„Na, willst du mal eine Leiche sehen?“

by Poesiearchitektin Lena

In Ham­burg fand das 12. Kri­mi­fes­ti­val statt, unter ande­rem mit Gäs­ten wie Sebas­tian Fit­zek, Char­lotte Link und Nele Neu­haus. Auch Michael Tsokos, ein Rechts­me­di­zi­ner aus Ber­lin, hat das Fes­ti­val mit Wis­sen und Erfah­run­gen rund um Lei­chen berei­chert. Poe­sie­ar­chi­tek­tin Lena, die frü­her Kri­mi­nal­po­li­zis­tin wer­den wollte, über­legt es sich jetzt noch mal ganz genau.

Grund dafür ist die Ver­an­stal­tung Fas­zi­na­tion Rechts­me­di­zin: 10 Jahre Michael Tsokos. Was genau das Publi­kum erwar­tet, ist anfangs unklar, bis der Mode­ra­tor Herr Hey­mann dar­auf hin­weist, dass Tzo­kos einen Rück­blick über seine 10 Bücher mit rea­len Fäl­len geben wird, mit Bil­dern von ech­ten Toten beglei­tet. Teil­weise seien die so grau­sam, dass Über­le­gun­gen statt­fan­den, die Lesung erst ab 16 oder 18 freizugeben.

Sui­zid, Tötungs­de­likt oder ein Unfall?

Der erste Fall, den Tsokos vor­stellt, heißt „Das Ske­lett auf der Rück­bank.“ Ein Mann mit Ehe­schwie­rig­kei­ten hat in sei­nem Auto eine Explo­sion her­bei­ge­führt. Wäh­rend der Explo­sion hat er noch gelebt. Sowohl das Ske­lett als auch die Luft­röhre vol­ler Ruß des Opfers und das Feu­er­zeug kann sich das Publi­kum wäh­rend der Erzäh­lung anschauen.

Kurz dar­auf folgt „Nackte Tat­sa­chen“. Eine halb ent­blößte Lei­che wird in einem Sand­kas­ten gefun­den. Der Mann war extrem alko­ho­li­siert und ist an einer Unter­küh­lung gestor­ben. Men­schen, die mas­siv unter­kühlt sind, emp­fin­den ein extre­mes Wär­me­emp­fin­den (das soge­nannte „para­doxe Ent­klei­den“) und zie­hen sich aus, bevor sie ster­ben. Die Bil­der dazu sind bedrückend.

Danach wird es deut­lich schlim­mer. „Töd­li­che Lust“ behan­delt Fälle, bei denen Men­schen an auto­ero­ti­schen Unfäl­len gestor­ben sind. Sie stran­gu­lie­ren sich durch eine Selbst­fes­se­lung, meis­tens hän­gend an einem Haken, in fetisch­ar­ti­ger Klei­dung (Lack und Leder), schauen sich dabei im Spie­gel an, wer­den erregt und ver­lie­ren das Bewusst­sein. Wür­den sie sich sel­ber wür­gen, würde die Hand bei Sauer­stoff­man­gel erschlaf­fen und sie wür­den wie­der auf­wa­chen. Da sie aber in der Schlaufe hän­gen, wäh­rend sie das Bewusst­sein ver­lie­ren, ster­ben sie.

Wei­tere Fälle sind bei­spiels­weise ein Pär­chen, das im Auto an die Hand­bremse kommt, sie löst und im Was­ser ertrinkt, Men­schen, die Ange­hö­rige im Kel­ler ver­ges­sen, eine Gefrier­truhe in ein Grab umwan­deln oder Lei­chen, die in Roll­kof­fern her­um­ge­fah­ren werden.

Der Nach­läu­fer

Ein Fall ist beson­ders unan­ge­nehm. Es han­delt sich um den soge­nann­ten Nach­läu­fer, der sich ein Opfer aus­sucht, ihm bis zur Woh­nung folgt, es dann hin­ein schubst, es umbringt und aus­raubt. In die­ser Situa­tion war eine etwas ältere Frau, die tot im Flur lag, ihre Ein­käufe noch ver­streut und die gesamte Woh­nung durch­ge­wühlt. Der Mör­der ist zum Flug­ha­fen gefah­ren, hat sich irgend­ein Ziel aus­ge­sucht, ist hin­ge­flo­gen, hat jeman­den in der Nähe getö­tet und ist direkt danach erneut zum Flug­ha­fen und woan­ders hin­ge­flo­gen. So konnte man ihn nicht mit den Mor­den in Ver­bin­dung brin­gen. Erst als er gefasst wurde und erzählt hat, wo er über­all gemor­det hat, konnte man diese Fälle aufklären.

