So etwas wie Heimat?

by Worteweberin Annika

In „Super­po­si­tion“ the­ma­ti­siert Kat Kauf­mann Hei­mat, Iden­ti­tät und Inter­kul­tu­ra­li­tät – fernab von Kli­schees. Ähn­li­ches hat auch „Der Russe ist einer, der Bir­ken liebt“ von Olga Grjas­nowa im Blick. Worte­we­be­rin Annika fin­det, dass die bei­den Romane zwar nicht in einen Topf gewor­fen gehö­ren, aber sich wun­der­bar ergänzen.

Super­po­si­tion

Am bes­ten aber eins nach dem ande­ren. Aus der Ich-Per­spek­tive erzählt Kat Kauf­mann in „Super­po­si­tion“ einen Aus­schnitt aus dem Leben der jun­gen Prot­ago­nis­tin Izy im Ber­lin der Gegen­wart. Izy sträubt sich gegen jede Art von Zuord­nung in eine Schub­lade: Sie ist Jüdin, Rus­sin, Deut­sche, Künst­le­rin, bise­xu­ell und alles, was sich sonst gerade so anbie­tet. Im mäan­dern­den Strom der Iden­ti­tä­ten streunt Izy durch die Groß­stadt, trifft Freunde, trinkt, um zu ver­ges­sen und denkt an ihre große Liebe Timur – alles nur Zen­ti­me­ter vom Abgrund entfernt.

Timur, der selbst als Kind von Russ­land nach Deutsch­land über­sie­delte, ver­steht Izys Gefühle, lebt aber in einer Bezie­hung, die nur sel­ten Platz lässt, um Izy eine Nacht in sein Bett auf­zu­neh­men. Trotz­dem ist er der stän­dige Adres­sat ihrer Gedan­ken, die der Lesende live mit­ver­fol­gen darf. Schließ­lich lan­det Izy mit einer Ver­let­zung im Kran­ken­haus, und die Gedan­ken begin­nen, Ach­ter­bahn zu fah­ren. Die Gren­zen zwi­schen Wirk­lich­keit, Fan­ta­sie und Wahn­sinn ver­wi­schen zuneh­mend, bis am Ende die Frage bleibt: Was ist hier eigent­lich passiert?

Wie Izys Cha­rak­ter, so ist auch ihre Spra­che hybrid. In den rauen Ton mischen sich neben vie­len umgangs­sprach­li­chen Wen­dun­gen nicht nur ein melan­cho­li­scher Unter­ton, son­dern auch min­des­tens drei Spra­chen neben dem Deut­schen. Kat Kauf­mann wurde für „Super­po­si­tion“ mit dem Aspekte-Lite­ra­tur­preis ausgezeichnet.

Der Russe ist einer, der Bir­ken liebt

Wie Kauf­manns Izy ist auch die Prot­ago­nis­tin in Olga Grjas­no­was Roman als jüdi­scher Kon­tin­gent­flücht­ling nach Deutsch­land gekom­men, sie stammt aus Aser­bai­dschan. Wie Izy wehrt sich Mascha gegen Kli­schees, gegen eine Zuord­nung zu Natio­na­li­tä­ten, und auch sie ist bise­xu­ell. Mascha lebt mit ihrem Freund Elias in Frank­furt, stu­diert, um eines Tages als Über­set­ze­rin bei der UN zu arbei­ten. Ihre Erin­ne­run­gen an die Kind­heit in Aser­bai­dschan haben Mascha trau­ma­ti­siert, doch sie schafft es, sich über Was­ser zu hal­ten. Bis Elias aus Maschas Leben ver­schwin­det und nicht nur eine große Leere, son­dern auch ein wei­te­res Trauma zurücklässt.

Mascha fliegt schließ­lich nach Israel, um dort zu arbei­ten, doch statt eines Neu­an­fangs holt sie die Ver­gan­gen­heit ein. Auch wenn sie selbst die jüdi­sche Reli­gion nicht prak­ti­ziert, wird sie hier Teil des gro­ßen „Juden­mo­no­po­lys“, zu des­sen Regeln es gehört, dass Lap­tops erschos­sen und Kekse als Trost ver­teilt wer­den. In Israel schil­dert Mascha außer­dem ihre Ein­drü­cke vom Paläs­ti­nen­ser­kon­flikt, ein Thema, das sonst in der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur eher sel­ten Platz fin­det. Mascha ver­liebt sich schnell, jedoch ohne viel zu füh­len, sucht Halt auf Par­tys und im Alko­hol, steht kurz vor dem Zusam­men­bruch. Was danach kommt, bleibt offen. Dass das anzi­tierte Happy-End mit Son­nen­un­ter­gang nicht ein­ge­löst wird, kann man zumin­dest vermuten.

