Schauer auf hohem Niveau #Todesstadt

by Geschichtenerzähler Adrian

Neben H.P. Love­craft war Edgar Allan Poe eines der Hor­ror­ge­nies sei­ner Zeit. 2012 erschien im Kne­se­beck-Ver­lag mit „Das ver­rä­te­ri­sche Herz und andere unheim­li­che Geschich­ten“ eine Samm­lung von vier sei­ner Gru­sel­ge­schich­ten. Geschich­ten­er­zäh­ler Adrian und Geschich­ten­zeich­ne­rin Celina schau­ert es nicht nur bei den Geschich­ten, son­dern sie bewun­dern auch die fabel­haf­ten Illustrationen.

In der ers­ten Geschichte, „Das ver­rä­te­ri­sche Herz“, erzählt ein Mann detail­liert, wie er den Haus­her­ren, der gleich­zei­tig sein Arbeit­ge­ber ist, ermor­det und wie ihn das gleich­mä­ßige Pochen des­sen Her­zens lang­sam aber sicher in den Wahn­sinn treibt.

In „Die Methode von Dok­tor Teer und Pro­fes­sor Feder“ besucht ein jun­ger Arzt eine abge­le­gene Ner­ven­kli­nik und wird nach einem kur­zen Gespräch mit dem Lei­ter zu einem Ban­kett ein­ge­la­den, an dem auch die rest­li­chen Ange­stell­ten des Hau­ses teil­neh­men. Wäh­rend die ein­zel­nen Gäste Geschich­ten von Gescheh­nis­sen in der Anstalt erzäh­len, fällt dem jun­gen Besu­cher auf, wie selt­sam sich die Anwe­sen­den verhalten.

Die Geschichte „Die läng­li­che Kiste“ han­delt von eben jener namens­ge­ben­den Kiste, wel­che ein Künst­ler an Bord eines Pas­sa­gier­schiffs bringt, um mit die­ser zusam­men mit sei­ner Fami­lie nach New York über­zu­set­zen. Ein alter Freund des Künst­lers, wel­cher zufäl­lig eben­falls an Bord ist, rät­selt dar­über, wel­ches Geheim­nis diese Kiste ber­gen könnte.

„Die Tat­sa­chen im Fall Val­de­mar“ stellt sich die Frage, was pas­siert, wenn ein Toter nicht stirbt. Wenn er in sei­nem Kör­per gefan­gen wird und seine Seele nicht dem ver­fal­len­den Fleisch ent­kom­men kann.

Der Hor­ror des mensch­li­chen Verstandes

Edgar Allan Poe gilt neben sei­nem gro­ßen Ein­fluss auf Kri­mi­nal­ge­schich­ten auch als Pio­nier im Genre des soge­nann­ten Gothic Hor­rors. So basiert der Hor­ror in die­sen vier Geschich­ten weni­ger auf kör­per­li­chen, dafür aber zum gro­ßen Teil auf psy­cho­lo­gi­schem Gru­sel. Poe spielt mit dem Gedan­ken von Irr­sin­ni­gen, Wahn­haf­ten und jene, die an der Schwelle des­sen ste­hen, was der mensch­li­che Ver­stand ver­kraf­tet. Schon als Poes Prot­ago­nist in der ers­ten Geschichte – „Das ver­rä­te­ri­sche Herz“ – haar­klein schil­dert, wie und was ihn Stück für Stück in den Wahn­sinn treibt, lässt detail­ge­treu nach­emp­fin­den, wel­cher Wahn im Geiste diese Man­nes umherspukt.

