Schönheit im Schatten

by Worteweberin Annika

Von Jean-Marc Ceci hat sich Worte­we­be­rin Annika in die Welt des Washi und Ori­gami ein­wei­sen las­sen und fin­det: „Herr Ori­gami“ ist ein klei­ner, aber berüh­ren­der Text.

Herr Ori­gami heißt eigent­lich Meis­ter Kuro­giku. Vor vie­len Jah­ren kam er aus Japan nach Ita­lien, um eine Frau zu fin­den, in die er sich bei einer flüch­ti­gen Begeg­nung ver­liebt hatte. Sie fand er nicht, wohl aber einen Platz, um zu blei­ben und sei­nem Hand­werk nach­zu­ge­hen. Meis­ter Kuro­giku stellt tra­di­tio­nel­les japa­ni­sches Papier, Washi, her und fal­tet dar­aus Ori­gami. Eines Tages taucht ein jun­ger ita­lie­ni­scher Uhr­ma­cher bei Meis­ter Kuro­giku auf. Die bei­den nähern sich ein­an­der lang­sam an, tau­schen sich aus und begin­nen, von­ein­an­der zu lernen.

Washi als Kulturerbe

„Herr Ori­gami“ ist natür­lich ein Buch über die Tra­di­tion des Washi und des Ori­gami. Ein­ge­bet­tet ist die Roman­hand­lung in kurze Pas­sa­gen, die über die Auf­nahme des Washi in das imma­te­ri­elle Kul­tur­erbe der Mensch­heit. Das, was Meis­ter Kuro­giku im Pri­va­ten betreibt, hat also auch auf der gro­ßen Welt­bühne Bedeu­tung, erfährt man so, und lernt auch gleich noch etwas über die Ver­gabe des Titels. Doch in die­sem Text geht es um mehr, denn Meis­ter Kuro­giku weiß: „Jede Schön­heit hat ihre Schat­ten­sei­ten.“ Das gilt für das Washi, mit dem im Zwei­ten Welt­krieg Fall­schirme für Bom­ben gebaut wur­den, genauso wie für das Leben des Protagonisten.

„Die Regeln des Ori­gami sind ein­fach. Genauso wie die Regeln des Uni­ver­sums, die alle in einer Hand­voll Gesetze ent­hal­ten sind. Die bis heute nie­mand hat ver­ei­nen kön­nen. Aber sie sind da. Es gibt sie.“ (S. 98)

Und um noch etwas geht es in Cecis Roman, näm­lich um die gro­ßen Fra­gen nach dem Sinn, der Zeit und dem Uni­ver­sum. Meis­ter Kuro­giku ist ein sehr nach­denk­li­cher Cha­rak­ter, des­sen phi­lo­so­phi­sche Grü­be­leien sich mit dem eher prak­ti­schen Den­ken des Ita­lie­ners mischen. So wird „Herr Ori­gami“ zu einem Text vol­ler Sätze, die man sich gerne notie­ren möchte und über die man noch lange nach­den­ken kann:

„Wir sind die Räd­chen im Getriebe einer sehr kom­pli­zier­ten Uhr. Wir ver­ste­hen nicht immer, was eine kleine Bewe­gung von uns auf der ande­ren Seite des Zif­fern­blatts bewirkt.“ (S. 121)

Ein klei­ner Text

Der Text ist durch die Kanji-Schrift­zei­chen, die jeden Abschnitt ein­lei­ten, und den locke­ren Satz, sehr ent­zerrt. Diese Ent­schleu­ni­gung des Lesens fügt sich wun­der­bar ein in die Welt des Meis­ters Kuro­giku und des Ori­gami. Eine Frage bleibt aber doch: Bei 157 meist nur zu einem Drit­tel gefüll­ten Sei­ten braucht man nicht viel län­ger als eine Stunde, um Cecis Text zu lesen. Ist das noch ein Roman? Oder wäre das Label „Erzäh­lung“ die­sem Text nicht auch gerecht gewor­den? Letzt­end­lich ist solch eine Frage der Benen­nung natür­lich aber sinn­los, denn „Herr Ori­gami“ funk­tio­niert, egal, wie man das Kind nun nen­nen möchte. Jean-Marc Cecis „Herr Ori­gami“ ist ein Text zum Nach­den­ken, Nach­füh­len und hin­ter­her einen Kra­nich falten.

Herr Ori­gami. Jean-Marc Ceci. Aus dem Fran­zö­si­schen von Clau­dia Kal­scheuer. Hoff­mann und Campe. 2017.

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