Pseudo-Nachruf auf Grass

by Bücherstadt Kurier

Ein spä­ter Nach­ruf, nach­zu­sen­den an Herrn Gün­ter Grass, irgendwo in den Rei­hen der lite­ra­risch Schaf­fen­den im Nachleben.

Sehr geehr­ter Herr Grass,

es ist durch­aus unüb­lich Toten noch einen Brief ins Jen­seits nach­zu­sen­den, aber lei­der hatte ich keine Gele­gen­heit, Sie zu Leb­ta­gen per­sön­lich zu tref­fen. Ich hoffe, Sie füh­len sich in Ihrer Toten­ruhe nicht von die­sem Nach­hall der Welt gestört.

Dass Sie einer der Gro­ßen der Nach­kriegs­zeit wer­den wür­den, ahnte am Tag Ihrer Geburt am 16. Okto­ber 1927 noch nie­mand. Erst zwan­zig Jahre spä­ter, mit der Gruppe ’47 sollte Ihr Ruhm besie­gelt wer­den. Sie wirk­ten bereits damals bestim­mend in den lite­ra­ri­schen Krei­sen mit, und hat­ten Ihr Roman­de­büt 1959 mit „Die Blech­trom­mel“. Sie ver­öf­fent­lich­ten in den fol­gen­den Jah­ren wei­ter – etwa „Das Tref­fen in Telgte“, das gern als Schlüs­sel­ro­man auf dop­pel­ter Ebene gele­sen wird. Einer­seits ver­ar­bei­ten Sie darin, so sagt man, die Erleb­nisse der Nach­kriegs­zeit, als die Gruppe ’47 sich unter Hans Wer­ner Rich­ter darum bemühte, die dis­kre­di­tierte Spra­che neu zu beset­zen, frei­zu­ma­chen vom natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gedan­ken­gut. Es gelang Ihnen nicht ganz – doch die Hom­mage an die Gruppe zeich­net sich in der Cha­rak­te­ri­sie­rung der baro­cken Dich­ter, die sich im Roman nach dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg in Telgte tref­fen, ist unverkennbar.
Ihnen wird lite­ra­ri­sches Genie nach­ge­sagt – 1999 bestä­tigte sich dies für Sie durch einen Literatur-Nobelpreis.

Nun, ich schreibe Ihnen eigent­lich aus fol­gen­dem Anlie­gen: ein Nach­ruf zu Ihnen soll her. Es wäre gut, wenn ich es schaffte, löb­lich von Ihnen zu spre­chen und Ihre lite­ra­ri­sche Größe noch etwas zu sti­li­sie­ren, die Klein­hei­ten darin zu kaschie­ren. Oder ist dies nicht der Brauch bei Nachrufen?

Ein Bekennt­nis: Bis zum Beginn mei­nes Stu­di­ums hatte ich nichts von Ihnen, noch von der Gruppe ’47 gehört, noch von Vor­wür­fen zu Akti­vi­tä­ten zu Zei­ten des Natio­nal­so­zia­lis­mus Ihrer­seits, für die Sie kri­ti­siert wur­den. (Egal, wel­che Rolle Sie spiel­ten: eine muss­ten Sie ein­neh­men als Teil­neh­mer an der zeit­ge­nös­si­schen Geschichte.) Ver­mut­lich hätte ich außer­halb uni­ver­si­tä­rer und schu­li­scher Kreise auch nicht wei­ter dar­über nach­ge­dacht, aber nach­dem ich mich, bewaff­net mit Schlüs­seln und Schloss durch „Das Tref­fen in Telgte“ bewegt hatte, konnte ich mich Ihnen nicht mehr ent­zie­hen. Eines bleibt bewun­derns­wert: Wie Sie mit ihrer Situa­tion in und nach dem Krieg lite­ra­risch umgehen.

Hoch­ach­tungs­voll
Wort­klau­be­rin Erika

Illus­tra­tion: Aaron

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Dorothea Ender 10. Juni 2015 - 7:27

Ich werde mir in Zukunft ange­wöh­nen, Ihre Arti­kel ganz genau durch­zu­le­sen. Lei­der über­fliege ich man­ches in der Eile und so ent­geht mir dann hin und wie­der eine wich­tige Bemerkung.

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