Schnell wie eine Heuschrecke oder: Du bist, was du isst

by Bücherstadt Kurier

Dan zog lang­sam die Schuhe an. Der Lauf um die Schul­meis­ter­schaft stand unmit­tel­bar bevor. Ein schö­ner Sams­tag, die­ses letzte Juni-Wochen­ende bot her­vor­ra­gen­des Wet­ter. Das Schul­jahr näherte sich dem Ende, alle Klas­sen­ar­bei­ten und auch die Abitur­klau­su­ren waren längst geschrie­ben, da konnte man sich dem Sport wid­men. Für Dan, der ein zwar akzep­ta­bles, aber nicht her­aus­ra­gen­des Abitur geschafft hatte, waren das die 1000 Meter, eine klas­si­sche, aber nicht olym­pi­sche Distanz. Dies war die letzte Schul­ver­an­stal­tung sei­nes Lebens und er strebte einen wür­di­gen Abschluss sei­ner Schul­zeit an. Seine Kon­kur­ren­ten waren alle aus der Ober­stufe, die Mit­tel­stufe und die Unter­stufe hat­ten eigene Läufe.

Dan war schlank, mit sei­nen 180 cm nach heu­ti­gen Begrif­fen eher mit­tel­groß. Sie­ben Läu­fer stan­den neben ihm am Start. Seine Haupt­kon­kur­ren­ten waren die wesent­lich kräf­ti­ge­ren Marc und Ben, die genau wie Dan in der 13. Klasse waren. Eine Figur wie ein V hatte die­ser Ben, bestimmt 1,90 Meter groß, ein attrak­ti­ver, jun­ger Mann. Ihn hatte Dan ges­tern noch beim Vor­bei­ge­hen durch das Fens­ter des ange­sag­ten Fast-Food-Ladens in der City gese­hen, Bur­ger essend. Mit Nikki, deren Anblick Dan einen Stich ins Herz ver­setzt hatte. Dabei hatte er sich bis vor kur­zem noch Hoff­nun­gen gemacht. Jetzt war sie dort auf der klei­nen Tri­büne und hoffte sicher­lich, dass Ben der Sieg gelänge ... Ben, der Strah­lende, Ben der Erfolg­rei­che, Ben, dem alles glückte ...

Dan ging lang­sam zum Start, wo Marc, des­sen Mus­keln auf­grund sei­nes ärmel­lo­sen Shirts deut­lich zu sehen waren, zu posie­ren schien. Sind die Muck­ies auf­ge­pumpt?, fragte sich Dan. Nahm Marc irgend­wel­che Pül­ver­chen? Jeden­falls begrüßte ihn der mit den Wor­ten: „Na, Dan, du Hun­ger­ha­ken, hast du über­haupt genug Kraft, um hin­ter mir die Ziel­li­nie zu pas­sie­ren? Soll­test viel­leicht öfter mal ein Steak essen!“ Die­ses dumme Gerede ver­diente keine Erwiderung.

„Ach­tung, fer­tig, los!“ Das Ren­nen begann, und Dan, der frü­her den Feh­ler gemacht hatte, zu zei­tig zuviel Tempo zu machen, lief erst­mal an vier­ter, fünf­ter Stelle, lau­ernd, auf seine Chance war­tend. Hin­ter Jörg, einem Zwölft­kläss­ler, befan­den sich bereits Marc und Ben, selbst­be­wusst, kraft­voll. Nach der Hälfte der Distanz lagen sie immer noch vorne, aber Dan war ganz locker. Gut trai­niert selbst­ver­ständ­lich, doch das war nicht alles. Denn er war mitt­ler­weile davon über­zeugt, dass Erfolg auch von der Nah­rung abhängt, die man täg­lich zu sich nimmt. Seit­dem er auf Fast-Food ver­zich­tete, fühlte er sich näm­lich wesent­lich bes­ser. Auch her­kömm­li­che Fleisch­pro­dukte mied er seit eini­ger Zeit. Statt­des­sen bevor­zugte er pro­te­in­rei­che Lebens­mit­tel auf Heu­schre­cken- und Algen­ba­sis, pro­bierte auch Sachen aus Soja oder Seegras.

