Schmerzliche, unerfüllte, utopische Sehnsucht

by Zeichensetzerin Alexa

Die Sehn­sucht ist etwas, das sich nicht so ein­fach erklä­ren lässt. Es ist ein „sehr kom­ple­xes Gefühl“, wie Rafik Schami im Nach­wort schreibt. „Ihr Kern ist das Ver­lan­gen nach dem Uto­pi­schen, Uner­füll­ba­ren.“ In der Antho­lo­gie „Sehn­sucht“ aus der Reihe „Sechs Sterne“ set­zen sich die sechs Autorin­nen und Autoren mit die­sem Gefühl aus­ein­an­der. – Von Zei­chen­set­ze­rin Alexa

Nach der letz­ten Antho­lo­gie zum Thema „Tiere“, geht es im aktu­el­len Band nun um ein Gefühl, das sich einer kla­ren Defi­ni­tion ent­zieht: Die Sehn­sucht ist etwas Indi­vi­du­el­les und wird als schmerz­lich, uner­füllt, aber auch süß­lich wahr­ge­nom­men. Dabei kann sich das Seh­nen auf „eine Per­son, eine Land­schaft, ein[en] Ort, eine Zeit (z.B. die Kind­heit) oder eine posi­tive Zukunft“ (S. 160) bezie­hen. Sehn­sucht ist das Gefühl, etwas haben oder errei­chen zu wol­len, das in dem Moment nicht mög­lich ist:

„Aber die Sehn­sucht, diese Sehn­sucht, ein grau­sa­mer Päch­ter, diese Sehn­sucht – lebens­läng­lich. Denn der Kör­per erin­nert sich an alles. Auch an einen Wunsch. Ein Begeh­ren. An eine Erfül­lung, die nie statt­ge­fun­den hat.“ (S. 97)

In den Kurz­ge­schich­ten von Rafik Schami, Franz Hoh­ler, Monika Hel­fer, Root Leeb, Michael Köhl­meier und Nataša Dragnić geht es um Heim­weh, uner­füllte Liebe, die Sehn­sucht nach einem gelieb­ten Men­schen, nach einem Ort aus der Ver­gan­gen­heit, aber auch um Sehn­sucht als „Sucht“. So ent­wi­ckeln die Prot­ago­nis­ten in den Geschich­ten „Liebe am fal­schen Platz“ (Monika Hel­fer) und „Wie Ultra­ma­rin“ (Root Leeb) eine Obses­sion. Das Ver­lan­gen, den ande­ren Men­schen wie­der­zu­se­hen, führt soweit, dass All­tag, Arbeit und Fami­lie ver­nach­läs­sigt wer­den. Alles dreht sich nur noch darum, den her­bei­ge­sehn­ten Men­schen zu ver­fol­gen und auszuspionieren.

Die Geschich­ten vari­ie­ren nicht nur in ihrer Länge, son­dern zei­gen auch viele unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf die „Sehn­sucht“ auf. Teils wir­ken sie sehr nüch­tern, weit ab vom Kitsch, wie man ihn mög­li­cher­weise bei einem Thema wie die­sem erwar­ten würde. Andere hin­ge­gen trans­por­tie­ren durch den Schreib­stil große Emo­tio­nen. Die Viel­falt zeigt sich ins­be­son­dere durch die unter­schied­li­chen Inter­pre­ta­tio­nen der „Sehn­sucht“, wel­che aller­dings auch nach der Lek­türe ungreif­bar bleibt. Es ist eben ein „sehr kom­ple­xes Gefühl“ und nicht jeder Geschichte in die­ser Antho­lo­gie gelingt es, die Sehn­sucht zu ent­schlüs­seln oder zu ver­mit­teln. Lesens­wert ist die­ser Band dennoch.

Sehn­sucht. Rafik Schami, Franz Hoh­ler, Monika Hel­fer, Root Leeb, Michael Köhl­meier, Nataša Dragnić. ars vivendi. 2018.

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