Pass auf, was du sagst!

by Zeilenschwimmerin Ronja

Wie oft habe ich schon gehört, dass gen­der­ge­rechte Spra­che Blöd­sinn ist. Und andern­orts wird vom „Dik­tat der poli­ti­schen Kor­rekt­heit“ gespro­chen. Mir liegt dazu schon län­ger etwas auf der Zunge, das ich gerne ein­mal los­wer­den möchte. – Von Zei­len­schwim­me­rin Ronja

Vor eini­ger Zeit hielt ich gemein­sam mit einer Kom­mi­li­to­nin in einem sprach­wis­sen­schaft­li­chen Semi­nar ein Refe­rat über gen­der­ge­rechte Spra­che und ihre unter­schied­li­chen Aus­prä­gun­gen, von Stu­die­ren­den über Stu­den­tIn­nen, Student_innen und Student*innen bis hin zu dem eher expe­ri­men­tell-pro­vo­ka­tiv gemein­ten Ansatz der Stu­dentX (gespro­chen: Studentix).*

Uni­ver­si­tä­ten gel­ten oft als Brut­stätte sol­cher angeb­lich umständ­li­cher Ideen. Doch obwohl wir uns an einer in den 70er-Jah­ren gegrün­de­ten Uni­ver­si­tät befan­den, in einem ger­ma­nis­tisch-sprach­wis­sen­schaft­li­chen Semi­nar, des­sen Teilnehmer*innen zu sicher­lich 90% (wie in den meis­ten Ger­ma­nis­tik-Semi­na­ren) tat­säch­lich Teil­neh­me­rin­nen waren, gab die über­wäl­ti­gende Mehr­heit bei einer klei­nen Umfrage an, auf gen­der­ge­rechte Spra­che kaum oder gar kei­nen Wert zu legen oder sich von ihr im Lese­fluss gar gestört zu füh­len. Es war in der Tat ein Mann, der sich als über­zeug­tes­ter Ver­fech­ter des Gen­derns unter unse­ren Zuhörer*innen herausstellte.

Wirk­lich über­rascht und auch etwas ent­täuscht waren wir jedoch, als unsere Dozen­tin aus­sagte, sie glaube nicht an den Sinn des Gen­derns, sie glaube nicht, dass die Spra­che die Macht hätte, unser Den­ken und Han­deln zu beein­flus­sen. Eine Aus­sage, die umso ver­blüf­fen­der ist, wo sie doch von einer Frau getrof­fen wurde, die ihren Lebens­un­ter­halt mit der Unter­su­chung von Spra­che ver­dient, also davon über­zeugt sein sollte, dass Spra­che wich­tig genug ist, um eine sol­che Unter­su­chung not­wen­dig zu machen.

In die­sem Gedan­ken­krü­mel, oder eher Gedan­ken­ku­chen, möchte ich dar­le­gen, warum ich vom Gegen­teil aus­gehe, warum ich über­zeugt bin, dass Spra­che sehr wohl unser Den­ken und Han­deln beein­flusst. Ich möchte auf Kri­tik­punkte ein­ge­hen und auch dar­auf hin­wei­sen, wie unacht­sam wir manch­mal mit Spra­che umgehen.

Spra­che und Denken

Den­ken beein­flusst unsere Spra­che, denn ein Satz muss erst erdacht wer­den, bevor er gespro­chen oder geschrie­ben wer­den kann. Wenn es in diese Rich­tung funk­tio­niert, wieso sollte es dann nicht auch umge­kehrt der Fall sein? Gen­der­ge­rechte Spra­che ist nicht der Zweck an sich, son­dern durch gen­der­ge­rechte Spra­che soll das Augen­merk auf ein gesell­schaft­li­ches Pro­blem gelenkt wer­den. Durch das Gen­dern von Tex­ten soll dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass Teil­neh­mer eben nicht nur männ­li­che Teil­neh­mer sind, son­dern auch weib­li­che und jene, die sich weder der Kate­go­rie männ­lich noch weib­lich zutei­len las­sen kön­nen oder wol­len. Gen­der­ge­rechte Spra­che ist im Prin­zip wie ein Stol­per­stein fürs Gehirn, das die ste­ti­gen Hin­weise regis­triert, ob nun bewusst oder unbe­wusst. Sol­che Ände­run­gen in der Spra­che, im Sprach­ge­brauch, im Den­ken sind lang­wie­rige Pro­zesse, aber ohne kon­ti­nu­ier­li­che Arbeit dau­ern sie noch länger.