Auch der Ton von Grjas­no­was Prot­ago­nist ist teil­weise rau, aller­dings auch poe­tisch und gewitzt. Für „Der Russe ist einer, der Bir­ken liebt“ erhielt die Autorin unter ande­rem den Anna Seg­hers Preis.

Hei­mat und Identität

Sowohl Mascha als auch Izy sind auf der Suche nach so etwas wie Hei­mat. An kei­nem Ort kön­nen sie die fin­den, weder auf den Ber­li­ner Par­ty­mei­len, noch im Zen­trum von Tel Aviv. Viel eher, so scheint es, liegt für beide Frauen die Hei­mat bei den Men­schen. Doch wie sich zeigt, sind die nicht immer leicht zu errei­chen. Mög­lich, dass die­ser Blick auf Hei­mat gerade auch im Zusam­men­hang mit der Migra­ti­ons­ge­schichte bei­der Prot­ago­nis­tin­nen – sowie bei­der Autorin­nen – gese­hen wer­den sollte.

Beide Romane machen außer­dem dar­auf auf­merk­sam, wie sel­ten Kli­schees und Ste­reo­type zu gebrau­chen sind. Beson­ders deut­lich wird das in Grjas­no­was Roman, der mit Natio­na­li­tät und Her­kunft spielt und dabei viele Gren­zen auf­weicht. Mög­lich, dass das nicht ganz ohne Über­zeich­nun­gen von stat­ten geht, jedoch wird auch dadurch die Posi­tion sehr deut­lich, die schon der Titel andeu­tet. Kat Kauf­manns Prot­ago­nis­tin sieht sich selbst als Teil einer „Viel­völ­ker-Hokus­po­kus-Holo­caus-Fami­lie“ (S.77), für sie mün­det der Iden­ti­täts­kon­flikt jedoch in voll­kom­me­ner Freiheit.

Poly­sin­gu­la­ri­tät nennt sich das, nicht nur im Roman, denn die Theo­rie hat sogar einen eige­nen Inter­net­auf­tritt. Ob man nun daran glau­ben mag, steht sicher­lich auf einem ande­ren Blatt, in Kauf­manns Roman wird die Idee jeden­falls kon­se­quent ent­wi­ckelt. Zusam­men­ge­nom­men wer­fen beide Romane einen inter­es­san­ten Blick auf die Fel­der Hei­mat und Iden­ti­tät, beleuch­ten dabei jeweils aber ganz eigene Aspekte.

Lesens­wert?

Wäh­rend „Super­po­si­tion“ voll­kom­men in der jun­gen Ber­li­ner Künst­ler­szene ver­haf­tet ist und uns so eine sehr hippe, aber auch sehr spe­zi­elle Welt vor Augen führt, trifft „Der Russe ist einer, der Bir­ken liebt“ eher den Ton einer gan­zen Genera­tion, einer bestimm­ten Zeit. Die Hand­lung scheint hier weni­ger ober­fläch­lich, son­dern grö­ßer. Ob man das „Super­po­si­tion“ zum Vor­wurf machen möchte? Das ist sicher­lich Geschmackssache.

Beide Romane sich sicher­lich sowohl sprach­lich als auch in ihrer Weise des Erzäh­lens bemer­kens­wert und nicht nur dar­auf bedacht, Erwar­tun­gen zu erfül­len. Dass sie zudem auch noch inter­es­sante Denk­an­stöße dar­stel­len kön­nen, ist ein gro­ßes Plus. Den sprung­haf­ten und unzu­ver­läs­si­gen Erzäh­le­rin­nen immer zu fol­gen, macht das Lesen beson­ders von „Super­po­si­tion“ aber auch zu einer Art Stru­del, die wahr­schein­lich nicht jedem Leser liegt und gefällt.

Super­po­si­tion. Kat Kauf­mann. Hoff­mann und Campe. 2015.
Der Russe ist einer, der Bir­ken liebt. Olga Grjas­nowa. Han­ser. 2012.

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