Mr. Lamb

by Zeichensetzerin Alexa

„Mr. Lamb“ ist Bon­nie Nadzams ers­ter Roman, von der Presse hoch­ge­lobt und 2011 mit dem Fla­herty Dunnan First Novel Prize aus­ge­zeich­net. Tat­säch­lich hebt sich der Roman von ande­ren ab, denn er the­ma­ti­siert die Bezie­hung zwi­schen einem älte­ren Mann und einem 11-jäh­ri­gen Mäd­chen auf eine so unde­fi­nier­bare Weise, dass das Ein­schät­zen der beschrie­be­nen Situa­tio­nen unmög­lich ist. – Von Zei­chen­set­ze­rin Alexa

Mr. Lamb ist ein ein­sa­mer Mann, 54 Jahre alt und unzu­frie­den mit sei­nem Leben. Was hat er denn schon erreicht? Was ist der Sinn sei­nes Lebens? Als er dem Mäd­chen Tom­mie begeg­net, das gerade von älte­ren Mäd­chen schi­ka­niert wird, fasst er den Ent­schluss ihm zu hel­fen. Denn wie sich bald raus­stellt, ist Tom­mie ebenso unglück­lich wie Lamb. Wäh­rend ihre Eltern sich zu Hause strei­ten, ver­bringt sie ihre Zeit mit fal­schen Freun­din­nen, die stets Mut­pro­ben von ihr ver­lan­gen, sie aus­la­chen und aus­nut­zen. In der Schule läuft es auch nicht so gut und oft­mals schwänzt Tom­mie oder gibt vor, krank zu sein, um nicht hin­ge­hen zu müssen.

Lamb sieht plötz­lich einen Sinn in sei­nem Leben: er will Tom­mie unbe­dingt hel­fen, ihr das Leben zei­gen, sie dar­auf vor­be­rei­ten. Gemein­sam machen sie sich auf den Weg in die Rocky Moun­tains, um die Welt zu sehen, etwas Abstand zu gewin­nen und Tom­mies Eltern und Freun­den „ein wenig Angst ein­zu­ja­gen“. Denn wenn sie mer­ken, dass sie ver­schwun­den ist, wür­den sie begrei­fen wie wich­tig sie ihnen doch ist!

Tom­mie stimmt Lamb zu, vor allem, weil sie ihm ver­traut und glaubt, er würde sie jeder­zeit wie­der zurück­brin­gen. Immer wie­der betont er, sie könn­ten sofort umkeh­ren, sie müsse es nur sagen! Er wolle nur das Beste für sie. Was an die­ser Stelle so schön und glaub­wür­dig klingt, wird im Laufe des Buches immer merk­wür­di­ger. Denn immer wie­der meint Tom­mie, sie wolle nun wirk­lich wie­der nach Hause und bekommt von Lamb Moral­pre­dig­ten zu hören. Dia­loge ent­ste­hen, die sich so ver­dre­hen und wen­den, dass man nicht ein­mal als Leser weiß, wel­che Absich­ten Lamb nun wirk­lich ver­folgt. Am Ende bringt er Tom­mie jeden­falls immer dazu, von sich aus zu sagen, dass sie doch wei­ter­fah­ren will.

„Wir müs­sen uns mehr anstren­gen, wenn wir etwas über die Welt um uns herum erfah­ren wollen.“
„Hör auf damit, das macht Jes­sie immer.“
„Was macht er?“
„Sagt wir, wenn er mich meint.“
(S. 68/69)

Spä­tes­tens jetzt kommt einem beim Lesen ein selt­sa­mes, fal­sches Gefühl auf. Der Gedanke an Mani­pu­la­tion kommt einem nicht mehr aus dem Kopf. Die Gefühls­schwan­kun­gen des Mäd­chens bekräf­ti­gen die­sen Gedan­ken zusätz­lich. Erst will sie nach Hause, aber nach dem Gespräch mit Lamb wie­der nicht… und stets ver­sucht er ihr eine Mei­nung, eine Ein­stel­lung, auf­zu­drän­gen, aber auf eine so vor­sich­tige, leichte Art, dass man das kaum zu durch­schauen ver­mag. Und plötz­lich kom­men die bei­den sich immer näher, begin­nen für­ein­an­der mehr zu emp­fin­den als Freund­schaft. Auch kör­per­li­che Nähe kommt ins Spiel und man fragt sich, wie weit Lamb gehen würde… und wie echt Tom­mies Gefühle sind. Lässt sie diese Nähe zu, weil sie es will oder weil sie glaubt, dass sie es will?

„Hör mal, Lie­bes. Es ist von größ­ter Bedeu­tung für unsere Freund­schaft – und für mich -, dass ich mir nicht wie jemand vor­komme, der dich her­um­kom­man­diert. Ver­stehst du?“ (S. 97)

Die­ses Buch ist unbe­re­chen­bar, die Prot­ago­nis­ten undurch­schau­bar, mit Dia­lo­gen, die sich wie­der­ho­len und wie eine Gehirn­wä­sche klin­gen. Ein alter Mann und ein klei­nes Mäd­chen – wie urteilt man dar­über, wenn wahre Gefühle im Spiel sind? Und wie schützt man Kin­der vor Mani­pu­la­tion? Wie berei­tet man sie auf sol­che Situa­tio­nen vor? Man fin­det, auch nach dem Durch­le­sen die­ses Buches, keine Ant­wort dar­auf. Am Ende blei­ben nur ein schlech­ter Bei­geschmack, Ver­wir­rung und Sprachlosigkeit.

Mr. Lamb. Bon­nie Nadzam. dtv. 2014.

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3 comments

Der Sonntagsleser KW#13 März 2014 | Lesen macht glücklich 30. März 2014 - 8:13

[…] möchte ich euch das Buch Mr. Lamb prä­sen­tie­ren, dass beim Bücher­stadt­ku­rier vor­ge­stellt wurde. Ein schwie­ri­ges Thema (älte­rer Mann […]

Reply
Bonnie Nadzam – Lamb | Lesen macht glücklich 11. Mai 2014 - 14:04

[…] Bücher­stadt­ku­rier […]

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[Sonntagsleserei]: KW#13 März 2014 | Lesen macht glücklich 4. August 2015 - 22:36

[…] möchte ich euch das Buch Mr. Lamb prä­sen­tie­ren, dass beim Bücher­stadt­ku­rier vor­ge­stellt wurde. Ein schwie­ri­ges Thema (älte­rer Mann […]

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