Seelenseher in der Sackgasse

by Bücherstädterin Daniela

Oft scheint es wich­ti­ger zu sein, was in einer Geschichte geschieht, als der Grund, warum, meint Sätz­chen­bä­cke­rin Daniela. Eine Geschichte muss nicht per­fekt sein, um Lese­rin­nen und Leser mit­fie­bern zu las­sen, solange sie viel­schich­tig und unter­halt­sam ist.

Action­reich und unter­halt­sam waren viele pop­kul­tu­relle Erfolge der letz­ten Jahre, von denen auch einige aus dem Anime-Bereich kamen: „Attack on Titan“, „Sword Art Online“, um nur zwei der bekann­tes­ten Titel zu nen­nen. „See­len­se­her (Tou­gard 1)“ von Cor­ne­lia und Dome­nic Franke hat viel von die­ser Pop­kul­tur und dem Anime-Genre, ver­passt aber, sich in den ent­schei­den­den Punk­ten an mög­li­chen erfolg­rei­chen Vor­bil­dern zu ori­en­tie­ren, und wird dadurch nur mit sehr viel Augen­zu­drü­cken interessant.

Keine runde Sache

Jugend­li­che mit beson­de­ren Fähig­kei­ten kom­men nach Tou­gard, in eine Schule abseits von der rea­len Welt. Auch Char­lie lan­det dort unfrei­wil­lig und soll nun ler­nen, wie man ein Hei­ler wird. Im Zuge des­sen ver­sucht er mit der neuen Situa­tion umzu­ge­hen und neue Freunde zu fin­den. Bis seine Schule ange­grif­fen und meh­rere Mäd­chen ent­führt wer­den. Char­lie und seine neu­ge­fun­de­nen Freunde bege­ben sich auf die gefähr­li­che Reise, sie zurückzuholen.

Alles weist in der ers­ten Hälfte des Buches dar­auf hin, dass sich die kom­plette Hand­lung in der Schule abspie­len wird und sowohl Räum­lich­kei­ten als auch Per­so­nen noch wich­tig für die spä­tere Hand­lung sein wer­den. Dabei wer­den einige Dinge ein­ge­führt und erwähnt, die schein­bar Stück für Stück das Kom­mende andeu­ten. Doch nur ein Bruch­teil des Gan­zen hat über­haupt etwas mit der spä­te­ren Hand­lung zu tun.

Der Bruch in der Handlung

Vor­her­seh­bar ist „See­len­se­her“ also auf kei­nen Fall – zumin­dest in dem Sinne, dass man nicht wirk­lich weiß, wohin das Buch über­haupt hin­füh­ren möchte. Es scheint, als hät­ten es die Autoren selbst nicht so genau gewusst. Gegen Mitte der Hand­lung wird die bis­he­rige Schul­ge­schichte durch einen plötz­li­chen Angriff unter­bro­chen, bei dem meh­rere Mäd­chen ent­führt wer­den und einige Per­so­nen ster­ben. Es ist über­ra­schend, dass die Geschichte hier eine Fär­bung bekommt, die wenig mit dem son­ni­gen Schul­all­tag davor zu tun hat, und von nun an stark in Rich­tung Aben­teuer geht.

Um die Span­nung hoch­zu­hal­ten, wer­den sogar schein­bar wich­tige Cha­rak­tere geop­fert. Dadurch kommt die Hand­lung erst wirk­lich in Fahrt, gleich­zei­tig ent­täuscht sie jedoch, hatte die erste Hälfte des Buches doch noch etwas ande­res ver­spro­chen. Wer eine Aben­teu­er­ge­schichte lesen möchte, kämpft sich ver­mut­lich nicht durch viele Sei­ten Schul­be­schrei­bun­gen, bis mal etwas pas­siert. Und jenen, die die Schul­be­schrei­bun­gen moch­ten, wird es wahr­schein­lich nicht gefal­len, dass sich die Cha­rak­tere plötz­lich auf ein Aben­teuer bege­ben, bei dem es um Leben und Tod geht. Auch die feh­lende Ver­bin­dung zum Anfang führt dazu, dass die Geschichte nicht rund wird und daran in zwei Hälf­ten zer­bricht, die wenig gemein­sam haben, bis auf ihre über­grei­fen­den Fehler.

Unglaub­wür­dig­keit und unbe­frie­di­gende Auflösungen

Fan­tasy lebt von der soge­nann­ten Wil­lent­li­chen Aus­set­zung der Ungläu­big­keit: Vie­les, das phan­tas­tisch ist, ist nicht voll­stän­dig mit den Geset­zen unse­rer Welt erklär­bar und muss des­halb nur in den Geset­zen der jewei­li­gen phan­tas­ti­schen Welt kohä­rent sein. Das funk­tio­niert hier solange, bis auf­ge­stellte Regeln der Welt sofort wie­der gebro­chen wer­den, was zu einer Unglaub­wür­dig­keit führt, die die Welt schnell unrea­lis­tisch erschei­nen lässt. Zum Bei­spiel gibt es in Tou­gard viele Per­so­nen aus unter­schied­li­chen Län­dern. Diese kön­nen durch Magie mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren, alles wird auto­ma­tisch über­setzt. Es sei denn, das Wort ist nicht über­setz­bar. Dann benut­zen die Cha­rak­tere aber trotz­dem immer wie­der spe­zi­elle Aus­drü­cke ihrer Spra­che, die ohne Wei­te­res über­trag­bar wären. Es sind diese Details, die Wider­sprü­che erzeu­gen und immer wie­der stö­rend auf­fal­len – was die Unter­hal­tung deut­lich schmälert.

