(Un)holy trinity

by Bücherstadt Kurier

„[...] die letzte Uni-Woche, ergo eine Prü­fung nach der ande­ren. Beim Gedan­ken daran ver­ließ mich der Mut. Wie sollte ich es jemals schaffen?“

(Un)holy tri­nity

Wenn mich jemand fragt, ob ich reli­giös sei, ant­worte ich spon­tan immer mit „Nein“. Auch wenn ich dann im zwei­ten Moment eine Defi­ni­tion von „reli­giös“ ver­lange. Es ist ja schließ­lich alles relativ.
Ich selbst defi­niere mich nicht als reli­giös – Defi­ni­tion hin oder her. Ich glaube zwar an Gott und einige andere über­na­tür­li­che Phä­no­mene und bin neben­her mehr oder weni­ger über­zeugte Bud­dhis­tin, aber all dies ist für mich viel mehr eine Phi­lo­so­phie, eine Lebens­weise, als eine Reli­gion. Ich finde es auch nicht so wich­tig, zwi­schen den bei­den zu unterscheiden.
Wie auch immer; es gibt so Momente oder Pha­sen in mei­nem Leben, in denen ich das Gefühl habe, die­sen „Wesen“, die­ser „Macht“ sehr nahe zu sein. Dass dies meist in „schwe­ren“ Zei­ten pas­siert, wun­dert mich schon lange nicht mehr. Im Gegen­teil, ich bin sogar sehr dank­bar dafür. Es ist so, als ob jemand mer­ken würde, dass ich in der Klemme ste­cke, dass ich ein „Zei­chen“ brau­che, einen Sil­ber­strei­fen am Hori­zont, an dem ich mich fest­klam­mern kann.
So erging es mir auch in der fol­gen­den Geschichte:

Die Prü­fungs­zeit ist immer eine Her­aus­for­de­rung für mich. Nicht etwa, weil ich nicht effi­zi­ent ler­nen kann oder weil ich Prü­fungs­angst habe. Mein Pro­blem ist noch viel ego­is­ti­sche­rer Natur: Ich bin – und das behaupte nicht nur ich – ein sehr ordent­li­cher und kor­rek­ter Mensch. Dar­aus folgt, dass ich keine hal­ben Sachen mache, immer ver­su­che mein Bes­tes zu geben und dabei auch noch sehr streng mit mir selbst bin. Das wäre ja viel­leicht noch aus­zu­hal­ten. Aber dazu kommt, dass es bei mir eine sehr enge Ver­bin­dung zwi­schen Geist, Seele und Kör­per gibt. Das heißt, beschäf­tigt mich etwas gedank­lich zu sehr, spüre ich das auch kör­per­lich. Ergo: Wenn ich meine Über­mo­ti­va­tion und Über­ge­nau­ig­keit in der Prü­fungs­zeit nicht in den Griff kriege, habe ich Magen­schmer­zen, ich schlafe zu wenig und ich bin oft kör­per­lich so ange­spannt, dass mir schlecht wird.
Nun habe ich es die­ses Semes­ter zum ers­ten Mal geschafft, mei­nen Dra­chen zumin­dest halb­wegs zu zäh­men und ihn nur sehr sel­ten auf­zu­we­cken. Es war unheim­lich anstren­gend, so gegen mich selbst zu arbei­ten und ein dau­er­haf­tes Gefühl von Ent­spannt­heit und Gelas­sen­heit auf­recht zu erhal­ten. Ich durfte meine Gedan­ken keine Sekunde lang aus dem Kopf ver­lie­ren und musste stän­dig die Kon­trolle aus­üben. Eine mei­ner schwie­ri­ge­ren Übungen.
Es gab Momente, da war ich kurz davor, alles hin­zu­schmei­ßen. Ich über­legte, ob es nicht etwa nega­tive Kon­se­quen­zen haben könnte, wenn ich so gegen mich arbei­tete und bestimmte Gedan­ken und Gefühle ein­fach unter­drückte. Ich zwei­felte stark daran, ob das wirk­lich die rich­tige Methode war.

Eines Mon­tag­mor­gens saß ich – wie jede Woche – im Zug. Da er wie­der ein­mal über­füllt war, begab ich mich in den klei­nen Bereich, der sich zwi­schen dem Wagon-Ende und dem Sitz­platz-Bereich befin­det, von dem er durch eine Tür abge­grenzt ist. Außer mir hiel­ten sich dort noch drei Män­ner auf, die Sport­klei­dung tru­gen und mit Rad­hel­men aus­ge­rüs­tet waren.
Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand des Zuges. Es machte mir nichts aus, die vier­zig Minu­ten bis zum nächs­ten Bahn­hof, wo ich umstei­gen musste, zu ste­hen. Viel­mehr graute es mich vor der kom­men­den Woche: die letzte Uni-Woche, ergo eine Prü­fung nach der ande­ren. Beim Gedan­ken daran ver­ließ mich der Mut. Wie sollte ich es jemals schaf­fen? Wie konnte ich mei­nen Dra­chen im Zaum hal­ten und mich gleich­zei­tig auf die Prü­fun­gen vor­be­rei­ten? Es schien mir ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich bemühte mich, tief durch­zu­at­men und mir selbst Mut zuzu­spre­chen. Da spürte ich einen Blick auf mir. Ich blickte hoch, aber kei­ner der drei Män­ner sah mich an. Wie ich sie so betrach­tete, kam mir vor, sie irgendwo schon ein­mal gese­hen zu haben. Irgend­et­was an ihnen kam mir ver­traut vor. Doch so sehr ich auch nach­dachte, ich kam ein­fach nicht drauf, was es war.

Da klin­gelte ein Handy. Einer der drei Män­ner zog es aus dem Ruck­sack. Erst nach eini­gen Tak­ten erkannte ich den Klin­gel­ton: „Unholy Tri­nity“ von „The Who“. Und da wusste ich plötz­lich, woran mich die drei erin­ner­ten. Die Hei­lige Dreifaltigkeit.
„Der Hei­lige Geist“ war am ein­fachs­ten zu erken­nen. Er war der­je­nige, der ruhig und gelas­sen am Fens­ter stand und so gut wie nie ein Wort sagte. Außer­dem war auf sei­ner Schild­kappe ein Vogel abge­bil­det, der zwar mehr an eine Möwe als an eine Taube erin­nerte, aber das schien mir irrele­vant. „Jesus“ war der ein­zige der drei, der ein „mensch­li­ches Makel“ hatte; ver­ständ­lich, da er ja einst ein Mensch gewor­den war: Er trug eine Seh­brille. Er lächelte vor sich hin und war mir auf Anhieb sehr sympathisch.
„Gott­va­ter“ war der älteste der drei. Auf sei­nem T‑Shirt war ein Drei­eck abge­bil­det. Er wirkte sehr auto­ri­tär und auch ein wenig ein­schüch­ternd auf mich; an sei­nem gan­zen Auf­tre­ten war irgend­et­was Chef-Typi­sches. Im Gegen­satz zu „Jesus“ wirkte er recht ernst, so als ob er unheim­lich viel zu den­ken und zu tun hätte.
Ganz egal, wie viel Wahr­heit in die­ser Erkennt­nis steckte oder auch nicht, ich fühlte mich auf ein­mal unheim­lich erleich­tert. Es war, als ob mir jemand wie­der Mut ein­ge­flößt hätte. Als sich „der Hei­lige Geist“ unter mei­nem Blick auch noch zu mir umdrehte und mir zuzwin­kerte, wusste ich, dass ich es schaf­fen würde. Egal wie. Ich war nicht allein.

Sil­via

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