Tam, Tam, Rattatatam, Tatam

by Zeichensetzerin Alexa

Fran­ziska Sey­boldts neues Buch „Rat­ta­ta­tam, mein Herz“ erhielt in den letz­ten Mona­ten große mediale Auf­merk­sam­keit. Das ist erfreu­lich, behan­delt es doch ein Thema, das alle etwas angeht: die Angst. Zei­chen­set­ze­rin Alexa ist in sich gegan­gen und hat ver­sucht, sich ihren Ängs­ten zu stellen.

Es ist nicht ein­fach zuzu­ge­ben, dass man Angst hat. Wäh­rend Kin­der ihre Gefühle – ganz gleich wel­cher Art – unkon­trol­liert oder unbe­wusst nach außen tra­gen, schei­nen Erwach­sene über die Jahre eine Mauer um sich herum erbaut zu haben. Erwach­sene wei­nen nicht. Erwach­sene haben keine Ängste. Erwach­sene kön­nen ihre Gefühle kon­trol­lie­ren. Erwach­sene müs­sen stark sein. Diese Hal­tung führt dazu, dass sich Gefühle „anstauen“ und die­ses „in-sich-hin­ein­fres­sen“ Bauch­schmer­zen und sons­tige Beschwer­den auslöst.

„Unter­drückte Wut, heißt es oft, sei der Ursprung von Angst. Aber was hätte ich schon tun kön­nen? Die Angst war da, seit ich den­ken konnte, und außer­dem wurde sie nicht müde, mir sehr über­zeu­gend ihr Man­tra vor­zu­be­ten: ‚Wenn du deine Wut offen zeigst, nimmt dich nie­mand ernst. Du musst ler­nen, dich zu kon­trol­lie­ren. Nur dann wirst du unan­greif­bar.‘“ (S. 41)

Dabei sind Ängste etwas völ­lig Nor­ma­les. Sie gehö­ren zu uns wie andere Gefühle auch. Sey­boldts Angst spricht mit ihr und ist sich abso­lut sicher, dass sie zusam­men­ge­hö­ren. Sie ver­schwin­det genauso plötz­lich wie sie auf­ge­taucht ist und manch­mal ist sie beson­ders ner­vig, dann näm­lich, wenn die Situa­tion sowieso schon anstren­gend ist.

Ich habe mich in Sey­boldts Buch an so man­cher Stelle wie­der­erkannt. Wenn es bei­spiels­weise um Tele­fo­nate ging, Höhen- und Flug­ängste, das Auto­fah­ren und sub­jek­tiv wahr­ge­nom­me­nen Stress. Manch­mal stres­sen die ein­fachs­ten Situa­tio­nen: mit jeman­dem zu tele­fo­nie­ren oder ein­kau­fen zu gehen, kann sehr viel Kraft und Ner­ven kos­ten. Dass die­ser Stress, dem man sich aus­setzt, für jede/n anders sein kann, wird dabei oft­mals vergessen.

„Man­che Men­schen blü­hen erst mit einem über­vol­len Ter­min­ka­len­der so rich­tig auf. Andere dre­hen schon durch, wenn sie sich ihre To-do-Liste nur vor­stel­len. […] Stress ist keine Wäh­rung, die für jeden den glei­chen Wert hat.“ (S. 66)

„Rat­ta­ta­tam, mein Herz“ ist in einem sehr ein­fa­chen, unter­halt­sa­men Stil geschrie­ben. Manch­mal schim­mert auch ein wenig Humor durch, wenn die Autorin – die hier auch die Prot­ago­nis­tin ist – bei­spiels­weise mit der Angst kom­mu­ni­ziert. Die Per­so­ni­fi­ka­tion die­ser ver­hilft dazu, sich die Bezie­hung zwi­schen Mensch und Gefühl bes­ser vor­stel­len und den Kon­flikt ver­ste­hen zu kön­nen: Dinge, die ein unter einer Angst­stö­rung lei­den­der Mensch in dem Moment nur fühlt oder denkt, wer­den auf diese Weise sicht­bar und zum Gespräch gemacht.

Aber „Rat­ta­ta­tam, mein Herz“ ist nicht nur unter­halt­sam, son­dern nimmt auch eine ver­mit­telnde Funk­tion ein. Die Autorin beschreibt einer­seits, wie sie ihren All­tag mit der Angst erlebt, und spricht ande­rer­seits auch ihre Anlie­gen an: Wir müs­sen „end­lich mehr über psy­chi­sche Lei­den reden.“ (S. 247)

„Ich bin der fes­ten Über­zeu­gung, dass man Macht über psy­chi­sche Krank­hei­ten gewin­nen kann, wenn man sie so kon­kret wie mög­lich benennt. Das Wort ver­rückt gehört nicht dazu, es ist ers­tens abwer­tend und lässt zwei­tens viel zu viel Raum für Spe­ku­la­tio­nen.“ (S. 246)

Dass die Autorin „ver­rückt“ sei, kam mir beim Lesen nicht in den Sinn – auch hin­sicht­lich der Tat­sa­che nicht, dass sie das Buch ohne Pseud­onym geschrie­ben hat. Denn es braucht Men­schen, die Dinge sicht­bar machen und Tabu­the­men auf­lö­sen, bis diese zu etwas völ­lig „Nor­ma­lem“ gewor­den sind. Wenn sich Men­schen hin­ter Pseud­ony­men ver­ste­cken, bleibt der Sinn eines Tabu­the­mas erhal­ten, wie gut das Thema auch behan­delt wer­den mag.

Wer zu „Rat­ta­ta­tam, mein Herz“ greift, wird also mit einer klei­nen, aber wich­ti­gen Geschichte belohnt. Das Buch ist inner­halb weni­ger Stun­den gele­sen, hin­ter­lässt aber mit all den ange­spro­che­nen The­men wie Nor­ma­li­tät vs. Ver­rückt­heit und psy­chi­sche Erkran­kung aus­rei­chend Input zum Nach­den­ken für viele wei­tere Stun­den. Bemer­kens­wert daran ist, mit wel­cher Leich­tig­keit die Autorin diese The­men ver­packt und ver­mit­telt, so als sei es das Nor­malste der Welt: Wir alle haben Ängste und kön­nen uns in die­sem Buch mehr oder weni­ger wie­der­fin­den – aber wäh­rend die einen diese Tat­sa­che ein­fach weg­ste­cken und ihre Ängste „über­win­den“, haben andere mehr damit zu kämp­fen. Sich dies vor Augen zu hal­ten, in Kom­mu­ni­ka­tion und Inter­ak­tion mit ande­ren, ist schon ein ers­ter Schritt in die rich­tige Richtung.

Rat­ta­ta­tam, mein Herz. Fran­ziska Sey­boldt. Kie­pen­heuer & Witsch. 2018. Wei­tere Infor­ma­tio­nen zum Buch und zur Autorin fin­det ihr hier: www​.fran​zis​ka​sey​boldt​.de

Zum Wei­ter­le­sen:

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr