Menschen, die Götter spielen

by Satzhüterin Pia

Einen sehr abs­trak­ten was-wäre-wenn-Gedan­ken spinnt Will Hof­mann in sei­nem Roman „Göt­ter“ bis ins kleinste Detail wei­ter: Selbst­er­nannte Göt­ter hal­ten Men­schen auf nahezu mit­tel­al­ter­li­chem Niveau in Reser­va­ten als Skla­ven. Satz­hü­te­rin Pia hat sich mit auf die Flucht zweier die­ser Gefan­ge­nen begeben.

Deutsch­land im 21. Jahr­hun­dert, genaues Jahr nicht bekannt. Nahe Han­no­ver, in der Lüne­bur­ger Heide, exis­tie­ren vier geheime Reser­vate. Nach Geschlech­tern getrennt leben in die­sen klei­nen Dör­fern jeweils etwa 200 Men­schen und wer­den wie Skla­ven gehal­ten und kör­per­lich sowie sexu­ell aus­ge­beu­tet. Die soge­nann­ten Göt­ter rich­ten über die ein­zel­nen Reser­vate, über Leben und Tod, Bil­dungs­stand und Auf­ga­ben, die zu ver­rich­ten sind – stets zu ihrem eige­nen Vorteil.

Span­nende Figuren?

Aus einem der Frau­en­re­ser­vate ent­kommt Agnes auf bril­lante Art und Weise dem Tod durch den Strang und ent­flieht. Schon als Kind hin­ter­fragte sie die Reli­gion und das Welt­bild, was den Bewoh­ne­rin­nen durch die Göt­tin­nen ver­mit­telt wurde – denn bei den Frauen ist von Tier bis Mensch alles aus­schließ­lich weib­lich. Gün­ter flüch­tet aus einem der Män­ner­re­ser­vate, wenn auch deut­lich spon­ta­ner und unbe­hol­fe­ner. Natür­lich tref­fen diese bei­den Men­schen auf­ein­an­der und ler­nen erst­mals eine Per­son aus einem ande­ren Reser­vat ken­nen – und das erste Mal das andere Geschlecht.
Zeit­gleich ler­nen die Leser Figu­ren aus dem zivi­li­sier­ten Deutsch­land ken­nen. Zum Bei­spiel Cle­mens, einen cha­ris­ma­ti­schen Mann mit vie­len, teils dubio­sen Kon­tak­ten. Einer die­ser zwie­lich­ti­gen Bekannt­schaf­ten ist Rudolf, anfangs auf­müp­fi­ger Inter­nats­schü­ler, bald dar­auf Teil einer Art Sekte, genannt die „Stre­ber“, in die er auch Cle­mens bringt. Auf diese Stre­ber wird wie­derum Inga auf­merk­sam, die Sek­ten­be­auf­tragte der Bundesregierung.

GötterWäh­rend Agnes eine gut gezeich­nete und span­nende Figur ist, schei­nen alle ande­ren etwas blass, zuwei­len zu schlicht kon­stru­iert zu sein. Die Tiefe von Agnes geht ihnen allen ab und lässt sie ins­ge­samt dünn und eher unaus­ge­ar­bei­tet erscheinen.

Ver­wir­rende Zeitlichkeit

Die recht kur­zen und dich­ten Abschnitte inner­halb der vier Kapi­tel lesen sich ange­nehm, feh­lende Über­schrif­ten erschwe­ren jedoch die anfäng­li­che Ori­en­tie­rung. Nach etwa hun­dert Sei­ten fin­den Lesende sich bes­ser zurecht, aber erst zum Ende des Buches wer­den auch die letz­ten Fra­gen beant­wor­tet. Man merkt, wie gründ­lich der Autor Hof­mann die Grund­idee aus­ge­ar­bei­tet hat, denn am Schluss wird alles rest­los aufgeklärt.
Die Zeit­sprünge inner­halb der Geschichte sind jedoch ver­wir­rend, unre­gel­mä­ßig und oft sehr vage. Die feh­len­den Jah­res­an­ga­ben und oft schwam­mi­gen Zeit­räume las­sen viel Raum für gedank­li­che Frei­heit der Leser, genauso sor­gen sie aller­dings für zu wenig Anhalts­punkte und Unklarheiten.
Beim Erzähl­strang von Inga wirkt es manch­mal so, als müss­ten noch schnell ver­meint­lich wich­tige, anfangs jedoch irrele­vant schei­nende Infor­ma­tio­nen genannt wer­den – anfangs irrele­vant, weil deren Bedeu­tung erst zum Ende hin deut­lich wird. Auch das genaue Alter der Figu­ren bleibt offen. An man­chen Stel­len wären diese Infor­ma­tio­nen jedoch sehr wich­tig gewe­sen. Die ein­zige Zeit­an­gabe fin­det sich zu Beginn des ers­ten Kapi­tels, als es heißt: „17 Jahre zuvor.“