Am Ende sind es die Erklä­run­gen, die unbe­frie­di­gend sind. Die Auf­lö­sun­gen, das Warum und Wie, wer­den nie erklärt bezie­hungs­weise so banal ange­ris­sen, dass es nicht wie eine end­gül­tige Erklä­rung wirkt. Auch schein­bar inter­es­sante Plottwists stel­len sich als ent­täu­schend sim­pel heraus.

Prot­ago­nist und Nebencharaktere

Bei den Neben­cha­rak­te­ren ent­steht das Gefühl, sie alle schon ein­mal in einer ande­ren Geschichte erlebt zu haben. Das för­dert eine schnelle Bin­dung, man fin­det Mus­ter, die man an einem ande­ren Cha­rak­ter mochte und über­trägt diese recht rasch auf einen neuen. Das macht die Cha­rak­tere sym­pa­thisch und ihren poten­ti­el­len Ver­lust kurz­wei­lig dra­ma­tisch. Dar­über hin­aus ent­wi­ckeln sie sich jedoch kaum bis gar nicht, was sie in ihren Schub­la­den ver­har­ren lässt. Sie sind ein­fach gestrickt, blei­ben aber so wie man sie ken­nen und mög­li­cher­weise lie­ben gelernt hat.

Eine Hand­lung steht und fällt jedoch mit ihrem Prot­ago­nis­ten. Andere Geschich­ten hät­ten hier einen ein­ge­setzt, der viel­leicht wenig Cha­rak­ter­ent­wick­lung mit­bringt, aber gleich­zei­tig viel Pro­jek­ti­ons­flä­che bie­tet. Doch lei­der trifft hier nur ers­te­res zu, was zum Anfang vom Ende führt. Denn der Prot­ago­nist kann sich mit den Prot­ago­nis­tin­nen der soge­nann­ten Chick­Lit mit Leich­tig­keit mes­sen, wenn es um das Thema Jam­mern geht.

Char­lie kann nicht gut mit ande­ren Men­schen umge­hen und bleibt des­halb lie­ber allein. Er spielt sich nicht in den Vor­der­grund und hat Pro­bleme damit, seine Fähig­keit zu erler­nen. Eigent­lich eine gute Grund­lage. Jedoch haben seine Schwä­chen nie eine Aus­wir­kung auf den Plot. Er bekommt alles und erreicht alles ohne grö­ßere Pro­bleme, ein­fach weil er der Prot­ago­nist ist. Anstatt seine Fähig­kei­ten aktiv zu nut­zen, fällt ihm alles zu. Sogar Dinge, die er nicht kann, funk­tio­nie­ren irgend­wie sofort, obwohl betont wird, dass er sie nicht kann. Das macht ihn in der ers­ten Hälfte zu einem lang­wei­li­gen Charakter.

Erst viel zu spät stößt Char­lie auf Wider­stand. Den­noch scheint er nie zufrie­den zu sein. Was gelingt, weiß er nicht zu schät­zen, und viel zu oft bemit­lei­det er sich selbst. Ent­täu­schen­der­weise schafft er es auch nicht, seine Pro­bleme zu über­win­den. Dadurch ent­steht eine emo­tio­nale Kälte dem Prot­ago­nis­ten gegenüber.

An sei­ner Unfä­hig­keit, Bezie­hung zu ande­ren auf­zu­bauen, ändert lei­der auch die gefähr­li­che Reise nichts. Er lässt seine Mit­rei­sen­den regel­mä­ßig im Stich, um seine ego­is­ti­schen Ziele zu ver­fol­gen. Dies hat aber keine Kon­se­quen­zen und es wird auch nie the­ma­ti­siert. Er schafft es als Prot­ago­nist nicht über seine Schwä­chen hin­aus und ist am Ende genauso über­emp­find­lich, genauso eigen­nüt­zig und genauso fad wie vor­her. Das macht ihn nicht nur unsym­pa­thisch, son­dern auch noch lang­wei­li­ger, als er es schon zu Beginn war.

Viel­leicht etwas für Fans der leich­ten Unterhaltung

Die Geschichte weiß nicht wirk­lich, wo sie hin möchte. Die erste Hälfte hat kei­ner­lei Aus­wir­kun­gen auf die zweite, in der es zwar unter­halt­sam wird, aber nie so, dass man viel dar­über nach­den­ken müsste. Mit dem Prot­ago­nis­ten lässt sich nur schwer bis gar keine Bezie­hung auf­bauen, wes­halb die Neben­cha­rak­tere, trotz ihrer Ein­fach­heit sehr sym­pa­thisch wir­ken. Fans von leich­ter, unter­hal­sa­mer Fan­t­asy­lek­türe ohne Anspruch könn­ten hieran den­noch ihren Spaß finden.

See­len­se­her (Tou­gard). Cor­ne­lia und Domi­nic Franke. Papier­ver­zie­rer. 2015.

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