Ungreifbare Geschichte

by Bücherstadt Kurier

Foto: Wortklauberin Erika

Ricarda blickte durch die Schieß­scharte und seufzte. Vor sie­ben Jah­ren war sie von der span­nen­den Geschichte und dem Ver­spre­chen, irgend­wann selbst Füh­run­gen zu über­neh­men, auf die Burg Fal­ken­stein gelockt wor­den. Die Rea­li­tät sah lei­der ganz anders aus: In einem klei­nen Büro ver­kaufte Ricarda Ein­tritts­kar­ten, Post­kar­ten und Bücher an Tou­ris­ten. Defi­ni­tiv nicht die Arbeit, die sie sich vor­ge­stellt hatte.
Sie legte die Stirn gegen den kal­ten Stein.
Lass Man­nie das mal machen, der kennt sich aus, das war der Lieb­lings­satz ihres Chefs, der ‚der Neuen‘ nichts zutraute.
Man­nies Füh­run­gen waren lang­wei­lig. Am Anfang war Ricarda die Tour mit­ge­lau­fen, um gege­be­nen­falls Fra­gen dazu beant­wor­ten zu kön­nen und ihr und eini­gen Besu­chern wären mehr­mals bei­nahe die Augen zuge­fal­len. Trotz­dem war die Burg in den Som­mer­mo­na­ten gut besucht, wahr­schein­lich aber nur wegen der Legende des ver­schol­le­nen Burg­herrn, Richard von Fal­ken­stein. Auch sie war davon fas­zi­niert. Viele ihrer Arbeits­stun­den ver­brachte Ricarda damit, über diese Legende Nach­for­schun­gen anzu­stel­len, las Bücher und nahm diese in die Aus­lage auf. Sie hatte Man­nie sogar ein paar Hin­weise dar­aus für seine Füh­rung gege­ben, doch warum sollte er auch auf ‚das junge Ding aus der Stadt‘ hören?
Ricarda ver­suchte sich seit einer Weile an einem eige­nen Buch, aber sie kam nicht weit, alles hörte sich an wie schon mal dage­we­sen und Man­nie war ihr keine Hilfe. Bes­ten­falls würde der sei­nen Namen unter ihr Buch setzen …

„Eine schöne Aus­sicht“, sprach sie plötz­lich jemand an.
Ricarda zuckte zusam­men und stieß sich die Stirn an der Mauer.
„Oh, das tut mir leid, ich wollte dich nicht erschre­cken“, kam die auf­rich­tige Entschuldigung.
Mit ver­zo­ge­nem Gesicht rieb sich Ricarda den schmer­zen­den Kopf und drehte sich um. Ihr Blick fiel auf ein paar Leder­stie­fel und sie stutzte. Die waren alles andere als modern, eher etwas, was sie auf einem Mit­tel­al­ter­markt erwar­tete. Auch die rest­li­che Klei­dung wirkte alt, als ob ... War er in Gewan­dung auf die Burg gekom­men? Hin und wie­der erlaubte der Chef es Schau­stel­ler­grup­pen, ihre Ver­an­stal­tun­gen hier oben abzu­hal­ten, aber soweit sie wusste, fand gerade keine statt. Als Ricarda in das Gesicht des Man­nes blickte, lächelte er ihr freund­lich zu, seine blauen Augen strahl­ten regel­recht im Schein der Sonne.
„Tut mir leid“, wie­der­holte er sanft.
„Schon okay, ich war in Gedan­ken …“, winkte Ricarda ab und konnte nichts gegen das Lächeln tun, das sich auch in ihrem Gesicht aus­brei­tete. Die Situa­tion war ein­fach zu albern. Ricarda nahm die Hand von der Stirn. „Sind Sie Teil einer Rei­se­gruppe? Kann ich Ihnen behilf­lich sein?“, fragte sie ver­sucht professionell.
„Ich denke, ja, daher wollte ich mit dir spre­chen“, erwi­derte er sogleich.
„Worum geht es denn?“, ant­wor­tete Ricarda, die Ver­traut­heit ignorierend.
„Dein Buch.“
Mit offe­nem Mund starrte Ricarda ihn an. „Wie- was- woher weißt du von mei­nem Buch?“
Ohne auf ihre Frage ein­zu­ge­hen, sprach er wei­ter: „Das, was du bis­her geschrie­ben hast, ist gut, aber du brauchst etwas mehr … Authen­ti­zi­tät, ver­stehst du?“, und ges­ti­ku­lierte dabei ausschweifend.
Ricarda legte die Stirn in Fal­ten. Ihre Gedan­ken über­schlu­gen sich. Hatte sie irgend­wann das Doku­ment auf dem Rech­ner offen gelassen?
„Oh, natür­lich, ich hätte mich vor­stel­len sol­len: Richard von Fal­ken­stein. Freut mich, deine Bekannt­schaft zu machen.“ Er hielt ihr seine Hand entgegen.
Ricarda schaute ihn miss­trau­isch an, dann erwi­derte sie die Begrü­ßung. Doch als sie zugrei­fen wollte, griff sie ins Nichts, ledig­lich hel­ler Rauch umspielte ihre Finger.
„Tut mir leid, ich dachte, so glaubst du mir eher“, gab Richard zu und zog seine Hand zurück, die bald dar­auf wie­der nor­mal aussah.
„Du-du-du-“, begann Ricarda und wich von ihm zurück, bis ihr Rücken gegen die Mauer stieß.
„Bist ein Geist“, half er ihr auf die Sprünge. „Ja, das bin ich und ich möchte, dass du meine Geschichte auf­schreibst“, erklärte er ihr und machte einen Schritt auf sie zu. Ihr wurde schwarz vor Augen.

