Träumen Replikanten vom Menschlichsein?

by Geschichtenerzähler Adrian

1982 erschuf Regis­seur Rid­ley Scott das cine­as­ti­sche Meis­ter­werk um den Blade Run­ner Rick Deckard. 35 Jahre spä­ter setzt Regis­seur Denis Vul­le­neuve die dys­to­pi­sche Zukunfts­vi­sion mit „Blade Run­ner 2049“ fort. Wie­der wird die Frage gestellt, was es bedeu­tet mensch­lich zu sein. Geschich­ten­er­zäh­ler Adrian und Geschich­te­zeich­ne­rin Celina sind der Frage auf den Grund gegangen.

Das Jahr 2049: Der Film setzt 30 Jahre nach einer Repli­kan­ten­re­bel­lion – wel­che das Ver­bot der Nexus 8‑Modellreihe zur Folge hatte – und einem kom­plet­ten Black­out, der jeg­li­che Daten aus den vor­an­ge­gan­gen Jah­ren aus­ge­löscht hat, ein. Nun hat sich die Gesell­schaft wie­der eini­ger­ma­ßen erholt. Geschäfts­mann Nian­der Wal­lace – gespielt von Jared Leto („Requiem for a Dream“, „Dal­las Buy­ers Club“) – hat die bank­rott­ge­gan­gene Firma des Unter­neh­mers Dok­tor Eldon Tyrell über­nom­men und erschafft dort neue, ver­bes­serte Replikanten.

Noch immer dringt kein Licht durch den Smog, der über der Metro­pole Los Ange­les hängt. Ein Dau­er­re­gen über­schwemmt die Stadt, die nun sowohl von Men­schen als auch von Wal­lace‘ Repli­kan­ten bewohnt wird. Auch der junge Blade Run­ner Offi­cer K – selbst ein Repli­kant und gespielt von Ryan Gos­ling („Drive“, „La La Land“) – wohnt und arbei­tet in die­ser kom­plett über­be­völ­ker­ten Stadt. Seine Auf­gabe ist es, ver­al­tete Repli­kan­ten­mo­delle „in den Ruhe­stand zu ver­set­zen“, vor­ran­gig die vor Jah­ren rebel­lie­ren­den Nexus 8‑Modelle.

Wäh­rend eines Ein­sat­zes auf einer Pro­te­in­farm, wo er auf den ehe­ma­li­gen Feld­arzt und Nexus 8‑Replikanten Sap­per Mor­ton – gespielt von Wrest­ler Dave Bau­tista, eben­falls bekannt als Drax aus „Guar­di­ans of the Galaxy“ – trifft, ent­deckt K unter einem toten Baum eine alte, ver­gra­bene Mili­tär­kiste. In die­ser befin­den sich die Kno­chen einer Frau, wel­che schein­bar nach der Geburt eines Kin­des ver­starb. Was vor­erst recht banal klingt, ent­wi­ckelt sich im Fol­gen­den zu einem kon­fu­sen Ver­wirr­spiel, denn die Frau war eine Repli­kan­tin. Diese künst­li­chen Men­schen gel­ten eigent­lich als unfrucht­bar. K erhält den Auf­trag, das so ent­stan­dene Kind zu fin­den, doch je tie­fer er gräbt, desto mehr hin­ter­fragt er seine eigene Ent­ste­hung und seine Exis­tenz als Repli­kant. Er fragt sich, was einen Men­schen zum Men­schen macht und ob auch Maschi­nen mensch­lich sein können.

Wenn man einen Stein ins Was­ser wirft

Ursprüng­lich basiert die Geschichte um die Blade Run­ner auf dem Roman „Träu­men Andro­iden von elek­tro­ni­schen Scha­fen?“ von Philip K. Dick aus dem Jahre 1968. Spä­ter gab es auch noch eine Comic­um­set­zung des Romans. Die­ser gilt zusam­men mit Rid­ley Scotts Film­ad­ap­tion als große Inspi­ra­ti­ons­quelle für viele dys­to­pisch-phi­lo­so­phi­sche Zukunfts­vi­sio­nen. Etwa sind der Manga „Ghost in the Shell“ von 1989 sowie seine Ani­me­ad­ap­tion von 1995 stark von Dicks Roman beein­flusst. Gerade die Fra­ge­stel­lun­gen „Wie mensch­lich kann eine Maschine sein?“, „Was ist eigent­lich eine Seele?“ oder „Was macht das Men­schen­sein aus?“ defi­nie­ren die Grund­hand­lung von „Ghost in the Shell“ ebenso stark wie Dicks Roman und Scotts Film.

Auch im Video­spiel­be­reich gehen Ent­wick­ler immer wie­der auf diese The­ma­tik ein. Ein Bei­spiel ist etwa die „Deus Ex“-Reihe und auch das noch erschei­nende „Detroit: Become Human“ lässt der­ar­tige Ansätze ver­mu­ten. Offen­sicht­lich geis­tern diese exis­ten­ti­el­len, urphi­lo­so­phi­schen Fra­gen immer wie­der durch unsere Medi­en­land­schaft und bie­ten viel Stoff für Interpretation.