Bil­der, die Geschich­ten erzählen

Die von Zeich­ner Gris Grimly zu den Geschich­ten gestal­te­ten Illus­tra­tio­nen unter­strei­chen wun­der­bar die ein­zel­nen Sze­nen und las­sen die Betrach­ter die Geschichte noch inten­si­ver erle­ben. Die Zeich­nun­gen spie­geln eben jenen Wahn­sinn wider, den Poe in sei­nen Geschich­ten dar­stellt. In dem bild­lich gestal­te­ten Wer­de­gang der vor­kom­men­den Per­so­nen kann man genau able­sen, wie sie immer wei­ter dem Irr­sinn ver­fal­len. Wirk­ten die Figu­ren anfangs noch, dem Zei­chen­stil ent­spre­chend, nor­mal, so ändert sich über die Geschichte hin­weg die Ges­tik und Mimik die­ser. Zum Ende hin wir­ken sie gera­dezu über­spitzt und ver­zerrt. Unter ande­rem wird dies in der zwei­ten Geschichte – „Die Metho­den von Dok­tor Teer und Pro­fes­sor Feder“ – an den Hand­lun­gen der Tisch­ge­sell­schaft erkenn­bar, wel­che bei­nahe einer Szene aus „Alice im Wun­der­land“ ent­sprun­gen scheinen.

Die Illus­tra­tio­nen wir­ken wie aqua­rel­lierte Zeich­nun­gen, was an den Farb­ver­läu­fen und ihren prä­gnan­ten Kon­tu­ren zu sehen ist. Beson­ders Hin­ter­gründe sind farb­lich nuan­ciert abge­stimmt und geben die Atmo­sphäre wie­der, wobei die unheim­li­chen Sze­nen immer düs­te­rer wir­ken. Die Figu­ren wei­sen eine aus­ge­prägte und stil­be­wusste Ges­tik und Mimik auf. Durch den Zei­chen­stil und die farb­li­che Gestal­tung ist ein hoher Grad an Dyna­mik in den Illus­tra­tio­nen zu erkennen.

Ist es ein Bil­der­buch oder ein Comic?

Durch die flie­ßen­den und dyna­misch zusam­men­hän­gen­den Bil­der macht das Buch bei­nahe den Ein­druck eines Comics. Auch da Gris Grimly gerne Rah­men und Umran­dun­gen für ein­zelne Text­pas­sa­gen sowie eine Art Sprech- und Denk­bla­sen ver­wen­det. Es ist jedoch mehr­heit­lich ein Bil­der­buch, wel­ches aller­dings Ele­mente vom Comic mit ein­be­zieht. Somit wird die Geschichte unter­malt und eine gelun­gene Illus­tra­ti­ons­form ent­steht. So gibt es etwa Sprech­bla­sen, die aber trotz­dem einen Teil des Fließ­tex­tes ent­hal­ten oder eine in drei Panels ablau­fende Sequenz der Geschichte, die dazu dient, die Ver­än­de­rung einer Figur über einen bestimm­ten Zeit­raum in Szene zu setzen.

Ein Spaß am Gruseln

„Das ver­rä­te­ri­sche Herz und andere unheim­lich Geschich­ten“ hül­len die vier hier auf­ge­führ­ten Werke des Alt­meis­ters in ein unheim­lich bemer­kens­wer­tes, neues Gewand ein. Das Buch regt zum immer wie­der Durch­blät­tern und Rein­le­sen an. Die Geschich­ten sind keine typi­schen Lager­feu­er­ge­schich­ten, son­dern eher etwas für ruhige Momente. Auch wenn es eher ein hoch­gra­dig atmo­sphä­risch und dyna­misch illus­trier­tes Bil­der­buch ist, so wer­den auch Fans von Comics wie der „Sandman“-Reihe oder „Fables“ auf ihre Kos­ten kom­men. Die­ses Werk ist ein tol­les Bei­spiel dafür, dass Bil­der­bü­cher nicht gleich Kin­der­bü­cher sind.

Das ver­rä­te­ri­sche Herz und andere unheim­li­che Geschich­ten. Edgar Allan Poe. Illus­tra­tion: Gris Grimly. Über­set­zung: Gun­dula Mül­ler-Wall­raf. Kne­se­beck. 2012.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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