„Tack Tack Tack!“

by Zeichensetzerin Alexa

„Zikade erzählt Geschichte. Geschichte gut. Geschichte ein­fach. Geschichte, die sogar Mensch ver­steht. Tack Tack Tack!“, lau­tet die Kurz­be­schrei­bung des Buches. Ja, die Geschichte ist gut, sehr gut sogar. Aber alles andere als ein­fach. Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat in die trist-grauen Abgründe gese­hen, die die Zikade umgeben.

Shaun Tans neues Bil­der­buch „Zikade“ ist ein graues Buch – in mehr­fa­cher Hin­sicht. Triste Grau­töne durch­zie­hen die Sei­ten, las­sen kei­nen Raum für wei­tere Far­ben. Ledig­lich die Haut der Zikade ist grün, kaum wahr­nehm­bar inmit­ten des Graus. Spä­ter weicht das Grün einem Rot und ganz am Ende, eigent­lich schon außer­halb der Geschichte, ver­mi­schen sich die Far­ben, wer­den viel­fäl­ti­ger, leben­di­ger. Im Grunde kann die Geschichte allein schon anhand der Far­ben inter­pre­tiert wer­den, aber auch der Text spielt hier­bei eine große Rolle.

Zika­des Geschichte – Ach­tung, Spoiler!

Seit sieb­zehn Jah­ren arbei­tet die Zikade in einer Firma, in der sie schlecht behan­delt wird. Sie ist das ein­zige Tier, alle ande­ren Ange­stell­ten sind Men­schen und dis­kri­mi­nie­ren sie auf ver­schie­dene Weise: Obwohl die Zikade nie krank ist, keine Feh­ler macht und die Arbeit immer been­det, gibt es weder einen Dank noch eine Beför­de­rung. Sie darf noch nicht ein­mal die Büro­toi­lette benut­zen und muss dafür raus. Da sie sich von ihrem Gehalt keine Miete leis­ten kann, lebt sie im Büro. Ihre Kol­le­gen behan­deln sie wie Dreck.

Dann geht sie in Rente. Es gibt weder eine Rede noch eine Feier. „Keine Arbeit. Kein Zuhause. Kein Geld. Zikade geht auf Hoch­haus­dach. Zeit für Abschied. Tack Tack Tack!“ Was pas­siert auf die­sem Hoch­haus­dach? Abschied? Ver­ab­schie­det sie sich vom Leben? Nimmt sie Abschied von ihrem jet­zi­gen Dasein? Ist das eine Andeu­tung auf Sui­zid? Sicht­bar wird nur, dass sich aus dem Kör­per der im grauen Anzug geklei­de­ten Zikade eine rot leuch­tende Zikade ent­puppt. Diese lässt ihre alte Hülle auf dem Hoch­haus­dach zurück und fliegt davon.

Inter­pre­ta­tion?

Die Geschichte der Zikade spricht mit weni­gen Wor­ten, brü­chi­gen, ver­knapp­ten, teils unvoll­stän­di­gen Sät­zen und weni­gen Far­ben auf sehr prä­gnante, dichte Weise ernste The­men an: Es geht um Dis­kri­mi­nie­rung und feh­lende Akzep­tanz dem „Ande­ren“ oder „Frem­den“ gegen­über. Es geht um die Sinn­lo­sig­keit einer Büro­tä­tig­keit, um das triste Arbeits­le­ben. Es geht um Unzu­frie­den­heit, Unglück, Selbst­fin­dung und Frei­heit. Und obwohl die Zikade am Ende dort­hin zurück­kehrt, wo sie glück­lich ist, näm­lich in die Natur, bleibt offen, wie sie dort­hin gelangt ist – an die­sen Ort, einem Para­dies aus Far­ben gleich.

Mit „Zikade“ ist Shaun Tan erneut ein tief­sin­ni­ges Werk gelun­gen, das viel Inter­pre­ta­ti­ons­frei­raum lässt. Ein Bil­der­buch, das sich vor­ran­gig an Erwach­sene rich­tet und zur Selbst­re­fle­xion anregt.

Zikade. Shaun Tan. Aus dem Eng­li­schen von Eike Schön­feld. Ala­din. 2019.

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