Nehmt eure Sprache ernst!

by Bücherstadt Kurier

Die Spra­che ist also ein zwei­schnei­di­ges Schwert, sie ist wahr­schein­lich die mäch­tigste Waffe der Welt, die, wenn sie rich­tig ein­ge­setzt wird, sowohl den Beginn als auch das Ende eines Krie­ges her­bei­füh­ren kann.

Bild: Win­fried Braun, Buch­sta­ben-Salat, piqs​.de

Maow“. Wird die­ser Laut in der Küche ver­nom­men, ist schon alles klar: Der Napf soll gefüllt wer­den. Kommt er aber aus dem Ein­gangs­be­reich, dann soll die Tür zur Außen­welt geöff­net wer­den. Zwar kann die­ser bezau­bernde Ton in sei­ner Inten­si­tät vari­ie­ren, je nach­dem wie groß das Bedürf­nis nach dem Gewünsch­ten ist, die Bot­schaft bleibt trotz­dem immer die­selbe. Es ist ein klei­nes Phä­no­men, wie die gemeine Haus­katze mit einem ein­zi­gen Laut all ihre all­täg­li­chen Ziele errei­chen kann. Und wir Men­schen? Wir benut­zen im Schnitt 15.000 Wör­ter pro Tag und sind trotz­dem nicht immer in der Lage, unse­rem Wil­len Aus­druck zu ver­lei­hen. Sprach­bar­rie­ren begeg­nen uns immer wie­der, sei es im Elek­tronik­markt, wenn der Ver­käu­fer ver­zwei­felt ver­sucht dem Kun­den klar zu machen, dass die DDR1 RAM nicht mehr in die DDR3 Slots pas­sen, obwohl sie doch eigent­lich fast gleich aus­se­hen, oder auch in der Schule, wenn die Ent­schlüs­se­lung der DNA mehr Unklar­hei­ten auf­wirft als sie lösen sollte.

Natür­lich ist die­ses Pro­blem wenig ver­wun­der­lich, immer­hin geht für den Men­schen der Gebrauch der Spra­che – zum Glück – weit über die Mit­tei­lung des Hun­ger­ge­füh­les hin­aus. Zählt man fach­sprach­li­che Ter­mi­no­lo­gien hinzu, dann hat allein die deut­sche Spra­che rund fünf Mil­lio­nen Aus­drü­cke gehor­tet. Man müsste sich also theo­re­tisch vom ers­ten Atem­zug bis zur letz­ten Ein­bal­sa­mie­rung – selbst nachts – alle acht Minu­ten einen neuen Ter­mi­nus aneig­nen, um der momen­ta­nen Sprach­viel­falt kom­plett gewach­sen zu sein. Doch wenn man am Ende glaubt, man habe die unend­li­che Kom­ple­xi­tät der schein­bar ver­trau­ten Mut­ter­spra­che gemeis­tert, dann wirft einem plötz­lich ein Teen­ager Begriffe wie „Sel­fie“ oder „swag“ an den Kopf. Wäh­rend Micro­soft Word noch rou­ti­ne­mä­ßig einen roten Bal­ken unter die genann­ten Begriffe setzt, hat sich der Duden schon Der­ar­ti­ges ange­eig­net: Ers­te­res wäre dem­zu­folge ein Foto von sich selbst, was aber „swag“ genau hei­ßen soll, das ist noch nicht genau geklärt.