„Hey! Wäh­rend der Arbeit wird nicht geschla­fen!“, hörte Ricarda eine knar­zige Stimme neben sich und die Welt schwankte mit dem unsanf­ten Ver­such, sie zu wecken.
Anstelle des Geists hockte Man­nie neben ihr und schaute sie amü­siert an.

Kurz danach war Ricarda auch schon wie­der in ihrem Trott, aber die merk­wür­dige Begeg­nung ließ sie nicht los. Ihren Kopf in die Hände gestützt, rief sie sich diese in Erin­ne­rung, um zu begrei­fen, ob es nicht doch nur ein Hit­zet­raum gewe­sen war.
„Störe ich?“, riss eine sanfte Stimme sie aus ihren Gedan­ken und sie blickte auf.
Da stand er: Richard von Fal­ken­stein. War sie wie­der eingeschlafen?
„Bitte nicht wie­der ohn­mäch­tig wer­den“, bat er mit fle­hen­dem Aus­druck im Gesicht und aus­ge­streck­ter Hand.
Ein lau­tes Lachen brach aus Ricarda her­vor und mit einem Kopf­schüt­teln beru­higte sie sich wie­der. „Das darf doch wohl nicht wahr sein …“, mur­melte sie und rieb sich die Augen, doch der Geist ver­schwand nicht. „Du bist echt.“
„Ja, könn­ten wir nun über dein Buch spre­chen?“, wech­selte er sogleich das Thema. In sei­ner Stimme schwang Erhei­te­rung, aber auch Ernsthaftigkeit.
„Du willst mir hel­fen mein Buch zu schrei­ben. Warum nicht einem For­scher?“, ver­suchte Ricarda ein plau­si­ble­res Thema.
„Weil die mich nicht hören konn­ten“, offen­barte Richard nie­der­ge­schla­gen. „Ich habe sie beob­ach­tet und ver­sucht, ihnen Hin­weise zu geben, aber nie­mand außer dir hat mich bis­her ver­stan­den“, erklärte er wei­ter. „Ich möchte, dass end­lich die Wahr­heit über mei­nen Tod auf­ge­deckt wird -“ Richard stoppte und sah zu Boden, fast flüs­ternd fügte er hinzu: „Und viel­leicht werde ich dann end­lich erlöst.“
Ricarda betrach­tete den Geist und wusste, dass sie ihm hel­fen musste. „Na dann schieß mal los“, for­derte sie, nach­dem sie ein Text­do­ku­ment geöff­net hatte.

Freu­de­strah­lend begann Richard zu erzäh­len, wäh­rend ihre Fin­ger über die Tas­ta­tur flo­gen. Von sei­nem Vet­ter und wie sie beide die glei­che Frau lieb­ten und wie er her­aus­fand, dass sie nur sei­nen Titel wollte. Doch wei­ter kam er nicht.
„Was schreibst du da?“, fragte Ricar­das Chef neu­gie­rig und hatte schon den Tisch umrun­det bevor sie das Doku­ment ver­klei­nern konnte.
Ricarda erahnte bereits die abfäl­lige Bemerkung.
„Fan­fic­tion?“, kam diese auch sogleich.
„Nein, ich-“, ver­suchte sie sich zu erklä­ren, aber ihr Chef wollte nichts davon hören.
„Ach komm, mach Fei­er­abend, das kannst du auch Zuhause wei­ter­tip­seln“, winkte er ab und ließ sie allein.
„Wie soll ich deine Geschichte auf­schrei­ben, wenn mir nie­mand glaubt? Wie soll ich sie bewei­sen?“ Genervt schloss sie das Doku­ment, schal­tete den Rech­ner aus und zog sich an. Richard ver­suchte, sie zu beru­hi­gen, aber sie hörte ihm nicht zu.

Zuhause ver­scheuchte sie zunächst alle Gedan­ken an das Gesche­hene, doch dann packte sie es wie­der und sie fing an, ihre Bücher nach einer Lösung zu durchforsten.

