Über den Wunsch, wahrgenommen zu werden

by Zeichensetzerin Alexa

Cha­mä­le­ons sind fas­zi­nie­rende Tiere. Sie kön­nen nicht nur ihre Farbe der Umge­bung anpas­sen, son­dern auch die Augen in unter­schied­li­che Rich­tun­gen ver­dre­hen. Kein Wun­der also, dass diese Tiere immer wie­der in der Kin­der­li­te­ra­tur auf­tau­chen – mal mehr, mal weni­ger über­zeu­gend. Zei­chen­set­ze­rin Alexa hat „Napo­leon Cha­mä­leon“ kri­tisch betrachtet.

In „Napo­leon Cha­mä­leon“ ver­sucht der Prot­ago­nist, Freunde zu fin­den. Er wünscht sich nichts sehn­li­cher, als wahr­ge­nom­men zu wer­den und mit ande­ren Tie­ren zu spie­len. Das ist aller­dings gar nicht so ein­fach, denn Napo­leon ver­schmilzt so sehr mit sei­ner Umge­bung, dass er bei­nahe unsicht­bar wird. Viel­mehr erschre­cken sich die Tiere, wenn etwas, das sie nicht sehen kön­nen, in ihrer Nähe zu spre­chen beginnt.

Unsicht­bar – bis zur Gefahr

Dass ein Cha­mä­leon nicht sofort bemerk­bar ist, ist logisch, doch die Geschichte in die­sem Bil­der­buch nimmt einen absur­den Ver­lauf: Was auch immer Napo­leon ver­sucht – rufen, schie­len, eine Fuß­matte flech­ten, eine Vogel­tränke bauen –, Papa­gei Polly und Affe Micky neh­men ihn nicht wahr. Erst als sich Napo­leon in Gefahr begibt und auf die Hilfe der ande­ren ange­wie­sen ist, wird er „gese­hen“. Plötz­lich sind Polly, Micky und Napo­leon Freunde, und am liebs­ten spie­len sie Ver­ste­cken und „Farbe, wechsle dich“ zusammen.

Was ver­mit­telt die­ses Bil­der­buch? Es scheint, als müsste sich Napo­leon durch frag­wür­dige Hand­lun­gen bewei­sen, um die Auf­merk­sam­keit der ande­ren Tiere zu gewin­nen. Als sei er mit dem, was er schon kann und was ihn aus­macht, nicht wert­voll genug, um über­haupt wahr­ge­nom­men zu wer­den. Des­halb ist auch er der­je­nige, der sich bemerk­bar machen und um die Freund­schaft bemü­hen muss – nicht aber die ande­ren. Die­ser Ein­druck wird durch den Aus­gang der Geschichte bestärkt. Napo­leon muss erst weni­ger er selbst wer­den, um die Auf­merk­sam­keit der ande­ren zu gewin­nen: Durch den Sturz vom Ast ver­liert er den Schutz der Umge­bung und somit auch die ange­passte Farbe.

Cha­mä­leon-artig farbenfroh

Wäh­rend die Geschichte große inhalt­li­che Schwä­chen auf­weist, die als unpäd­ago­gisch betrach­tet wer­den kön­nen, ist die Gestal­tung des Buches das, was über­zeugt: Die Illus­tra­tio­nen von Chris­tine Faust spie­geln die farb­li­che Viel­falt eines Cha­mä­le­ons wider und spre­chen mit ihrer far­ben­fro­hen Gestal­tung Kin­der an. Die Illus­tra­to­rin schafft es, Wärme, Emo­tio­nen und die Atmo­sphäre eines Dschun­gels dar­zu­stel­len. Immer wie­der möchte man die Sei­ten betrach­ten und sich in den bun­ten, leuch­ten­den Bil­dern verlieren.

Lei­der ändern die anspre­chen­den Illus­tra­tio­nen nichts an dem Inhalt, der frag­wür­dige Bot­schaf­ten trans­por­tiert. Eine Emp­feh­lung kann daher nur mit gro­ßen Ein­schrän­kun­gen aus­ge­spro­chen wer­den. Das Bil­der­buch kann gezielt zur Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema Freund­schaft und Selbst­wert­schät­zung her­an­ge­zo­gen wer­den. Dabei kann die Hand­lung gemein­sam mit den Kin­dern kri­tisch betrach­tet wer­den: Muss ich mich wirk­lich erst auf gefähr­li­che Weise behaup­ten, um Freunde zu fin­den? Was ist Freund­schaft? Wie ent­steht sie? Und sind andere, die mich und meine Mühen zuvor igno­riert haben, wirk­lich Freunde?

„Napo­leon Cha­mä­leon“ eig­net sich als Gesprächs­an­lass und zur kri­ti­schen Betrach­tung des Inhalts, ein unre­flek­tier­tes Vor­le­sen ist aller­dings nicht zu empfehlen.

Napo­leon Cha­mä­leon. Kurt Cyrus, Andy Atkins. Illus­tra­tion: Chris­tine Faust. Über­set­zung: Gesine Schrö­der. Magel­lan. 2019.

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