Trostpflaster #BKtastisch

by Bücherstadt Kurier

In der nobels­ten Gar­ten­an­lage am Rande der Stadt – und auf der rich­ti­gen Seite des Flus­ses – hatte ich, Wühl­mäu­se­rich Snirt, eine beson­dere Ver­bin­dung mit Herrn Hagen aus mei­nem Lieb­lings­gar­ten. Er war ein Mensch und zudem ein noto­ri­scher Luxus­pro­blem­nörg­ler, bil­dete sich aber einen grü­nen Dau­men im Her­an­zie­hen von Pflan­zen ein. Mehr noch, er wollte der Züch­ter­kö­nig wer­den. Denn Jahr für Jahr gab es einen in gewis­sen Krei­sen ange­se­he­nen Wett­be­werb im Klein­gar­ten­ver­ein. Mal waren es die duf­tends­ten Rosen, mal die schönste Hecke, mal die bun­teste Beet­an­lage. Die­ses Jahr wünschte sich die Jury den schmack­haf­tes­ten Apfel­baum. Dage­gen wäre nun nichts ein­zu­wen­den, abge­se­hen von der Stö­rung der all­täg­li­chen Ord­nung, schließ­lich tat Herr Hagen bei der Pflan­zen­pflege sogar etwas für die Umwelt. Ich unter­stützte ihn nor­ma­ler­weise, wo ich konnte. Ent­we­der ich bestaunte seine Züch­tun­gen oder erschreckte seine Frau, indem ich ihr zwi­schen den Bei­nen hin­durch­rannte, wenn sie mit einem Tablett in den Gar­ten kam.
Aber es gab nun zwei Pro­bleme … einer­seits musste er den Baum erst zie­hen, denn in sei­nem Gar­ten befand sich kei­ner. Wie­der ein Grund mehr für ihn, zu nör­geln. Ande­rer­seits waren Apfel­baum­wur­zeln meine Leib­speise. Ich erin­nerte Herrn Hagen zwei­mal auf meine Art an die Natur einer Wühl­maus und knab­berte an den köst­li­chen Wur­zeln. Ich konnte ein­fach nicht anders.
Der Mann blieb eisern. „Die­ses Mal gewinne ich!“
Seine Frau und seine Toch­ter hiel­ten sich zunächst raus.
So schaute ich mir das eine Weile an. Immer wie­der pflanzte er einen neuen ver­edel­ten Trieb, manch­mal auch ein paar Kerne, weil das die Chance auf eine Neu­kreu­zung erhöhte, wie er jüngst sei­ner Toch­ter erklärt hatte. Jona­gold, Elstar, Bos­kop, keine Sorte war vor ihm sicher. Und immer wie­der musste ich mit mir und mei­nem Heiß­hun­ger kämp­fen. Und immer wie­der ver­lor ich.
Mir riss der Gedulds­fa­den end­gül­tig, als Wühl­maus Kle­ber erzählte, dass Herr Hagen neu­er­dings einen kräf­ti­gen, selbst­ge­zo­ge­nen Trieb im Gewächs­haus hätte. „Stell dir das mal vor! Ein wah­rer Fre­vel ist das! Denn bei mir sab­bern alle Fami­li­en­mit­glie­der, nur weil Herr Hagen nicht in der Lage ist, auf­zu­ge­ben!“, rief sie auf­ge­regt. „Er hat die Apfel­keim­linge extra mit einer Sub­strat­schicht bedeckt. Es gibt sogar Abfluss­lö­cher gegen die Stau­nässe! Ich kann die Wur­zeln förm­lich rufen hören – iss mich, iss mich! Dabei gibt es im gan­zen Gewächs­haus neu­er­dings Mausefallen.“
„Kle­ber, beru­hi­gen Sie sich doch! Auch die­ser Wett­be­werb wird vor­bei­ge­hen.“ Wühl­maus Ost­rich stand in ihrem Gemü­se­beet, Klein­gar­ten Num­mer drei. Die fehlte mir gerade noch! Am Ende ver­brei­tete sie wie­der unnütze Gerüchte über mich. Und das, obwohl ich gar nichts sagte.