Am nächs­ten Mor­gen erwar­tet Richard sie bereits hoffnungsvoll.
„Ich habe nach­ge­dacht, wie wir meine Geschichte bewei­sen kön­nen“, eröff­nete er ihr, wor­auf Ricarda nur ein knap­pes: „Ich auch“ erwiderte.
„Mein Tage­buch“ – „Dein Ske­lett“, sag­ten sie gleichzeitig.
„Was?“- „Oh.“ Beschämt sahen die bei­den zur Seite.
„Weißt du, wo du begra­ben bist?“, fragte Ricarda vorsichtig.
„Nein“, gab Richard zu und ihre Hoff­nung schwand. Doch dann sagte er: „Aber ich weiß, wo mein Tage­buch sein müsste.“
„Gut, dann brau­chen wir jetzt nur noch fach­li­che Unter­stüt­zung …“ Ricarda zog ein Buch aus dem Regal und drehte Richard die Rück­seite mit dem Autoren­foto ent­ge­gen. „Das ist Alex­an­dra Boden­thal. Sie ist eine renom­mierte His­to­ri­ke­rin und Archäo­lo­gin, die sehr an dei­ner Geschichte inter­es­siert ist. Was meinst du?“
Richard nickte freudestrahlend.

Die For­sche­rin war schnell über­zeugt und selbst Ricar­das Chef war damit ein­ver­stan­den, dass Ricarda sie betreuen würde. Die Tage bis zu ihrer Ankunft nutzte Ricarda dafür, Richards Geschichte aufzuschreiben.

Skep­tisch folgte Alex­an­dra Ricar­das Aus­füh­run­gen und las sich Teile der Geschichte durch. Erst als sie sich auf den Gedan­ken ein­ließ, dass es den Geist des ver­schol­le­nen Burg­herrn wirk­lich gab, konnte auch sie ihn sehen. Ohne Zögern stimmte sie dar­auf­hin dem Plan zu.

Richard führte sie in sein altes Schlaf­ge­mach, das mitt­ler­weile umge­baut wor­den war. Die Stelle, auf der einst sein Bett gestan­den hatte, war frei und so kamen sie gut an die ehe­mals dar­un­ter­lie­gen­den Boden­leis­ten heran, auch wenn Ricarda dafür ein Brech­ei­sen besor­gen musste. Als sie die Holz­bret­ter gelöst hat­ten, fan­den sie tat­säch­lich das Tage­buch, zer­brech­lich und ver­gilbt, aber erhalten.
Vor­sich­tig nahm Alex­an­dra es her­aus und las den letz­ten Ein­trag vor: „Zum Dank, dass ich Mecht­hild ent­sagte, lud Wil­helm mich zur Jagd. Wir wer­den mor­gen in den Wald zie­hen, um Wild zu schießen -“
„Ich weiß es wie­der …“, ent­fuhr es Richard und die bei­den Frauen blick­ten zu ihm hin­auf. „Wir sind aus­ge­rit­ten. Auf dem Rück­weg hat mich etwas am Kopf getrof­fen …“, unwill­kür­lich strich er über die Stelle, „und als ich auf­wachte, war ich in einer Kam­mer im Wein­kel­ler und kam nicht mehr heraus!“
„Dann hätte man dich schon längst gefun­den, da ist nur eine Abstell­kam­mer“, wider­sprach Ricarda.
„Bitte, lasst uns nach­se­hen! Viel­leicht erin­nere ich mich an mehr!“, flehte Richard sie an und die bei­den Frauen gaben nach.

Im Wein­kel­ler stellte er sich einige Meter neben die in die Wand ein­ge­las­sene Tür.
„Hier“, ver­kün­dete Richard. Alex­an­dra begann die Wand abzu­klop­fen. Das Brech­ei­sen würde ihr hier nicht hel­fen. Kur­zer­hand schickte sie Rebecca zur Restau­rie­rungs­werk­statt, um Ham­mer und Mei­ßel zu besor­gen. Erst vor­sich­tig, dann kräf­ti­ger bear­bei­tete sie die Rit­zen zwi­schen den Stei­nen, bis sich einer von ihnen löste und laut pol­ternd zu Boden fiel. Alex­an­dra klopfte auf das Mate­rial, das dahin­ter zum Vor­schein kam und bestä­tigte: „Holz.“
Ein lei­ses „Danke“ ließ die bei­den her­um­fah­ren, aber Richard war bereits verschwunden.
„Wir haben’s geschafft!“ Ricarda lachte freu­dig auf.
Alex­an­dra stimmte ein und schloss die jün­gere Frau in die Arme.
Sie hat­ten nicht nur das größte Geheim­nis der Burg gelüf­tet, son­dern auch einen rast­lo­sen Geist befreit.
Das sollte Man­nie ihr erst­mal nachmachen.

Anne Zandt / Poi­Son­PaiN­ter
Foto: Wort­klau­be­rin Erika
Ein Bei­trag zum Pro­jekt 100 Bil­der – 100 Geschich­ten – Bild Nr. 29.

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1 comment

Tiphaine 2. April 2018 - 23:11

nette idee und über­zeu­gend geschrie­ben, habe ich sehr gerne gelesen 🙂

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