Genau­ig­keit

Wir den­ken in Bil­dern und Gefüh­len. Aber ein gro­ßer Teil der Gedan­ken, die wir bewusst wahr­neh­men, fin­det in Spra­che statt. Und wir drü­cken unsere Gedan­ken in Spra­che aus. Eine Ände­rung bezie­hungs­weise der Ver­such einer Ände­rung der Spra­che führt lang­fris­tig auch zu einer Ände­rung in den Gedan­ken und ihrem Aus­druck. Im Falle von gen­der­ge­rech­ter Spra­che würde ich statt Äde­rung auch eher das Wort „Erwei­te­rung“ nut­zen. Spra­che kann ein unglaub­lich prä­zi­ses Werk­zeug zur Ver­stän­di­gung sein. Dass „Teil­neh­mer“ sowohl Ein­zahl männ­lich, Plu­ral männ­lich und Plu­ral männ­lich-weib­lich-gemischt sein kann, kann zum einen als eine Ver­ein­fa­chung betrach­tet wer­den. Zum ande­ren macht es die Sache aber auch etwas unge­nau. Wenn es also auf Prä­zi­sion ankommt, zum Bei­spiel damit sich nie­mand aus­ge­schlos­sen fühlt, bie­tet also die gen­der­ge­rechte Spra­che Mög­lich­kei­ten, die die deut­sche Spra­che sonst nicht hätte. Mit Teil­neh­mer, Teil­neh­me­rin und Teilnehmer*innen kann sehr genau dar­ge­stellt wer­den, wer gemeint ist.

Zur Kri­tik

Es sind zwei Haupt­kri­tik­punkte, die beson­ders oft ange­führt wer­den: 1. Gen­dern macht Texte unnö­tig kom­pli­ziert, sieht unschön aus und stört den Lese­fluss. Und 2. ist Gen­dern unnö­tig, da das gene­ri­sche Mas­ku­li­num doch alle mit ein­schließt. Was stel­len wir uns also so an?

Zu 1: Kom­pli­ziert ist nur, was wir kom­pli­ziert machen. Tat­säch­lich habe ich frü­her auch mal behaup­tet, dass das ewige „Schü­le­rIn­nen“ in den Mit­tei­lun­gen mei­ner Schule mei­nen Lese­fluss behin­dern würde. Bis ich irgend­wann fest­ge­stellt habe, dass dem nicht so ist. Schü­le­rIn­nen ist nicht nur kür­zer als „Schü­ler und Schü­le­rin­nen“, es liest sich auch schnel­ler. Im End­ef­fekt ist es bloß Gewöh­nungs­sa­che. Manch­mal gibt es For­mu­lie­run­gen, die zum Gen­dern denk­bar undank­bar sind. Oft las­sen sich aber Alter­na­ti­ven fin­den, die ein­fa­cher und kla­rer sind. Sicher, dafür muss man auch mal län­ger über­le­gen. Aber sollte das Über­le­gen nicht grund­sätz­lich zum For­mu­lie­ren dazu­ge­hö­ren? Wirk­lich gute, schöne oder prä­zise Texte ent­ste­hen sel­ten, ohne wie­der­hol­tes Umschrei­ben, Refor­mu­lie­ren, Löschen, Über­den­ken und Kor­ri­gie­ren. Spra­che ist eben sehr kom­plex (daher gibt es ja über­haupt die Sprach­wis­sen­schaft). Und egal von wem für wen gerade for­mu­liert wird: Ein gewis­ses Mini­mum an Mühe sollte das Gegen­über wohl erwar­ten kön­nen. In die­sem Sinne ist gen­der­ge­rechte Spra­che ein Aus­druck von Respekt und Wertschätzung.

Zu 2: Aus­ge­hend von Respekt und Wert­schät­zung stel­len wir uns so an, weil es um 50% der Mensch­heit geht, sogar etwas mehr, beden­ken wir all jene, die sich einer Zutei­lung in die Grup­pen männlich/weiblich ent­zie­hen (möch­ten). 50% (und mehr) der Mensch­heit sprach­lich erkenn­bar mit­ein­zu­be­zie­hen, sollte jede Mühe rechtfertigen.

