Tasten nach Carter

by Worteweberin Annika

Mit einem Aus­schnitt aus ihrem Debüt­ro­man „Car­ter“ sorgte Ally Klein beim dies­jäh­ri­gen Bach­mann­preis für Auf­se­hen. Worte­we­be­rin Annika hat den inten­si­ven Roman über eine fas­zi­nie­rende Frau gelesen.

Car­ter wohnt in einer Scheune zwi­schen Fel­dern, alle paar Meter muss sie sich die Schnür­sen­kel neu bin­den, Car­ter liest Bücher von hin­ten nach vorne und schlägt die Men­schen in ihren Bann. So auch das namen­lose Ich, das die­sen Roman erzählt. In eini­gen Rezen­sio­nen wird die­ses Ich als eine Erzäh­le­rin beschrie­ben, tat­säch­lich bleibt die Geschlechts­iden­ti­tät der Figur aber unge­klärt. Das Medi­zin­stu­dium hat das Ich kurz vor dem Abschluss abge­bro­chen, nun lebt es in einer klei­nen, unbe­heiz­ten Woh­nung, ver­bringt viel Zeit mit Büchern und ver­trö­delt ansons­ten die Tage.

Als es in der Kneipe „Bodo“ auf Car­ter trifft, ver­fällt es ihr sofort: „Ich liebte Car­ter mit­ten­drin, anfangs­los.“ (S. 53) Car­ter hin­ge­gen ist flat­ter­haft, begehrt von vie­len, und auch wenn sie in einer Bezie­hung zu sein scheint, gibt sie sich ver­schie­de­nen Per­so­nen hin. Obschon das Ich – soweit mög­lich – eben­falls eine inten­sive Bezie­hung zu Car­ter auf­baut, bleibt diese doch rein freundschaftlich.

Worte fin­den

Wäh­rend die Geschichte des Romans ziem­lich knapp zusam­men­ge­fasst wer­den kann, über­zeugt „Car­ter“ vor allem auch sprach­lich. Die Spra­che des Romans ist sehr bild­lich und nach den rich­ti­gen Wen­dun­gen tas­tend. Dadurch ent­ste­hen tref­fende, unge­wöhn­li­che Beschrei­bun­gen, gleich­zei­tig manch­mal aber Längen:

„Ich will Dinge sehen, wie sie es tut, dachte ich, ihre Worte in mei­nem Mund nach­spre­chen, ob’s das Glei­che wäre, das glei­che Gewicht, selbst­ver­ständ­lich. Wonach ihr Mun­din­ne­res wohl schmeckt, wie ihre Klei­dung riecht, wie grün ihr Grün ist und wie kalt ihr Kalt. Alles öff­nen würde ich und alles sehen. Über sie schreibt man Bücher, dachte ich, man schreibt Bücher über sie, das Ü in Bücher zog ich lang, ich wollte ihr das sagen, ich wollte sagen: Über dich schreibt man Bücher, ja.“ (S. 31)

Durch die­sen Stil eig­net sich der Roman sicher­lich weni­ger für unge­übte Lese­rIn­nen. Kleins Roman ist sehr kör­per­lich, was sich durch die inten­sive Spra­che noch ver­stärkt. Das erzeugt einen Sog, der die Lesen­den erfasst, ähn­lich wie Car­ter auf das Ich wirkt. Manch­mal geht es aber so weit, dass es abstößt und ich den Roman kurz zur Seite legen musste. Nach­dem auch Car­ter die Men­schen in ihrem Umfeld immer wie­der zurück­stößt, spie­gelt sich die­ses Gefühl beim Lesen auch in der Hand­lung wider.

Fie­ber­traum

Am Ende des Romans über­schlägt sich die Hand­lung noch ein­mal und weckt Zwei­fel. Das Ich ver­fällt in einen Fie­ber­traum, nimmt die Rea­li­tät anschei­nend ver­zerrt wahr und ent­puppt sich so als zumin­dest in Tei­len unzu­ver­läs­sige Erzähl­fi­gur. Hier bleibt eini­ges offen, doch wie das Ich sagt: „Wenn man eine Geschichte ver­steht, ist sie nur schlecht erzählt…“ (S. 56) Dem­nach ist „Car­ter“ genau das Gegen­teil, näm­lich sehr gut erzählt! Inter­es­sant ist zum Bei­spiel auch der Rah­men, in den Klein ihren Roman ein­ge­bet­tet hat: Mit der chro­no­lo­gisch letz­ten Szene beginnt „Car­ter“ und nimmt so schon vor­weg, wie es enden wird – wobei sich gleich­zei­tig viele Fra­gen erge­ben, auf die man erst im Laufe des Romans eine Ant­wort fin­den kann.

Was unsere Part­ner, die Feuil­le­töne, zu „Car­ter“ sagen, hört ihr übri­gens in der Sen­dung 262 – so viel darf man schon ver­ra­ten, hier äußert sich ein sehr begeis­ter­ter Herr Martinsen.

Car­ter. Ally Klein. Dro­schl. 2018.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr