Platz da, hier kommt eine Liebesgeschichte! Deutscher Buchpreis

by Worteweberin Annika

Alles geht los mit selt­sa­men Him­bee­ren. Was dann kommt, lässt den Prot­ago­nis­ten in „Hys­te­ria“ von Eck­hart Nickel an Natur und Mensch zwei­feln. Worte­we­be­rin Annika zwei­felt eben­falls, aber am Roman.

Eini­ges ist anders an der Welt, in der Berg­heim, der Prot­ago­nist, lebt: Eine Umwelt­par­tei regiert, Alko­hol wurde ver­bo­ten, viele Regio­nen der Erde sind ver­steppt und eig­nen sich nicht für den Anbau von Nah­rungs­mit­teln. Eine erschre­ckende, lei­der vor­stell­bare Zukunfts­vi­sion – eine Dys­to­pie. In die­ser Welt nun gibt es eine Bewe­gung, die alle Spu­ren des Men­schen vom Pla­ne­ten til­gen möchte, zu viel Schlech­tes habe er ange­rich­tet. Und außer­dem gibt es das kuli­na­ri­sche Insti­tut, in dem Lebens­mit­tel und Lebe­we­sen durch erschre­ckende Ein­griffe in die Natur erzeugt werden.

Ver­schenk­tes Potenzial

Der Ent­wurf die­ser Welt hat Poten­zial, steu­ert unsere Gesell­schaft doch auf einen enor­men Kli­ma­wan­del und davon aus­ge­löste Kri­sen fast unauf­halt­sam zu. Aber „Hys­te­ria“ schöpft das kri­ti­sche Poten­zial nicht aus. Zu schwach blei­ben die dys­to­pi­schen Ele­mente, zu undeut­lich wird die Bedro­hung, der Berg­heim auf der Spur ist. Aus einem ein­fa­chen Grund: Eine Lie­bes­ge­schichte drängt sich in den Vordergrund.

Begrün­det liegt die in Berg­heims Stu­di­en­zeit, als die Bewe­gung des „Spu­ren­lo­sen Lebens“ gerade auf­keimte. Mit Char­lotte und Ans­gar bil­dete Berg­heim ein unzer­trenn­li­ches Trio. Seine Lie­bes­be­zie­hung zu Char­lotte musste auch des­we­gen für alle ein Geheim­nis blei­ben. Die nicht ganz heim­lich in Berg­heim ver­liebte Buch­händ­le­rin Kirs­ten aller­dings ahnte etwas. Am Tag, an dem Berg­heim seine Diplom­ar­beit abgab, ging dann alles in die Brü­che und läuft erst viele Jahre spä­ter im Kuli­na­ri­schen Insti­tut wie­der zusammen.

Kätz­chen statt Tiger

Durch ein Erin­ne­run­gen her­auf­be­schwö­ren­des Gerät unter­nimmt Berg­heim hier an Zeit­rei­sen erin­nernde Abste­cher in seine Ver­gan­gen­heit, die einen Groß­teil der Hand­lung bil­den. Diese Zeit ist unse­rer heu­ti­gen Gegen­wart nicht ganz unähn­lich, aller­dings schreibt man hier noch ein Diplom und wei­ter­hin auf Papier statt digi­tal, so dass sie sich einer tat­säch­li­chen Ver­or­tung ent­zieht. Auch, weil Nickel viel in die Aus­ge­stal­tung die­ser Zeit inves­tiert, bleibt Berg­heims eigent­lich bedroh­li­che Gegen­wart ein zah­mes Kätz­chen, selt­sam uner­gründ­lich. Viel Bri­sanz geht dadurch ver­lo­ren, dass es sogar zwei­fel­haft erscheint, dass Berg­heims Gegen­wart eine Folge unse­rer eige­nen sein könnte.

Mit „Hys­te­ria“ hat Eck­hart Nickel es auf die Lon­g­list des Deut­schen Buch­prei­ses geschafft. In den Rezen­sio­nen der gro­ßen Zei­tun­gen wird ein Hor­ror­trip gelobt, den zumin­dest ich in die­sem Roman gar nicht fin­den konnte. Was teils als Sci­ence-Fic­tion klas­siert wird, erin­nert doch viel mehr an melan­cho­li­sche Cam­pus-Novels mit hau­fen­wei­sen intel­lek­tu­el­len Zita­ten und Anspie­lun­gen. Aber braucht es das, um vom „gehei­men Ein­zug der Künst­lich­keit in unser Leben“ (Klap­pen­text) zu erzäh­len? Statt zwei­glei­sig zu fah­ren und von allem etwas sein zu wol­len, hätte es „Hys­te­ria“ gut getan, sich für eines zu ent­schei­den. Ob es aller­dings ein rich­ti­ger Sci­ence-Fic­tion-Roman in die Aus­wahl für den Buch­preis geschafft hätte, kann man sich auch fragen.

Wer einen kri­ti­schen Roman über Umwelt­pro­bleme und andere Fra­gen unse­rer Zukunft lesen möchte, sollte lie­ber nicht zu „Hys­te­ria“ grei­fen. Wer ein biss­chen von allem sucht und sich dabei intel­lek­tu­ell füh­len möchte, schon eher.

Hys­te­ria. Eck­hart Nickel. Piper. 2018.

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