Ein wür­di­ger Nachfolger

Ryan Gos­ling als neuer Prot­ago­nist und Blade Run­ner beweist ein­mal mehr: Je weni­ger er schau­spie­lern muss, desto bes­ser schau­spie­lert er. Schon im Film „Drive“ zeigte er, in sei­ner Rolle als emo­ti­ons­lo­ser Fah­rer, dass er mit sei­nem Mini­ma­lis­mus am prä­sen­tes­ten ist. Nun kann er die­ses Talent auch in „Blade Run­ner 2049“ aus­spie­len, wo er eine Maschine ver­kör­pert, die ohne mit der Wim­per zu zucken ihre „Art­ge­nos­sen“ – andere Repli­kan­ten – tötet. Hier­durch wir­ken die Sequen­zen, in denen er dann doch Emo­tio­nen zeigt, umso inten­si­ver und effekt­vol­ler. Wei­ter­hin ist Ks Bezie­hung zu sei­ner Holo­gramm-Frau Joi – dar­ge­stellt von Ana de Armas – ein gran­dio­ses Bei­spiel für ein har­mo­ni­sie­ren­des Schau­spiel­paar. Die bei­den Cha­rak­tere ergän­zen sich wun­der­bar, sodass man mit ihrer Lie­bes­ge­schichte mitfiebert.

Auch die neue Film­ku­lisse reicht an den ers­ten Teil heran. Spielt sich die­ser noch kon­stant in den ver­reg­ne­ten und über­be­völ­ker­ten Stra­ßen und teils bau­fäl­li­gen Gebäu­den von Los Ange­les im Jahr 2019 ab, erwei­tert man im aktu­el­len Teil den Akti­ons­ra­dius. Der Zuschauer lernt nun auch Gebiete außer­halb der Stadt ken­nen und erfährt somit mehr über die Welt, in der sich alles abspielt.

Gleich­falls ist die Musik beein­dru­ckend stim­mungs­voll wie eh und je. Zum einen ist sie der Zeit und der Umge­bung ange­mes­sen kom­po­niert, zum ande­ren zieht sie einen auch immer wie­der und immer mehr in diese sehr graue und nahe dem Abgrund lie­gende Welt hin­ein. So erzeu­gen etwa die dröh­nen­den Syn­the­si­zer inner­halb der Stadt eine unan­ge­nehm drü­ckende und beklem­mende Atmo­sphäre. Eben­falls posi­tiv zu erwäh­nen ist, dass der neue Film die lang­same und ruhige Erzähl­weise sei­nes Vor­gän­gers bei­be­hält. Lange Kame­ra­ein­stel­lun­gen und nur wenige hek­ti­sche Schnitte geben dem Film selbst in sei­nen action­rei­chen Momen­ten eine ange­nehme Ruhe, wel­che einem als Zuschauer hilft, der Hand­lung zu fol­gen und nicht den Über­blick zu verlieren.

Wei­ter­ent­wick­lung

Mit der Zeit hat sich auch die Sze­ne­rie wei­ter­ent­wi­ckelt. War Har­ri­son Fords Cha­rak­ter Deck­art im ers­ten Teil noch auf dre­cki­gen Stra­ßen und in ver­fal­le­nen Häu­sern unter­wegs, ist die­ses schmut­zige und kaputte Chaos nun einer bei­nahe schon ste­ri­len Ord­nung gewi­chen. Auch die Far­men zu Film­be­ginn oder die Rui­nen­stätte, wel­che wohl einst Las Vegas gewe­sen ist, wir­ken so, als ob ihnen eine Ord­nung zugrunde liegt. Es scheint der Ver­such zu sein, in all die­sen Wir­run­gen der Ereig­nisse eine fast schon sur­reale Ord­nung auf­recht zu erhal­ten. Selbst die Müll­halde außer­halb von Los Ange­les wirkt „sau­ber“.

Beein­druckte der erste Teil noch mit dem Spiel von Licht und Schat­ten, so setzt Vul­le­neuve nun mehr auf Far­ben, um ver­schie­dene Sze­ne­rien – wort­wört­lich – zu unter­ma­len. Dadurch heben sich die unter­schied­li­chen Orte des Films gut sicht­bar von­ein­an­der ab. Bei­spiels­weise behielt er das graue Stadt­bild bei, taucht jedoch die Pro­te­in­far­men in ein gespens­ti­sches Weiß. Las Vegas umhüllt Vul­le­neuve mit einem gelb­brau­nen Sand­ne­bel; selbst die Innen­räume sind von die­ser Farbe über­zo­gen. Dies spie­gelt eine von der Außen­welt abge­schirmte Trost­lo­sig­keit wider.