Trau­rige Tat­sa­che war, dass der Hagen-Mensch ernst zu machen schien.
Am nächs­ten Tag sollte der Sohn mei­ner Exmaus bei mir antan­zen. Ich inspi­zierte gerade geschäf­tig das Hagen­sche Gewächs­haus, als Julius hin­ter mich trat und heulte. „Was treibst du in die­sem Gar­ten? Das doofe Hagen-Mädel hat mich gefan­gen und …“, er schluckte, „bei­nahe Dinge mit mir ange­stellt! Unvor­stell­bare Dinge! Konnte gerade so ent­kom­men. Lass uns abhauen!“
Ich kochte inner­lich. Nicht nur, dass Herr Hagen uns nun­mehr töd­li­che Ver­su­chun­gen vor die Nase setzte, nein, jetzt spannte er auch noch seine Fami­lie ein, um uns zu bekämp­fen. Also sagte ich: „Julius, ich habe einen Plan! Komm mit!“
Wir bega­ben uns in Lau­er­stel­lung. „Jetzt!“ Sobald Frau Hagen ans Gar­ten­tor trat, rannte ich zusam­men mit Julius gegen den Rechen, der neben ihr am Tür­chen lehnte. Die­ser kippte sogleich auf sie. Seine Har­ken ver­hed­der­ten sich in ihren Locken.
Sie schrie erschro­cken auf, aber es schien nie­man­den wei­ter zu interessieren.
Wir lie­ßen sie bedröp­pelt stehen.
Als Julius am Abend die Anlage ver­ließ, kreuzte der ver­peilte Junge direkt Herrn Hagens Weg. Bestimmt wusste der Nach­bar bereits, was wir sei­ner Frau ange­tan hat­ten und fak­tisch konnte er das nicht auf sich sit­zen las­sen. Ich sah, wie Hagen eine LED-Lampe anknipste, den dadurch ori­en­tie­rungs­lo­sen Julius ein­fing und ihn an sei­nem Schwänz­lein bau­melnd über die Hecke in den ers­ten Gar­ten zu Herrn Sanft­mut warf. Natür­lich nicht, ohne dabei über die sich ver­meh­ren­den Wühl­mäuse zu nör­geln, gegen die man end­lich etwas Rich­ti­ges tun müsse. Das ging ent­schie­den zu weit!
Fakt war, ab die­sem Zeit­punkt herrschte ein höchst ange­spann­tes Klima zwi­schen uns, denn es dau­erte nicht lange, bis in mei­nem Mäu­se­bau merk­wür­dige, läng­li­che Pil­len auftauchten.
Die Nach­richt mei­ner Exmaus brachte das Fass zum Über­lau­fen: Julius hat eine Gehirnerschütterung.
Nicht mit mir!
Vater Maus’ alt­klu­ger Kom­men­tar war mal wie­der typisch: „Das ist ein Fall für die Mäuse-Polizei!“
Ich hatte schon daran gedacht, aber ich wusste auch, dass die Ost­rich nichts Gutes über mich ver­brei­tete. Man­che glaub­ten ihr auch noch. De facto bin ich sowohl für den gesam­ten Müll der Anlage ver­ant­wort­lich als auch für die Weh­weh­chen der Omas, die zu lange in der Sonne brut­zel­ten. Ich war schuld an den ver­dorr­ten Blu­men aller Nach­barn sowie der Schwan­ger­schaft der ältes­ten Ost­rich-Toch­ter. Wobei Letz­te­res … ach, las­sen wir das.
Ich beschloss, mich erst­mal allein zu wehren.