Ernäh­rungs­the­men inter­es­sier­ten ihn, seit er ein­mal im War­te­zim­mer sei­nes Haus­arz­tes einen Arti­kel dar­über in die Hände bekom­men hatte. Da hatte er von den Treib­haus­ga­sen gele­sen, die durch die Mas­sen­tier­hal­tung ent­ste­hen, und davon, dass Vieh­zucht auch viel Was­ser­ver­brauch bedingt. Es war also offen­sicht­lich, dass die Ernäh­rung in Zukunft sich radi­kal ändern musste, um dem gestie­ge­nen Bedarf für immer mehr Men­schen gerecht zu wer­den. Gesund­heit und Umwelt­be­wusst­sein zähl­ten nun wesent­lich mehr, zudem erin­nerte sich Dan an die Erzäh­lun­gen sei­ner Oma, dass frü­her auch nicht soviel Fleisch geges­sen wor­den sei. Außer­dem war er auf die soge­nannte Paleo-Diät auf­merk­sam gewor­den, das heißt Ver­zicht auf Zucker, Getreide und Hül­sen­früchte sowie Geschmacks­ver­stär­ker, statt­des­sen viel Obst und Gemüse.

So fühlte er sich jetzt im Ren­nen auch rich­tig gut. Jörg, der bis­lang Füh­rende, ließ hin­ge­gen spür­bar nach. Zuerst zog Marc an ihm vor­bei. Dann auch Ben und Dan. Die kraft­vol­len Schritte der bei­den ande­ren trom­mel­ten auf der Lauf­bahn. Das spürte Dan deut­lich. Wuch­tig, stamp­fend. Irgend­wie bedroh­lich, ein­schüch­ternd. Doch Dan war leicht­fü­ßi­ger, aus­dau­ern­der. Sein Blut pul­sierte. Er spürte sei­nen eige­nen Atem.

Undeut­lich, brau­send kam der Lärm von der Tri­büne. Oh, waren sie schnell! Nur noch 50 Meter. Er begann zu sprin­ten. Wütend ver­such­ten die bei­den ande­ren dage­gen­zu­hal­ten. Kräf­ti­ger waren sie, gewiss ... Aber nicht so zäh, so kon­di­ti­ons­stark, so explo­siv und rasant! Dan beschleu­nigte noch ein­mal. Schließ­lich war er an ihnen vor­bei. Gab auf den letz­ten Metern noch ein­mal rich­tig Gas. Die ande­ren bei­den direkt hin­ter ihm! Ver­fol­gend, dro­hend, zum Über­ho­len anset­zend! Doch da war das Ziel­band ... Kam näher und näher! Wurde grö­ßer und grö­ßer! Dan warf seine Brust nach vorne und ... gewann! Erschöpft, aber glück­lich hob er die Arme, freute sich aus­lau­fend über sei­nen Sieg.

Marc, Ben und Jörg hat­ten hin­ter ihm die Ziel­li­nie über­quert, jetzt kamen die ande­ren. Schwer atmend stütz­ten sie sich mit den Fäus­ten auf die Knie, nach vorne gebeugt. Sie schau­ten hin­über zu Dan, dem Sie­ger. Des­sen Blick jedoch fiel auf Nikki, deren aus­drucks­lose Augen ins Nir­gendwo zu bli­cken schie­nen, wäh­rend sie oben auf der Tri­büne in einen Hot­dog biss. Kein schö­ner Anblick, irgend­wie ani­ma­lisch wir­kend mit dem auf­ge­ris­se­nen Mund, dachte Dan. Doch da kam schon der Schul­di­rek­tor auf ihn zu, einen Sie­ger­kranz in der Hand ...

Text: Jür­gen Rösch-Brassovan
Illus­tra­tion: Feder­schrei­be­rin Kristina

Ein Bei­trag zum Spe­cial #lit­fut­ter.
Hier fin­det ihr alle Beiträge.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr