„Und immer werde ich wiederkommen“

by Bücherstadt Kurier

Als sie in Flens­burg unter­wegs ist, ent­deckt Bücher­städ­te­rin Susanne eine Gedenk­ta­fel an einer Haus­wand, die gar nicht danach aus­sieht, als hätte dahin­ter ein­mal jemand Berühm­tes gelebt. Dies sind ihre Erin­ne­run­gen an die Dich­te­rin Emmy Ball-Hennings.

Fast hätte ich die Gedenk­ta­fel mit dem kur­zen Text an der Haus­wand über­se­hen: „Ich gehe mir nicht nach und immer werde ich wie­der­kom­men – Emmy Ball Hen­nings“. Die sau­ber geform­ten Buch­sta­ben wir­ken fremd vor dem schmuck­lo­sen Hin­ter­grund. Ergrau­ter Putz und ver­wit­terte Fens­ter – so sehen keine Mau­ern aus, die an große Namen erinnern.
Wie geht das, frage ich mich: Weg­ge­hen, ohne dem eige­nen Weg zu fol­gen? Kann eine, die so geht, über­haupt wie­der­kom­men? Und wenn es so wäre – ist es dann sie selbst, die wie­der­kommt? Oder sind es nur die Gedan­ken, die sie aus­schickt, um ab und zu nach dem Rech­ten zu sehen? Gedan­ken, die zurück­keh­ren – hier­her, wo es vor mehr als hun­dert Jah­ren begon­nen hat, die­ses selt­sam erflo­gene Leben?

Bil­der einer Kindheit

Weg­ge­gan­gen ist Emmy oft. Im Unter­wegs­sein war sie zu Hause. Viel­leicht ist es des­halb so schwer, ihr zu fol­gen, ohne sich ebenso zu ver­flie­gen. Wie soll man Geschich­ten erzäh­len von einer, die selbst ein Leben lang nach ihrer eige­nen Geschichte gesucht hat? Die in der eige­nen Erin­ne­rung das Erträumte und das Erlebte nie genau zu tren­nen wusste? Also träume auch ich…

Ich träume mich hin­ein in ein Leben, das hier am Rande des Flens­bur­ger Hafen­ge­bie­tes auf Kin­der­fü­ßen durch die holp­ri­gen Gas­sen hüpfte. Ohne Schuhe ver­mut­lich, aber reich an Fan­ta­sie, die von Geräu­schen genährt wurde: das gespens­ti­sche Knis­tern an den Öfen der Glas­hütte, das Tuten der För­de­damp­fer, das Rum­peln der Wagen auf dem Kopf­stein­pflas­ter, das Seuf­zen der Frauen und das Lachen der Kin­der. Das alles mischte sich zu einer Musik der Straße, zu einem schrä­gen Vor­spiel für die unge­zähl­ten Stun­den auf den wacke­li­gen Bret­tern einer Wan­der­bühne. Denn so ein rei­sen­des Thea­ter zog die junge Emmy bald in ein ganz ande­res Leben hin­ein. Auch in ihren Gedich­ten höre ich etwas davon:

„Ich bin die kleine Unscheinbare,
die sich ver­irrt in Gas­sen fand,
die sich ver­lor ins Wunderbare,
in dir, du Lied der jun­gen Jahre,
das stets in mei­ner Seele stand.“

Ver­flo­gen, ver­irrt, ver­lo­ren – ins Wun­der­bare. Immer­hin! Die Hoff­nung auf ein Wun­der ist an ihrer Seite geblie­ben. Gerade dann, wenn geliebte Men­schen ihren Weg nicht mit­ge­hen konn­ten – die Män­ner nicht und auch nicht die eige­nen Kin­der. Hoff­nungs­fun­ken, ent­facht in flüch­ti­gen Momen­ten der Nähe und Gebor­gen­heit, haben ihren Weg gesäumt, haben sich ver­dich­tet zu Ver­sen und ein­ge­mischt in ihr Thea­ter­spiel, haben in der Erin­ne­rung viel­leicht für kurze Zeit immer wie­der Bil­der ihrer Kind­heit zum Leuch­ten gebracht. Jenes Wie­der­kom­men, von dem die Tafel am Geburts­haus der Emmy Ball Hen­nings mit star­ren Zei­chen erzählt, stelle ich mir eher vor wie eine bren­nende Sehn­sucht, an der sich die Wel­ten­wan­de­rin zu wär­men ver­suchte, wenn ihr der Fahrt­wind kalt um die Nase wehte.

Frei­heit am Horizont

Zum Wei­terträu­men muss auch ich jetzt die engen Stra­ßen ihrer Kind­heit ver­las­sen und höher stei­gen. Nein – nicht so hoch wie sie damals. Nicht hin­auf in die Schwei­zer Berge. Nur wenige hun­dert Meter von ihrem Geburts­haus ent­fernt führt ein Weg her­aus aus dem Grau der Indus­trie­an­la­gen. Ein sanf­ter Anstieg – und ich bin von flüs­tern­den Park­bäu­men umge­ben: stille Zeu­gen seit Jahr­hun­der­ten schon. Die aus­la­den­den Blät­ter­kro­nen erin­nern sich viel­leicht noch daran, wie Emmy mit ihren Freun­din­nen manch­mal durch den Wald zum Baden an den Strand gelau­fen ist. Es kann gar nicht anders sein. Um ans Was­ser zu kom­men, muss man erst die­sen schat­ti­gen Hügel über­win­den, den die Glet­scher der Eis­zeit hier zusam­men­ge­scho­ben haben.

Gut mög­lich also, dass Emmy sah, was ich jetzt sehe: An der höchs­ten Stelle des stei­len Ufers ange­kom­men, wan­dert der Blick aus dem Dun­kel des Wal­des über das silb­rige Blau der Förde und lässt am Hori­zont die Weite des Mee­res ahnen. Hier bie­ten Baum­rie­sen siche­ren Halt. Dahin­ter aber ist alles offen. Wur­zeln und Frei­heit, denke ich. Emmy wird andere Worte dafür gefun­den haben. Viel­leicht hat sie diese Land­schaft auch schwei­gend in sich auf­ge­nom­men, hat etwas davon mit­ge­nom­men in ihr Wan­der­le­ben, hat auf Rei­sen Halt gesucht in die­sem Bild – oder eine Vision, um wei­ter von der Frei­heit zu träumen.

Inzwi­schen ist das Ziel mei­ner Wan­de­rung erreicht. Vor mir rol­len die Ost­see­wel­len träge über die Steine. Ein lan­ger Holz­steg lässt mich noch ein gan­zes Stück über das Was­ser lau­fen. Dann endet der Weg. Ver­wei­len und umkeh­ren – hier ist das möglich.

Bin ich Emmy Ball Hen­nings nun doch nach­ge­gan­gen? Habe ich mich ein­ge­schli­chen in ihr Wan­der­le­ben, mit den eige­nen Füßen an einem son­ni­gen Sonn­tag­nach­mit­tag im Juli? Ver­mes­sen wäre das! Mit ihr mit­ge­hen – das ist viel­leicht nie einem Men­schen für län­gere Zeit gelun­gen. Nach­ge­hen mochte nicht mal sie selbst die vie­len Durst­stre­cken und Sack­gas­sen, in denen sie sich immer wie­der ver­lor. Und immer wiederfand.

„Lass ruhen mich in Harfendämmerungen,
und lass mich träu­men dei­nen schöns­ten Stern.
Und wenn das letzte Licht verklungen,
dann sterb ich gern.“

Als sie so dich­tete, hat ihr ein Licht noch viele Jahre lang immer wie­der neue Töne geschenkt: Leuch­tend klin­gende Worte – lie­be­volle Bot­schaf­ten, die nach lan­ger Reise anka­men im Leben ande­rer Men­schen. Auch bei mir.

Text & Fotos: Susanne Brandt

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