Bereits am fol­gen­den Tag sorgte ich für eine wun­der­bare Tra­gö­die. Hagens Geschrei hörte man sicher bis in die nächste Stadt. Denn der Ärmste musste auf dem schön gepflas­ter­ten Weg in sein Gewächs­haus plötz­lich fest­stel­len, dass sich in sei­nem Hoch­beet kein Apfel­bäum­chen mehr befand. Kunst­stück, hatte den Maus­trupp selbst zusam­men­ge­trom­melt, um mich zu rächen. So schrie und meckerte er unge­hemmt, dass seine Mau­se­fal­len wohl kaputt wären. Dem­nächst würde er eine Katze aus dem Tier­heim holen. Wäh­rend­des­sen grinste ich in mich hin­ein, lief zum Gar­ten der Wühl­maus Kle­ber. Schluss mit Züch­ter­kö­nig. Zufrie­den kehrte ich etwas Schmutz von mei­nem Fell.
Mir war nicht so recht klar, dass die Hagens der­art übel­neh­me­risch waren. Doch die gesamte Fami­lie beschoss nun mei­nen Bau. Dies­mal mit dem Luft­ge­wehr. Was für Anfän­ger, sie schos­sen immer daneben!
War mir aber ganz recht, denn jetzt ging es alle im Klein­gar­ten­ver­ein etwas an. Vor allem Herr Sanft­mut bangte um die gesamte Anlage, als gehöre sie ihm höchst­per­sön­lich. Als zwei ver­irrte Geschosse seine Laube tra­fen, tippte er wild auf sei­nem Handy. Er rannte und rief neben­bei: „Poli­zei? Hallo? Was, War­te­schleife? Wollt ihr mich verarschen?“
Andere mensch­li­che Nach­barn fühl­ten sich gestört und ich musste auf dem Weg zur Wühl­maus Kle­ber den in der Gegend lie­gen­den Schu­hen, alter­tüm­li­chen Milch­kan­nen und sogar Werk­zeu­gen aus­wei­chen. Kurz spielte ich mit dem Gedan­ken, den Ham­mer, der Hagens Zeh getrof­fen hatte, ein­zu­sam­meln. Natür­lich nicht allein, viel­leicht zusam­men mit der mir gewo­ge­nen Maus. Man wusste ja nie, wann man diese Art von Gerät­schaft mal benötigte.
„Siehst du, sie machen sich gegen­sei­tig fer­tig, anstatt über die Ursa­che nach­zu­den­ken und diese zu besei­ti­gen – und damit meine ich nicht unsere Aus­rot­tung“, bemerkte die schlaue Maus, die mich bereits erwar­tete. Sie blin­zelte mir zu.
Schnell klet­ter­ten wir auf einen nahe ste­hen­den Baum. Von dort hat­ten wir einen aus­ge­zeich­ne­ten Blick über das Chaos. Herr Hagen rich­tete gerade ein ziem­lich gro­ßes Ziel­fern­rohr genau auf mei­nen Bau. „Feuer!“ Es zischte kurz. Dann flog eine Menge Erde um seine Ohren. Seine Frau stand dane­ben, ihre Gesichts­farbe änderte sich von rot zu bleich, bevor sie umkippte.
Hagen würde nicht so schnell wie­der an einem Gar­ten­wett­be­werb teil­neh­men, der hatte jetzt andere Sor­gen. Und ich hatte das, was in mei­ner Macht stand, getan, damit der Nach­bar mir nicht auf der Nase her­um­tanzte. Okay, mein Bau war dahin, aber mit Ver­lus­ten darf gerech­net wer­den, sagt jeden­falls mein Mathe­cou­sin immer.
Ich seufzte und rückte näher an Wühl­maus Kleber.
Sie lächelte. „Willst du viel­leicht erst ein­mal bei mir unterkommen?“
Das war wenigs­tens ein klei­ner Trost für einen wage­mu­ti­gen Wühlmäuserich.

Text: June Is (@ypical_writer)
Bild: Sei­ten­künst­ler Aaron

Ein Bei­trag zum Spe­cial #BKtas­tisch. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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