Erfri­schende Rollenverteilung

Ein Roman, in dem Men­schen nach Geschlech­tern getrennt in Reser­va­ten gehal­ten wer­den, scheint prä­de­sti­niert für eine klas­si­sche Rol­len­ver­tei­lung. Doch Hof­mann über­rascht mit „Göt­ter“, denn die Geschlech­ter­rol­len sind hier erfri­schend anders. Wäh­rend Gün­ter in sei­nem Reser­vat als Erzie­her arbei­tete und hand­werk­lich reich­lich unge­schickt scheint, ist Agnes mit ihrer ana­ly­tisch-wis­sen­schaft­li­chen Art schnell hin­ter die Farce der „Göt­ter“ gekom­men, ret­tet sich auf eine hoch­in­tel­li­gente und mutige Art das Leben und lernt schnell zu jagen und zu über­le­ben. Auch spä­ter, als Gün­ter und Agnes ein gemein­sa­mes Leben auf­bauen, blei­ben die klas­si­schen Geschlech­ter­rol­len ver­mischt und jeder über­nimmt mal alle Auf­ga­ben. Schön ist auch, dass dies nicht wei­ter benannt oder the­ma­ti­siert wird, son­dern ganz selbst­ver­ständ­lich abläuft.

Aber das Lektorat …

Auch ohne beson­ders auf Recht­schrei­bung und Co. zu ach­ten, stol­pert man als Lese­rIn in „Göt­ter“ schnell über zahl­rei­che Feh­ler. Es ist erneut das Lek­to­rat von Elmar Klupsch, was unan­ge­nehm auf­fällt. Flüch­tig­keits­feh­ler wie beleibt statt beliebt (Seite 59), erreich­tet statt errich­tet (Seite 72) oder auch versprach7 (Seite 93) las­sen den Roman unfer­tig erschei­nen. In eini­gen Sät­zen feh­len Wör­ter für einen voll­stän­di­gen Satz (Seite 129), in ande­ren ist ein Wort zu viel, sodass der Sinn des Sat­zes unklar wird (Seite 144). Auch Wort­dop­pe­lun­gen („Einen Einen Stuhl und Tisch stell­ten sie her […]“, Seite 47) und Namens­ver­wechs­lun­gen blei­ben nicht aus. So wird auf Seite 164 in einem Inga-Kapi­tel zwei­mal der Name Agnes verwendet.

Es wird immer wie­der deut­lich: Das Lek­to­rat ist uner­mess­lich wich­tig, damit ein Roman rund und sau­ber gele­sen wer­den kann. Kaum etwas kann per­fekt wer­den, in die­ser Häu­fung las­sen die Feh­ler den Text und die Arbeit daran jedoch stüm­per­haft wir­ken. Sehr schade, da auch eine gute Geschichte dadurch an Wert ver­lie­ren kann.

Inter­es­sant, aber nicht spektakulär

Hof­mann hat mit sei­nem Roman „Göt­ter“ ein sehr inter­es­san­tes und recht pro­vo­ka­ti­ves Thema auf­be­rei­tet, was bis auf einige Aus­nah­men sprach­lich solide geschil­dert wird. Die Abschnitte „Pro­log“ und „Flucht“ sind span­nend und machen sehr neu­gie­rig, wie genau die ein­zel­nen Erzähl­stränge zusam­men­ge­führt wer­den. Man fragt sich beim Lesen, wie genau die Welt in die­sem Roman-Deutsch­land aussieht.
Das Lek­to­rat wird in der zwei­ten Hälfte des Romans deut­lich bes­ser, lei­der ver­liert die Geschichte dafür leicht an Span­nung. Die genaue Auf­lö­sung und Erklä­rung gegen Ende zeigt, dass Hof­mann sich die Geschichte und die Welt sehr genau über­legt hat. Lei­der ist genau das auch sein größ­tes Manko, denn so wirkt alles oft wie in einem Sach­buch bis ins Detail geschil­dert. Den Lesern wird zu wenig zuge­traut und der Wunsch Hof­manns, all die über­leg­ten Details mit­zu­tei­len, macht das Buch im Abgang lang­at­mig und überladen.

Ins­ge­samt ein fes­seln­des Buch, dem seine Schwä­chen ver­zie­hen wer­den kön­nen. Wie vom Fabu­lus-Ver­lag gewohnt, sind Cover und Schnitt­ver­zie­rung – hier in sil­ber­grau – sehr schön gestal­tet und ein Hin­gu­cker im Bücherregal.

Göt­ter. Will Hof­mann. Fabu­lus-Ver­lag. 2016.

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