Streng genommen ein „Bilderbuch“

by Seitenkünstler Aaron

Was ist, wenn man einen Text illus­triert … und dann den Text wei­test­ge­hend weg­lässt? Sei­ten­künst­ler Aaron stellt ein Buch vor, das einen ande­ren Weg geht: „Die Dschun­gel­bü­cher“, gesam­melte Illus­tra­tio­nen von Gabriel Pacheco.

Mit „Die Dschun­gel­bü­cher“ hat der Bohem Ver­lag etwas gewagt: In einer Buch­bin­dung wird hier eine Hom­mage an J. R. Kiplings Werke prä­sen­tiert. Zwi­schen den gro­ßen Buch­de­ckeln im A3-For­mat (ca. 40x30cm) befin­den sich her­aus­nehm­bare Kunst­dru­cke von Illus­tra­tio­nen zu berühm­ten und weni­ger bekann­ten Erzäh­lun­gen Kiplings. Auf den Rück­sei­ten sind jeweils pas­sende Text­stel­len zitiert. Das Kon­zept wird auch auf den ers­ten Sei­ten erklärt – zwei­spra­chig in Eng­lisch und Deutsch, also ganz wie in Kunst­bü­chern und Museen üblich. Dem­nach gebe es genü­gend Aus­ga­ben und Adap­tio­nen von Kiplings Tex­ten, wes­we­gen man sich gedacht habe, hier visu­elle Anreize zu schaf­fen, über die bereits bekann­ten Geschich­ten zu sinnieren.

Die ein­zel­nen Bil­der zei­gen die natür­li­che Wild­nis zwar auf phan­tas­ti­sche Weise, aber in unver­kitsch­ten Far­ben und Struk­tu­ren. Col­la­gierte Text­ab­schnitte in sehr klei­ner Schrift sind in ange­pass­ten Far­ben und For­men dezent ein­ge­fügt wor­den. Der schwarze Rah­men und die unge­sät­tig­ten Farb­töne ver­mit­teln den Ein­druck, als bli­cke man ins Däm­mer­licht des Dschun­gels. Auf diese Weise wirkt die dar­ge­stellte, unbe­kannte Natur geheim­nis­voll und latent bedroh­lich. Die­ser Ein­druck ver­fliegt, wenn man sich in den Details ver­liert: Die auf den ers­ten Blick domi­nie­ren­den Tier­por­traits ver­schmel­zen beim nähe­ren Betrach­ten mit der sorg­fäl­tig detail­lier­ten Pflan­zen­welt. So haben die Bil­der sowohl eine Fern­wir­kung, laden aber auch zum genaue­ren Beschauen ein.

Das vor­ge­stellte Buch setzt klar auf Qua­li­tät und nicht auf Gewinn oder Quan­ti­tät. Für den doch nicht gerin­gen Preis von fast sech­zig Euro bie­tet die Bil­der­samm­lung aber auch einen ande­ren Wert als ein her­kömm­li­ches schrift­text­li­ches Buch. Das Pro­dukt eig­net sich zwar zur dau­er­haf­ten Aus­stel­lung, aber weni­ger zur Wie­der­ver­wen­dung, wie etwa beim Büche­rei-Ver­leih. Es wird nicht die Absicht ver­folgt, die Geschich­ten neu zu erzäh­len. Statt­des­sen wird ihre Kennt­nis vor­aus­ge­setzt und die Bil­der die­nen ein­zig als Pro­jek­ti­ons­flä­che der Erin­ne­run­gen an die Texte. Diese Vor­aus­set­zung ist gewagt, ste­hen doch die ande­ren Dschun­gel­buch­ge­schich­ten im Schat­ten der popu­lä­ren Mow­gli-Ver­fil­mun­gen. Zumin­dest mir sag­ten die Namen Kotick, Rikki-Tikki-Tavi und Too­mai erst ein­mal nichts.

Das Pro­dukt wirkt wie fei­nes Mer­chan­dise und gleich­zei­tig wie ein nobler Ver­such, den (in Deutsch­land gemein­freien) Pri­mär­text zu ehren. Natür­lich eröff­nen diese Bil­der einen neuen Zugang an die Inhalte, aber gäbe es nicht sinn­vol­lere Umgangs­for­men mit den über 100 Jahre alten Dschun­gel­bü­chern? Die Bil­der wür­den sich her­vor­ra­gend dafür eig­nen, einen Text zu illus­trie­ren, der Mowg­lis Geschichte neu erzählt mit einem weni­ger kolo­nia­li­sier­ten Pathos und dafür mit einer Kri­tik an der Redu­zie­rung der Tier­welt auf ihren Nut­zen oder ihre Gefahr für den Men­schen. Eben­falls denk­bar wäre, Mowg­lis Erleb­nisse ein­mal hint­an­zu­stel­len und statt­des­sen den weni­ger bekann­ten Prot­ago­nis­ten des Dschun­gel­buchs eine Bühne zwi­schen den Buch­de­ckeln zu bieten.

Die hier vor­ge­stellte Ver­öf­fent­li­chung ist in ihrem Kon­zept gewagt und frag­wür­dig, aber prä­sen­tiert geschickt die gekonnt erstell­ten Bil­der Pachecos. Damit ist das Buch unbe­dingt zu emp­feh­len für Dschun­gel­buch­fans und Men­schen, die keine Zeit zum Lesen fin­den. Für Lese­freu­dige ist es jedoch ungeeignet.

Die Dschun­gel­bü­cher. Her­aus­ge­be­rin: Katha­rina Große-Hül­se­wie­sche. Text: Rudy­ard Kipling. Illus­tra­tion: Gabriel Pacheco. Bohem. 2019. // Ver­wen­dete Illus­tra­tio­nen: Gabriel Pacheco / Bohem Verlag.

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