Was jedoch schon seit Län­ge­rem klar ist, ist der immer grö­ßer wer­dende Ein­fluss des Eng­li­schen. Die Zahn­pasta hat nun den „whitening effect“, Nokia ‚con­nec­tet people‘ und für Adi­das ist sowieso ’not­hing impos­si­ble‘; Angli­zis­men ver­brei­ten sich durch die Wer­bung und die immer gigan­ti­schere Daten­flut aus dem Inter­net rasan­ter als je zuvor. Schon wie­der wäre man selbst mit fünf Mil­lio­nen Waf­fen in sei­nem deut­schen Voka­bu­lar völ­lig schutz­los dem Dau­er­feuer der Sprach­ent­wick­lung ausgeliefert.
Aber nicht nur die Fremd­spra­chen machen einem zu schaf­fen, wenn man nicht mit der Zeit geht. Liest man zum Bei­spiel ein Bio­lo­gie­buch aus den 90er Jah­ren, so scheint der Begriff „Neger“ eine harm­lose Bezeich­nung für einen Men­schen schwar­zer Haut­farbe zu sein. Würde man einen sol­chen Text in einer Vor­le­sung des 21. Jahr­hun­derts rezi­tie­ren, stün­den die Chan­cen nicht schlecht, dass manch ein Zuhö­rer vor lau­ter Empö­rung den Raum ver­ließe. So und noch viel schnel­ler kann sich näm­lich die Kon­no­ta­tion eines Begrif­fes ändern.
Wenn man aber das Spiel der Spra­che samt den Begleit­erschei­nun­gen aller Wör­ter meis­tert, kann dies Men­schen vor dem siche­ren Tod vor Gericht ret­ten, gleich­zei­tig aber auch ein gan­zes Volk in den Unter­gang füh­ren. Trös­tende Worte kön­nen tiefe emo­tio­nale Wun­den hei­len, die zuvor durch ver­let­zende Paro­len zuge­fügt wur­den. Die Spra­che ist also ein zwei­schnei­di­ges Schwert, sie ist wahr­schein­lich die mäch­tigste Waffe der Welt, die, wenn sie rich­tig ein­ge­setzt wird, sowohl den Beginn als auch das Ende eines Krie­ges her­bei­füh­ren kann.
Aus die­sem Grund wer­den in einem Régime Anders­den­kende auch sofort mund­tot gemacht, denn für Dik­ta­to­ren ist die größte Bedro­hung nach wie vor das Wort. Denn auch wenn man den Schlag­stock an Stelle eines Gesprächs ein­set­zen kann, so wer­den Worte immer ihre Macht behal­ten. Diese Worte las­sen näm­lich einen Sinn erschlie­ßen und für die, die bereit sind zuzu­hö­ren, for­mu­lie­ren sie die Wahr­heit und die soll in einer Dik­ta­tur mög­lichst lange unent­deckt bleiben.

Im Laufe der Geschichte haben schon viele Dich­ter und Den­ker die Macht und die Gefah­ren der ver­ba­len Kom­mu­ni­ka­tion erkannt; nicht umsonst bezeich­net Fritz Mauth­ner sie als Teu­fe­lin, die dem Mensch fal­sche Ver­spre­chun­gen macht und ihm das Herz raubt. Wenn man bedenkt, dass rund zwan­zig Jahre nach Mauth­ners Tod durch Groß­auf­ge­bote der Rede­kunst Mil­lio­nen Men­schen in den Krieg geschickt wur­den, dann kann man ihm durch­aus beacht­li­che Weis­heit zugestehen.
Hätte sich das Volk zu die­ser Zeit nicht auf die Schein­klar­heit z.B. des Begrif­fen „End­sieg“ ver­las­sen und etwas mehr Zeit mit der Inter­pre­ta­tion des Wor­tes ver­bracht, wären viel­leicht weni­ger Bür­ger dem (Ver-)Führer in den Tod gefolgt.
Doch der Mensch sieht die Spra­che gern als etwas Selbst­ver­ständ­li­ches an, ohne sich ihrer Kraft über­haupt bewusst zu wer­den. Er redu­ziert ihren Gebrauch lie­ber auf ele­men­tare Aus­maße wie die Beschaf­fung des Essens. Ganz im Stile der Haus­katze wird auf tief­grün­di­gere Gesprä­che ver­zich­tet und die Bekämp­fung des Hun­ger­ge­fühls fokus­siert. Erst recht, wenn man die Kom­ple­xi­tät der Spra­che erst­mal erkannt hat, wird einem – oder mir per­sön­lich zumin­dest – erst bewusst: Manch­mal wäre diese Ein­sil­big­keit unse­rer stol­zen Fell­knäuel doch benei­dens­wert, oder?

Elias
(Gast­bei­trag)

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3 comments

SalvaVenia 21. Juni 2014 - 15:25

Als Ade­en­dum kann man ja gerne hier ein­mal hin­ein­schauen: „Erst in der Spra­che nimmt die Welt ihre geis­tige Gestalt an“. – Oder: Warum klare Spra­che und alte Recht­schrei­bung? – Teil 1 http://salvaveniaxxl.wordpress.com/2014/02/08/erst-in-der-sprache-nimmt-die-welt-ihre-geistige-gestalt-an-oder-warum-klare-sprache-und-alte-rechtschreibung-teil‑1/. Viel Spaß, gege­be­nen­falls, sowie ein schö­nes und ent­spann­tes Wochenende.

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Lisa-Maria 22. Juni 2014 - 16:36

Inter­es­san­ter Bei­trag! Und gut geschrie­ben! Ich muss jetzt über mei­nen eige­nen Sprach­ge­brauch nach­den­ken. Danke, das war ein tol­ler Denkanstoß! (:

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Elias 23. Juni 2014 - 19:54

Vie­len Dank für die net­ten Worte! Ich hatte ehr­lich gesagt nicht erwar­tet, bei mei­ner ers­ten Ver­öf­fent­li­chung über­haupt Feed­back zu erhal­ten – das moti­viert einen unge­mein zum Weiterschreiben!

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