Zwang und Zweck

Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen: Gen­der­ge­rechte Spra­che soll kein Zwang sein. Es ist voll­kom­men akzep­ta­bel, wenn jemand, egal wer, sich dage­gen ent­schei­det, eine der vie­len Vari­an­ten zu nut­zen. Es gibt auch keine rich­tige oder fal­sche Vari­ante. Ebenso muss man nicht ver­su­chen, das Wort „man“ voll­stän­dig zu ver­mei­den, weil es von „Mann“ abge­lei­tet ist. Es kann ein sehr hilf­rei­ches Wort sein. Gen­der­ge­rechte Spra­che ist immer mit einer Zweck­frage ver­bun­den: Wo macht der Ein­satz Sinn und wo nicht? In der gespro­che­nen Spra­che ist gen­der­ge­rechte Spra­che zum Bei­spiel schwie­ri­ger umzu­set­zen, weil For­mu­lie­run­gen nicht wie­der über­ar­bei­tet wer­den kön­nen. Gespro­chene Spra­che ist schnell. Aber vie­les kann über Ges­tik und Mimik hin­zu­ge­fügt wer­den. Die Schnel­lig­keit gespro­che­ner Spra­che ent­schul­digt den­noch nicht alles. Ein gewis­ses Bewusst­sein für die Spra­che sollte vor­han­den sein. Es lohnt sich, ein klein wenig zu zögern, wenn dadurch auch nur ein Mensch weni­ger ver­letzt wird. Und nicht ver­ges­sen: Was eine Ver­let­zung der Gefühle ist, bestim­men die Betrof­fe­nen selbst.

Alles, was ich über gen­der­ge­rechte Spra­che gesagt habe, gilt auch für poli­tisch kor­rekte Spra­che. In die­sem Zusam­men­hang möchte ich einen wei­te­ren Grund anbrin­gen, warum Acht­sam­keit mit Spra­che so wich­tig ist: Der aller­größte Teil der Wör­ter, die wir benut­zen, hat eine Jahr­hun­derte, wenn nicht gar Jahr­tau­sende alte Geschichte. Jedes Wort durch­läuft eine Ent­wick­lung. Man­che Wör­ter gera­ten in Ver­ges­sen­heit, ste­hen im Duden als „ver­al­tet“. Andere erle­ben einen soge­nann­ten Bedeu­tungs­wan­del. Frau etwa (bzw. frouwe) war im Mit­tel­hoch­deut­schen nur die Bezeich­nung für Frauen höhe­rer Stel­lung. Heute ist die­ses Wort die Anrede für alle Frauen. Spra­che ist immer im Wan­del. Oder wie eine andere Sprach­wis­sen­schafts­do­zen­tin an mei­ner Uni es aus­drückte: Stellt es euch wie einen Tram­pel­pfad vor. Der Weg zur Bus­hal­te­stelle führt an der Wiese vor­bei. Ein Mensch nimmt die Abkür­zung über die Wiese, ohne die Absicht zu haben, einen Tram­pel­pfad zu schaf­fen. Aber die ande­ren Men­schen machen es ihm nach, weil die­ser Weg kür­zer ist.

Drei Bei­spiele

Zurück zu dem, was ich eigent­lich sagen wollte: Jedes Wort hat also seine eigene Geschichte. Und wie das mit Geschich­ten so ist: man­che sind schön, andere nicht. Ein Wort wird als poli­tisch nicht kor­rekt bezeich­net, weil seine Ver­wen­dung in der Ver­gan­gen­heit heute schlechte Asso­zia­tio­nen her­vor­ruft. Ein Bei­spiel: Das Wort „Neger“ wurde in der Kolo­ni­al­zeit von „den Wei­ßen“ als Bezeich­nung für „die Schwar­zen“ benutzt, par­al­lel zu Aus­drü­cken wie „Wilde“ und „Moh­ren“. Es ist Aus­druck des gewalt­sa­men Ver­hält­nis­ses zwi­schen Herr­schen­den und Sklav*innen. Diese Ver­bin­dung bleibt und macht das Wort daher poli­tisch inkor­rekt und belei­di­gend. Es kann vor­kom­men, dass es durch über­eif­rige Suche nach Alter­na­ti­ven zu Ver­schlimm­bes­se­run­gen kommt. Bes­tes Bei­spiel dafür ist das für den „Irr­sinn“ der poli­tisch kor­rek­ten Spra­che gern ange­brachte Wort „maxi­mal­pig­men­tiert“, das a) wegen unter­schied­li­cher Haut­ty­pen ohne­hin nicht auf jede Per­son mit dunk­le­rer Haut­farbe zutref­fen kann und b) klingt wie eine Krank­heit. Aber das macht die Suche nach und vor allem Ver­wen­dung von Alter­na­ti­ven nicht weni­ger sinnvoll.

