Nur ein Traum?

by Bücherstädterin Silvia

„Wie lang bleibst du noch in mei­nen Träu­men? Und wann gibst du mich wie­der her?“ (aus „Miss Curly Hair“, Julian Le Play)

Du stehst mir gegen­über. Obwohl es ewig her ist, dass ich dich außer­halb eines Trau­mes gese­hen habe, bist du mir kein biss­chen fremd. Es ist, als wäre keine Zeit ver­gan­gen, als hätte sich nie etwas geän­dert. Es ist wie damals: die Ver­trau­lich­keit, die Zwei­sam­keit... Du bist noch genau so schön wie ich dich in Erin­ne­rung habe. Und das Beste ist: Du bist hier, hier bei mir.

Doch nur einen Moment lang ist mir diese Freude gestat­tet. Denn dann wen­dest du dich ab von mir. Du rennst die Stu­fen hinab, auf das unten war­tende Auto zu. Du ver­lässt mich. Ich bleibe allein zurück.

Mir ist sofort klar, dass dies einer die­ser ent­schei­den­den Momente im Leben ist. Eines ist sicher: Alles wird sich ändern, so oder so. Die Ent­schei­dung, wie es sich ver­än­dert, liegt bei mir – und sie fällt mir kein biss­chen schwer.

Es bedarf bei Wei­tem nicht so vie­len Mutes wie gedacht, das „Rich­tige“, aber auch das „Schwie­ri­gere“ zu tun: Noch bevor du am Auto ange­kom­men bist, renne ich dir hin­ter­her. Ich will dich auf­hal­ten. Du sollst hier­blei­ben, hier bei mir.

Ich rufe dei­nen Namen. Über­rascht bleibst du ste­hen und drehst dich zu mir um. Ich gebe mir nicht die Zeit zu zögern oder zu zwei­feln, wie du reagie­ren und wie diese Sache hier aus­ge­hen wird; noch ehe ich mich ver­sehe, kom­men die Worte, die mir so lange Angst mach­ten, schon über die Lip­pen: „Bleib hier – ich liebe dich!“

Was sind wir glück­lich danach… So leicht und unbe­schwert und ganz ohne Sor­gen habe ich mich noch nie gefühlt. Wir albern herum, jagen ein­an­der durch den Gar­ten, nur, um vom ande­ren berührt zu wer­den. Ich hole dich ein, renne dich fast um und ziehe dich, strau­chelnd und halb stür­zend, lachend in eine Umar­mung. Du hältst mich fest und gemein­sam fin­den wir ins Gleich­ge­wicht zurück. Du und ich.

Als ich erwa­che, bin ich ent­täuscht, dass es – wie­der ein­mal – nur ein Traum war, und ärgere mich gleich­zei­tig, weil es mein Unter­be­wusst­sein – wie­der ein­mal – bes­ser wusste als ich. So fel­sen­fest war ich davon über­zeugt, abge­schlos­sen zu haben mit dir, mit uns – ich hätte alles dafür ver­wet­tet. Okay, viel­leicht nicht alles, aber schon sehr viel. Doch ich habe mich deut­lich geirrt: In Momen­ten wie die­sen bist du mir prä­sen­ter als je zuvor.
Manch­mal fühlt es sich so an, als würde ich wahn­sin­nig wer­den, so sehr beschäf­tigt es mich. Auch die Tat­sa­che, dass nie­mand davon weiß, trägt nicht zur Lösung die­ses „Pro­blems“ bei – aber ich rede mir erfolg­reich ein, dass ich die­ses Geheim­nis für mich bewah­ren will. Bei mei­nem „Kampf“ zurück in den All­tag, ver­su­che ich mir ein­zu­re­den, dass es nur ein Traum war. Moment, nur ein Traum? Das über­zeugt mich nicht. Ist es nicht viel­mehr eine Bot­schaft mei­nes Unter­be­wusst­seins? Eine Ver­ar­bei­tung von Gedan­ken, Ein­drü­cken, Gefüh­len? Nein, es ist nie „nur ein Traum“ – es ist so viel mehr.

Vers­e­flüs­te­rin Silvia
Illus­tra­tion: Sei­ten­künst­ler Aaron

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr