Vaterliebe

by Poesiearchitektin Lena

Mein Sohn ist behin­dert, wodurch wir bereits viele auf­re­gende, anstren­gende und für Außen­ste­hende merk­wür­dig erschei­nende Tage erlebt haben. Doch kei­ner war so selt­sam wie der, an dem Ole einen Floh­markt ver­an­stal­tet hat und neben sei­nem Spiel­zeug ver­se­hent­lich auch Kno­chen ver­kau­fen wollte.
Ich bin allein­er­zie­hen­der Vater und lebe, wie die Jugend­li­chen heute sagen, „spie­ßig“. Ich besitze ein klei­nes Haus mit Gar­ten. Die Hecken sind immer ordent­lich gestutzt, die Fens­ter so sau­ber, dass manch einer den­ken könnte, dass gar keine Scheibe exis­tiert, und ich bin stol­zer Samm­ler von Gar­ten­zwer­gen. Meine Frau ist tot. So habe ich mir mein Leben nie vor­ge­stellt; ich wollte mit ihr alt wer­den, drei gesunde Jungs bekom­men, die sport­lich sind, gut in der Schule und spä­ter mal Anwälte wer­den, damit sie mich finan­zi­ell unter­stüt­zen, sodass ich in Ruhe auf mei­nem klei­nen Wein­gut in Süd­frank­reich alt wer­den kann.
Meine Lei­den­schaft, die Zwerge, ist aller­dings ein teu­res Hobby. Man fin­det mich eher auf Floh­märk­ten als im Fit­ness­stu­dio. Das sieht man mir lei­der auch an. Was ich zu viel an Bauch habe, fehlt auf dem Kopf. Ich glaube, das ist auch der Grund, wes­halb ich bei den Frauen nicht mehr so gut ankomme wie in mei­ner Jugend. Damals war ich heiß begehrt. Ich wurde sogar fast zum Ball­kö­nig ernannt. Ich bin mir sicher, dass es knapp war – hat mir jeden­falls meine Mit­schü­le­rin aus dem Phy­sik­leis­tungs­kurs erzählt. Ich lese unglaub­lich gerne Kri­mis, auch wenn ich dann abends nicht gut schla­fen kann und meine Socken anbe­hal­ten muss. Das beru­higt mich irgendwie.
Mein Sohn brachte mein gesam­tes, ruhi­ges Leben durch­ein­an­der. Ich liebe ihn natür­lich, keine Frage, aber er macht es mir manch­mal nicht leicht. Seine liebste Beschäf­ti­gung ist es bei­spiels­weise, den Gar­ten wie ein Maul­wurf umzu­gra­ben. Stun­den­lang sitzt er drau­ßen und bud­delt. An guten Tagen singt er laut kräch­zend. An schlech­ten schlägt er mit der Schau­fel auf Schne­cken ein. In die­ser Hin­sicht sind wir uns nicht ähn­lich. Floh­märkte aller­dings liebt er genauso wie ich.

Ich erin­nere mich ganz genau: Es war das erste Mal, dass er sel­ber als Ver­käu­fer dort war. Als ver­ant­wor­tungs­vol­ler Vater för­dere ich ihn immer, wenn es geht. Ich schickte ihn erst letz­tens in sein Zim­mer mit der Anwei­sung, alles zusam­men zu räu­men, was er nicht mehr brauchte. Ich weiß nicht, ob er mich rich­tig ver­stan­den hat, denn es war ein ziem­lich vol­ler Sack. Er war so auf­ge­regt wie schon lange nicht mehr, als wir alles ins Auto pack­ten und los­fuh­ren. Ich baute den Tape­zier­tisch auf und plat­zierte die Kis­ten vol­ler Klein­kram für einen Euro davor. Ole kippte dort alles hin­ein. Bücher und grö­ßere Gegen­stände wie Kuschel­tiere, Spiel­zeug­au­tos und Sand­kas­ten­kram hin­ge­gen kamen auf den Tisch. Selbst­ver­ständ­lich habe ich Ole beim Ver­kau­fen gehol­fen. Er kann nicht wirk­lich spre­chen und ist sehr schnell abge­lenkt und lacht als wäre er das Lus­tigste der Welt. Nach einer Stunde hatte er schon keine Lust mehr. Ein Wun­der, dass er so lange am Floh­markt inter­es­siert war. Ich blickte ihn lie­be­voll an und in die­sem Moment hörte ich wie zwei kleine Jungs erstaunt und erfreut rie­fen, dass sie nun end­lich Nean­der­ta­ler spie­len könn­ten. Sie saßen vor den Plas­tik­kis­ten und ich bemerkte, dass sie meh­rere kno­chen­ähn­li­che Gegen­stände in den Hän­den hielten.
Kno­chen? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Mir stockte der Atem und alles fing an, sich zu dre­hen. Ich sah zu Ole und erin­nerte mich an die Tage, an denen ich ihn hin und wie­der aus dem Fens­ter beob­ach­tet hatte, wie er ver­gnügt im Gar­ten bud­delte, ohne zu wis­sen, dass er dabei anschei­nend seine Mut­ter aus­ge­gra­ben hatte.
Ich war mir so sicher, dass ich sie tief genug ver­gra­ben hatte und sie nicht mehr auf­tau­chen würde. Unter der Hecke durfte er sowieso nicht bud­deln. Ich ver­fluchte mich, dass ich Ole nicht öfter zuge­guckt hatte und riss den Jun­gen, die inzwi­schen wie Affen hin und her hüpf­ten, die Kno­chen aus den Hän­den. Wütend brüll­ten sie mich an. Ich brüllte zurück. Eine typi­sche Panik­re­ak­tion, wie Google mir spä­ter mit­teilte. Ich schnappte mir die Kis­ten und lud sie ins Auto. Ole guckte mit offe­nem Mund zu. Mit dem Ver­spre­chen, ihm jetzt ein Eis zu kau­fen, schaffte ich es, ihn eben­falls in den Wagen zu bug­sie­ren und nach ein paar Minu­ten waren wir bereits auf dem Weg.
Ich bemerkte erst jetzt, wie ich schwitzte. Unter mei­nen Armen hatte sich eine Pfütze gebil­det und meine Kra­watte hing schief. Der Gedanke, dass Ole die ganze Zeit unbe­wusst mit sei­ner Mut­ter gespielt hatte, machte mich den­noch glücklich.
Meine Frau hatte mich ver­las­sen wol­len, obwohl sie genau gewusst hatte, dass ich nicht alleine sein konnte. Das hatte mein Psych­ia­ter bestä­tigt. Also hatte ich eine Lösung gefun­den, wie sie immer bei mir blei­ben würde. Wohl behü­tet unter der Buchs­baum­he­cke, die ich immer gepflegt habe und pfle­gen werde. Ich habe mir vor­ge­stellt, dass die Wur­zeln etwas von ihr mit dem Was­ser auf­sau­gen wür­den. Die Gar­ten­zwerge haben ihr und mir Gesell­schaft geleis­tet. Manch­mal haben sie sogar mit mir geredet.
Die Fens­ter sind immer sau­ber, weil ich stän­dig vor mei­nem geis­ti­gen Auge die Blut­sprit­zer an ihnen sehe und folg­lich den Zwang ver­spüre sie zu put­zen. Ich kann näm­lich kein Blut sehen. Mein gelieb­ter Sohn Ole wird mich auch nie ver­las­sen. Ich küm­mere mich gerne um ihn. Schließ­lich ist er auf mich angewiesen.

Dafür habe ich gesorgt, als ich ihn als Baby immer wie­der unter­ge­taucht habe, bis er einen Hirn­scha­den erlitt.

Text: Bücher­städ­te­rin Lena
Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

Ein Fund aus der Todes­stadt.

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