Alles andere bis­her war „Eigen­ver­schul­den“ oder Pech, aber kein bru­ta­ler Mord. Bis dahin dachte man: „Das kann mir sowieso nicht pas­sie­ren.“ Aber wenn es um Men­schen geht, die eine aus­ge­prägte Psy­chose haben, wel­che spon­tan han­deln und deren Hand­lun­gen man nicht vor­aus­ah­nen kann, dann ist die Stim­mung gleich anders. Es ist sehr beklem­mend, zu die­sem Bericht auch noch reale Bil­der zu sehen, denn das macht es umso grau­sa­mer. Ich gehe stark davon aus, dass ein gro­ßer Teil des Publi­kums beim Nach­hau­se­ge­hen ganz genau nach­ge­schaut hat, ob dort jemand ist, der einen ver­folgt und die Tür schnel­ler und leicht panisch geschlos­sen hat.

Fazit

Wie oft hat man die Mög­lich­keit, von einem Rechts­me­di­zi­ner, der bereits über 200.000 Lei­chen gese­hen hat, etwas über die Auf­klä­rung von ech­ten Fäl­len zu hören? Nicht häu­fig. Der Saal im Kamp­na­gel war fast kom­plett gefüllt mit Kri­mi­fans und gespann­ten Zuhö­rern. Aus der Lesung hätte man aller­dings viel mehr machen kön­nen. Tsokos stand die meiste Zeit läs­sig ange­lehnt am Red­ner­pult, hatte eine Power­point-Prä­sen­ta­tion mit­ge­bracht, die aus­sah, als hätte sie ein Fünft­kläss­ler zusam­men­ge­bas­telt: Stich­punkt­auf­zäh­lun­gen, einen Kreis aus Büchern, der sich gedreht hat und das Buch, wel­ches vor­ge­stellt wurde, wurde in den Vor­der­grund gestellt.

Die Fotos und Bil­der wur­den wäh­rend den Erzäh­lun­gen klas­sisch wei­ter­ge­klickt. Es gab sehr viele Bil­der, von sei­nen Freun­den und Kol­le­gen, die ihn alle schät­zen, und in Ver­fil­mun­gen sei­ner Bücher mit­ge­spielt haben, die aber nicht von Inter­esse waren. Tsokos hat das Gefühl über­mit­telt, dass er in allem, was er tut, sehr viel Erfolg hat und ein ganz tol­ler Typ ist. Er ist ein aner­kann­ter Rechts­me­di­zi­ner, er hatte eine eigene Serie, hat 10 Bücher her­aus­ge­bracht, ein paar wur­den ver­filmt, er hat in manch einem Film oder in Serien mitgespielt.

Auch seine Buch­wahl, aus der er vor­ge­le­sen hat – „Sind Tote immer lei­chen­blass? Die größ­ten Irr­tü­mer über die Rechts­me­di­zin“ – sollte wohl etwas auf­lo­ckern, war mei­ner Mei­nung nach nicht unpas­send, aber voll­kom­men über­flüs­sig. Auch den Ein­blick in sein neues Buch „Abge­schla­gen“, wel­ches nächs­tes Jahr erscheint, war nicht so fes­selnd, dass ich mir das Erschei­nungs­da­tum in den Kalen­der ein­tra­gen würde.

Foto: Poe­sie­ar­chi­tek­tin Lena

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1 comment

Kutchie Cash 2. Dezember 2018 - 12:41

In der Lesung sind alle Kli­schees und die Lust am Ekel bedient wor­den. Lang­wei­lig und vor­her­seh­bar. Über die Roll­kof­fer und die Nach­läu­fer hätte ich lie­ber nichts gewusst.
Wie­der mal auf dem Punkt Lena.

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