) „Und Jochen Till hat Ihre Geschichte wirk­lich sehr gut erzählt. Da gibt es viele span­nende Momente … Zum Bei­spiel: Wird die Yeti es schaf­fen ihren Bal­le­rina-Traum zu erfüllen? ...“
„... Was ver­steckt sich wirk­lich unter den Ban­da­gen der Mumie? Werde ich Van Hel­sing ein wei­te­res Mal ent­kom­men? ...“, ergänzt der Graf.
„Wird Ihr Freund Bobo oder der soge­nannte Schre­cken vom Ama­zo­nas sein Glück fin­den?“, steuere ich bei.
„Was haben ein Wer­wolf und die Beat­les gemeinsam?“
„Wer­den Ihre drei Enkel die zwei Tage mit Ihnen über­le­ben?“, füge ich enthu­si­as­tisch hinzu.
Eine kurze Pause ent­steht. „Da dra­ma­ti­sie­ren Sie nun etwas“, bremst mich der Graf aus und räus­pert sich. Ich zucke merk­lich zusam­men und halte die Luft an. „Aber eigent­lich haben Sie recht.“ Ich atme erleich­tert aus.

„Es war wirk­lich das erste Mal, dass ich völ­lig auf mich allein gestellt auf meine drei Enkel auf­pas­sen musste. Sonst über­neh­men das immer meine Frau oder meine Toch­ter, aber die bei­den haben sich ein Well­ness-Wochen­ende in Paris gegönnt und so war ich an der Reihe. Ich muss geste­hen, ich habe wirk­lich nicht viel Ahnung von Kin­dern. Es kann so viel pas­sie­ren, wenn man nicht rich­tig auf­passt: Plötz­lich tre­ten sie aus Ver­se­hen ins Son­nen­licht, weil sie nicht recht­zei­tig ins Bett zu krie­gen waren und schon hat man statt eines Enkels nur noch ein Häuf­lein Asche … Puffff ...“ Der Graf wedelt unter­ma­lend mit den Armen und blickt mich besorgt an.
„Ich ver­stehe Ihre Sorge, Herr Graf, aber da muss ich Sie wirk­lich loben. Sie haben Ihre Enkel mit Ihren Geschich­ten sehr gut unter­hal­ten und sich lie­be­voll um sie geküm­mert. Sie haben sogar eine Buch­höhle für sie gebaut und sich durch nichts aus der Ruhe brin­gen las­sen. Wenn ich das mal so umgangs­sprach­lich for­mu­lie­ren darf: Sie haben einen wirk­lich tol­len Job gemacht. Also ich hätte gerne einen Opa wie Sie!“
„Oh, vie­len Dank meine Liebe. Ich fühle mich geschmeichelt.“
Viel­leicht bilde ich es mir nur ein, aber der Graf scheint leicht zu errö­ten, auch wenn das auf­grund des flau­schi­gen – Ent­schul­di­gung –, glän­zen­den Fells nicht mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit zu sagen ist.

Um den Gra­fen nicht noch mehr in Ver­le­gen­heit zu brin­gen, wechsle ich das Thema.
„Wich­tig ist ja auch Ihre Bot­schaft hin­ter den Geschich­ten: Es ist nicht wich­tig was man ist, son­dern wer man ist, denn Mons­ter ist nicht gleich Mons­ter, nicht wahr?“
„Das haben Sie sehr schön zusam­men­ge­fasst und ich bin froh, dass ich diese Bot­schaft über­mit­teln konnte. Nur weil jemand ein Wer­wolf ist, heißt das nicht, dass er nicht auch ein guter Freund sein kann, um nicht zu sagen mein bes­ter. Nur weil jemand für eine Bal­le­rina zu groß, zu kräf­tig und zu haa­rig ist, heißt das nicht, dass eine Yeti nicht tan­zen kann oder darf. Das ist eine sehr wich­tige Lehre, die ich auch mei­nen Enkeln mit auf den Weg geben wollte. Beher­zigt man das und gibt dem Cha­rak­ter hin­ter den lan­gen Zäh­nen, dem zot­ti­gen Fell oder den Fisch­au­gen eine Chance, kann man viel­leicht einen Freund fürs Leben kennenlernen.“

Ver­stoh­len wische ich mir eine Träne weg und schniefe etwas. „Das Kom­pli­ment kann ich nur an Sie zurück­ge­ben, Herr Graf. Das haben Sie wirk­lich, wirk­lich schön gesagt! Danke für Ihre Worte.“ Der Graf lächelt huld­voll und nippt noch ein­mal an sei­nem Tee.
Plötz­lich klin­gelt es, dann fliegt die Tür auf und drei kleine Vam­pire stür­men in die gute Stube und stür­zen sich auf den Gra­fen. „Opa!“, rufen sie begeis­tert. Er wird unter einem Hau­fen flau­schi­ger Vam­pir­kin­der begra­ben und lacht. „Da seid ihr ja wie­der! Was habe ich euch vermisst!“
„Erzählst du uns eine Geschichte? Bitte!“
Das ist mein Stich­wort. Ich erhebe mich, bedanke mich noch schnell beim Gra­fen und ver­lasse das Schloss. Ich habe die Per­son hin­ter dem Mons­ter ken­nen­ge­lernt und bin froh, dass ich ihr eine Chance gege­ben hab.

Soll­tet ihr, liebe Lese­rin­nen und Leser, nun auch neu­gie­rig gewor­den sein, kann ich euch das Buch „Memento Mons­trum“ nur wärms­tens emp­feh­len. Es ist wirk­lich eine große Freude, sich die Geschich­ten über die Freunde vom Gra­fen erzäh­len zu las­sen – und natür­lich sind die Illus­tra­tio­nen von flau­schi­gen Vam­pi­ren und ande­ren Mons­tern auch ein Rie­sen­spaß – aber pssst – erwähnt das Wort auf kei­nen Fall gegen­über dem Grafen!

Memento Mons­trum. Jochen Till. Nach einer Idee und mit Illus­tra­tio­nen von Wiebke Rau­ers. Cop­pen­rath. 2020. Ab 9 Jahren.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr