„Stell dir nur vor, jemand käme und entdeckte uns!“

by Worteweberin Annika

Der Nor­we­ger Jostein Gaar­der ist für seine phi­lo­so­phi­schen Romane für junge und ältere Leser bekannt. Mit sei­nem neuen Roman „Ein treuer Freund“ wid­met er sich nun The­men wie Freund­schaft, Ein­sam­keit und Spra­che. Worte­we­be­rin Annika hat ihn gelesen.

„Ein treuer Freund“ besteht aus einem ein­zel­nen, sehr lan­gen Brief, den der Sprach­wis­sen­schaft­ler Jakop Jacob­sen an Agnes, die er auf einer Beer­di­gung ken­nen­lernte. Lang­sam ent­hüllt er ihr und den Lesern, wie es zu die­ser Begeg­nung kam, was es mit Jakops Vor­liebe für Beer­di­gun­gen und sei­nem bes­ten Freund Pelle auf sich hat. So ent­steht das Bild eines sehr ein­sa­men, aber nicht unglück­li­chen Man­nes. Viel­leicht jedoch kann Agnes ein Aus­weg aus der Ein­sam­keit sein, sobald sie den Brief erst ein­mal erhal­ten hat?

Durch das For­mat des Briefs sind die Leser Jakops unzu­ver­läs­si­gem Erzäh­len aus­ge­lie­fert: Wäh­rend die Adres­sa­tin der Briefe ein per­sön­li­ches Vor­wis­sen über die Tref­fen mit Jakop besitzt, müs­sen sich die Leser ganz auf seine lange in die Ver­gan­gen­heit rei­chende Erzäh­lung ein­las­sen. Durch Aus­las­sun­gen kommt es nach und nach zu eini­gen Über­ra­schun­gen, die dazu mah­nen, nicht immer der eige­nen Wahr­neh­mung zu trauen. Neben Jakops und Agnes‘ gemein­sa­mer Geschichte spielt aber auch der Blick des Prot­ago­nis­ten auf die Welt eine Rolle im Brief­ro­man. Die­ser ist gespickt mit eini­gen inter­es­san­ten phi­lo­so­phi­schen Über­le­gun­gen und Denk­an­stö­ßen, wie man sie auch aus ande­ren Roma­nen von Gaar­der kennt:

„Allen ande­ren außer uns muss auf­fal­len, dass wir uner­gründ­lich rät­sel­haft sind. Nur wir selbst sehen es nicht. Wir stau­nen nicht dar­über, dass wir sind. Viel­leicht sind wir das größte Wun­der des Uni­ver­sums, auch wenn uns das nicht täg­lich zu Bewusst­sein kommt. Stell dir nur vor, jemand käme und ent­deckte uns!“

Jakops große Lei­den­schaft gilt neben dem Phi­lo­so­phie­ren den indo­ger­ma­ni­schen Spra­chen, deren Ver­flech­tun­gen er ana­ly­siert, sodass er Her­lei­tun­gen und Abstim­mun­gen eini­ger Wör­ter in Unter­hal­tun­gen und seine Erzäh­lung ein­flie­ßen lässt:

„Ich habe keine leben­den Kin­der oder Enkel­kin­der und keine leben­den Geschwis­ter oder Eltern, aber ich habe lebende Wör­ter in mei­nem Mund, und ich kann deut­lich sehen, dass es von Ver­wand­ten die­ser Wör­ter von Island bis Sri Lanka über­all im indo­ger­ma­ni­schen Sprach­raum nur so wim­melt – und das über eine Zeit­spanne von nicht weni­ger als sechs­tau­send Jahren.“

Dar­aus ler­nen auch die Leser so eini­ges über Spra­che, wobei die Pas­sa­gen teil­weise etwas lang­at­mig und dozie­rend wir­ken kön­nen. Wer sich dar­auf ein­lässt, kann dadurch aber nur berei­chert wer­den. Denn wann sonst denkt man ein­mal dar­über nach, wie eng das indi­sche Sans­krit mit dem Nor­we­gi­schen und dem Deut­schen ver­wandt ist und wel­che Bedeu­tun­gen über die Her­kunft der Wör­ter noch trans­por­tiert wer­den. Auch dadurch ist „Ein treuer Freund“ sehr lehr­reich. Gaar­der ist mit „Ein treuer Freund“ ein berüh­ren­der, tief­sin­ni­ger, über­ra­schen­der Roman gelungen.

Ein treuer Freund. Jostein Gaar­der. Über­set­zung: Gabriele Haefs. Han­ser. 2017.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #phi­lo­so­phie­stadt. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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