Ein wei­te­res Bei­spiel: Es gibt den Aus­spruch „Jedem das Seine“. Er wird oft ver­wen­det und lässt sich auch oft ver­wen­den. Auch ich habe ihn schon häu­fig benutzt. Bis zu dem Zeit­punkt, in dem mir bewusst wurde, was am Tor des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Buchen­wald steht, so geschrie­ben, dass es die Häft­linge von Innen lesen konn­ten: „Jedem das Seine“. Die Nazis haben die­sen Spruch natür­lich nicht erfun­den. Aber wie sie es mit so vie­lem gemacht haben, haben sie ihn für ihre Zwe­cke ein­ge­spannt und damit ihren Abdruck dar­auf hin­ter­las­sen. „Jedem das Seine“ hat für mich seit­dem mehr als nur einen bit­te­ren Nach­ge­schmack. Das glei­che gilt auch für andere Wör­ter, etwa „Lügen­presse“ oder „völ­kisch“.

Nur noch ein letz­tes Bei­spiel: Seit ein paar Jah­ren merke ich, dass das Wort „Gut­mensch“ gehäuft benutzt wird, um mehr oder weni­ger (meist mehr) ernst gemeint abfäl­lig über Men­schen zu spre­chen, die sich stark sozial enga­gie­ren, beson­ders wenn sie dabei mal übers Ziel hin­aus­schie­ßen. Aber diese Ver­wen­dung ist para­dox: Wie kann es schlecht sein, ein guter Mensch, also „Gut­mensch“ zu sein?

Auf Spra­che achten

Wenn wir Wör­ter mit nega­ti­ver Kon­no­ta­tion nut­zen, ohne die Absicht, diese Kon­no­ta­tion her­vor­zu­ru­fen oder damit jeman­des Gefühle zu ver­let­zen, ver­hin­dert das trotz­dem nicht, dass diese Ver­bin­dung bei ande­ren her­vor­ge­ru­fen wird. Das kann zu Miss­ver­ständ­nis­sen füh­ren, die wie­derum zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen füh­ren kön­nen. Aber über Kom­mu­ni­ka­tion lässt sich das sicher oft klä­ren. Wich­tig ist dabei immer, zu beden­ken, dass nicht alle, die nega­tiv besetzte Wör­ter nut­zen, sich des­sen auch voll bewusst sind. Und jemand, der drauf hin­ge­wie­sen wird, dass er oder sie ein ver­let­zen­des oder unpas­sen­des Wort gebraucht hat, sollte wis­sen, dass die­ser Hin­weis nicht gleich ein Angriff auf die eigene Per­son ist. Es ist eine Hil­fe­stel­lung, damit man beim nächs­ten Mal in einer ähn­li­chen Situa­tion das Wort viel­leicht nicht mehr oder sehr viel vor­sich­ti­ger verwendet.**

Was möchte ich mit die­sem Pam­phlet aus­drü­cken? Spra­che ist als Aus­druck und gleich­zei­tig Grund­lage unse­res Den­kens unglaub­lich wich­tig. Sie ist ein kom­ple­xes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug, das alle Mög­lich­kei­ten für prä­zise Aus­sa­gen und den­noch viel Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum bie­tet. Spra­che kann genauso ver­bin­den wie ver­let­zen. Sie ist die Grund­lage, auf der unser Zusam­men­le­ben funk­tio­niert. Ohne Spra­che keine Kom­mu­ni­ka­tion, ohne Kom­mu­ni­ka­tion keine gesell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tion. Auf Spra­che zu ach­ten, sich mit ihr Mühe zu geben, ist daher keine ver­schwen­dete Zeit. Spra­che ist der Aus­druck unse­rer selbst.

* Das gene­ri­sche Femi­ni­num (liebe Lese­rin­nen) lasse ich hier außen vor, da ich es nicht als gen­der­ge­recht betrachte. Schließ­lich ver­hält es sich wie das gene­ri­sche Mas­ku­li­num, nur für das andere Geschlecht. Außer­dem wird es wegen des gewohn­ten gene­ri­schen Mas­ku­li­nums oft nur als Witz wahr­ge­nom­men oder gar nicht erst als gene­risch (also alle ein­schlie­ßend) verstanden.

** Ein gutes Bei­spiel für (kon­struk­tive) Kom­mu­ni­ka­tion zwi­schen bei­den Par­teien ist der eng­lisch­spra­chige Pod­cast „Con­ver­sa­ti­ons With People Who Hate Me“ des ame­ri­ka­ni­schen Schau­spie­lers und Spre­ches Dylan Mar­ron, der in jeder Folge mit einem Men­schen spricht, der ihm eine belei­di­gende Nach­richt geschickt hat.
www​.dyl​anmar​ron​.com/​p​o​d​c​a​st/

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Kun­ter­bunt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.
Bild: pexels​.com, Illus­tra­tion: Zei­len­schwim­me­rin Ronja

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