In der Musik sind ebenso Ver­än­de­run­gen zu bemer­ken. War der erste Film noch geprägt von einer Kom­bi­na­tion aus Syn­the­si­zern und trau­ri­gem Blues, so hält ver­mehrt moder­nere Musik Ein­zug in die Fort­set­zung. Hin und wie­der gibt es noch auf den Vor­gän­ger bezo­gene Anlei­hen, die zum Wie­der­erken­nungs­wert der Blad Run­ner-Filme bei­tra­gen. Dar­über hin­aus ver­än­derte sich der Genre-Mix über die bei­den Teile hin­weg. Erin­nerte der erste Teil eher an einen Sci-Fi-Noir-Krimi – wie die Detek­tiv­ge­schich­ten aus dem Ame­rika der 20er Jahre – kommt „Blade Run­ner 2049“ mehr einer in der Zukunft spie­len­den Police-Story nahe.

All diese Ver­än­de­run­gen sind auch der lan­gen Zeit­spanne von 30 Jah­ren zu ver­dan­ken, wel­che im Film ver­gan­gen ist. Natür­lich hätte man dem Ori­gi­nal treu blei­ben kön­nen, jedoch wäre dies nur eine Imi­ta­tion gewe­sen. Durch diese Ent­wick­lung erhält der Film neben einer zeit­ge­mä­ßen Atmo­sphäre – wie etwa der Ver­wen­dung von Röh­ren­mo­ni­to­ren statt Flach­bild­schir­men – auch eine eigene Persönlichkeit.

Zwei­fel­haf­tes Erbe

Obwohl der Film das Zeug zu einem zeit­lo­sen Meis­ter­werk hat, gibt es einige Punkte, an denen etwas Kri­tik ange­bracht ist. Haupt­säch­lich bezieht sich diese auf die bei­den Ant­ago­nis­ten Nian­der Wal­lace und seine rechte Hand Luv. Zum einen Wal­lace, wel­cher die Nach­folge von Joe Tur­kel als Dok­tor Eldon Tyrell antritt. Von der Glaub­wür­dig­keit Jared Letos schau­spie­le­ri­schen Talents mal ganz abge­se­hen, gelingt es kaum, Zugang zu sei­nem Cha­rak­ter zu fin­den. Der blinde Unter­neh­mer besticht höchs­tens durch sei­nen wahn­haf­ten Got­tes­kom­plex – wel­cher ihn dazu treibt, den per­fek­ten Repli­kan­ten zu erschaf­fen – und das aggres­sive Zitie­ren kryp­ti­scher Bibel­stel­len. Es fehlt nur, dass er in einer Szene einen Apfel anbeißt und dann wegschmeißt.

Noch ent­täu­schen­der ist jedoch die Fir­men­exe­ku­tive und Wal­la­ces Stell­ver­tre­te­rin, die Repli­kan­tin Luv. Ein­zig dadurch ange­trie­ben, ihren Chef nicht zu ent­täu­schen und ihre Stel­lung als seine bis­her am bes­ten gelun­genste Schöp­fung bei­zu­be­hal­ten, führt sie jeden Befehl sei­ner­seits blind aus. Sie macht kei­ner­lei Cha­rak­ter­ent­wick­lung durch und ver­kommt zu einem unin­ter­es­san­ten und aus­tausch­ba­ren Hand­lan­ger. Eine solch gran­diose Dar­bie­tung, wie sie Rut­ger Hauer als tra­gi­sche Figur des Nexus-8-Repli­kan­ten Roy Betty im Meis­ter­werk von 1982 bie­tet, ist lei­der in kei­ner der Gegen­par­teien wie­der­zu­fin­den. Ein­zig Offi­cer K und seine Holo­gramm-Frau Joi machen eine wirk­lich merk­li­che Cha­rak­ter­ent­wick­lung durch, wohin­ge­gen die rest­li­chen Prot­ago­nis­ten dage­gen verblassen.

Eine ganz und gar mensch­li­che Einschätzung

„Blade Run­ner 2049“ ist trotz eini­ger Makel ein visu­el­les und erzäh­le­ri­sches Meis­ter­werk und sollte sich nicht hin­ter sei­nem Vor­gän­ger ver­ste­cken, der zu sei­ner Zeit enorme Stan­dards in der fil­mi­schen Sci­ence-Fic­tion-Land­schaft gesetzt hat. Die Fort­set­zung ist auf jeden Fall eine Emp­feh­lung für jeden Film­fan, auch wenn das favo­ri­sierte Genre nicht das des Sci­ence-Fic­tions ist.

Blade Run­ner. Regie: Rid­ley Scott. Dreh­buch: Hamp­ton Fan­cher, David Webb Peo­p­les. Dar­stel­ler: Har­ri­son Ford, Rut­ger Hauer, Sean Young u.a. War­ner Bros. USA, Hong Kong 1982. FSK 16.

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