Sarkastisches Schattenspiel

by Worteweberin Annika

Vor 65 Jah­ren, in den prü­den 50ern, sorgte Fran­çoise Sagans Debüt „Bon­jour tris­tesse“ für Auf­se­hen. Im Nach­lass der Autorin fand man jetzt einen unvoll­ende­ten Roman, der als „Die dunk­len Win­kel des Her­zens“ auf Deutsch erschie­nen ist. Worte­we­be­rin Annika hat ihn sich angesehen.

Auf dem Ansitz der Fami­lie Cres­son, la Cres­son­nade genannt, bre­chen sich die Gefühle Bahn. Henri und seine zweite Ehe­frau San­dra füh­ren eine Ehe in gegen­sei­ti­ger Ver­ach­tung. Die Ehe von Hen­ris Sohn Ludo­vic und Marie-Laure hat eben­falls schon bes­sere Tage gese­hen. Spä­tes­tens aber seit Ludo­vic nach einem Auto­un­fall vor eini­gen Jah­ren diverse Kli­ni­ken durch­lau­fen hat und als ver­rückt gilt, ist die Bezie­hung voll­kom­men im Eimer.

Wäh­rend Henri ver­sucht, Ludo­vic durch Bor­dell­be­su­che auf­zu­päp­peln und ein Ball zur Reha­bi­li­ta­tion des viel­leicht doch nicht Ver­rück­ten geplant wird, wird die Fami­lie durch zwei Gäste auf Trab gehal­ten: San­dras Bru­der Phil­ippe und Marie-Lau­res Mut­ter Fanny. Letz­tere sorgt für reich­lich Wir­bel unter den männ­li­chen Haus­be­woh­nern, die sich ihr ein­fach nicht ent­zie­hen können.

Sagan zeich­net ihre Figu­ren böse, sar­kas­tisch, unsym­pa­thisch, ja abschät­zig. „Henri Cres­sons Feh­ler waren eher man­gelnde gute Eigen­schaf­ten“ (S. 17), heißt es zum Bei­spiel, oder über Marie-Laure, sie sei „bla­siert und unge­bil­det, hatte sich aber dank einer Mischung aus zeit­ge­mä­ßen Lek­tü­ren, Plat­ti­tü­den und Tabus eine brauch­bare Fas­sade zuge­legt.“ (S. 6) Sie blei­ben blut­leere Skiz­zen von Figu­ren, ihre Hand­lun­gen erin­nern an ein zwei­di­men­sio­na­les Schat­ten­spiel. Nur an Fanny lässt die Autorin ein gutes Haar. Zum Mit­fie­bern mit den Figu­ren und ihren zwi­schen­mensch­li­chen Ver­wick­lun­gen lädt diese Aus­gangs­si­tua­tion nicht ein.

Meine Lek­türe von „Bon­jour tris­tesse“ liegt schon einige Jahre zurück, doch ich habe den Roman als char­mant, leicht­fü­ßig und spitz­zün­gig in Erin­ne­rung behal­ten. Außer spitz­zün­gig würde ich „Die dunk­len Win­kel des Her­zens“ kei­nes die­ser Attri­bute zuord­nen. Es deu­tet sich den­noch an, dass aus die­sem Text deut­lich mehr hätte wer­den kön­nen, hätte Fran­çoise Sagan ihn been­det. In eini­gen Zei­len kann man die sprach­li­che Ver­siert­heit der Autorin erken­nen, und den Roman all­ge­mein zügig und mit etwas Amü­se­ment lesen – damit er aber in Erin­ne­rung blei­ben könnte, fehlt ihm noch min­des­tens der Feinschliff.

Anzu­mer­ken ist aller­dings, dass die Ver­öf­fent­li­chung von Sagans Sohn Denis West­hoff sogar schon bear­bei­tet wurde, von Kür­zun­gen und Ergän­zun­gen ist im Nach­wort die Rede. Genaue­res dazu bleibt jedoch im Dun­keln, was in den meis­ten Rezen­sio­nen kri­tisch ange­merkt wird. Denn auch wenn diese Edi­tion das Lesen erleich­tert, viel­leicht sogar erst ermög­licht, macht sie doch neugierig.

Die dunk­len Win­kel des Her­zens. Fran­çoise Sagan. Über­set­zung: Wal­traud Schwarze, Ame­lie Thoma. Ull­stein. 2019.

Auf Nacht und Tag Blog hat Nicole Sei­fert einen lesens­wer­ten Arti­kel über Fran­çoise Sagan und ihr Früh­werk geschrieben.

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