Veronika beschließt zu sterben

by Zeichensetzerin Alexa

„Ein jeder von uns lebt in sei­ner eige­nen Welt. Doch wenn du in den gestirn­ten Him­mel blickst, dann siehst du, daß all diese ver­schie­de­nen Wel­ten sich zu Kon­stel­la­tio­nen, Son­nen­sys­te­men, Gala­xien ver­bin­den.“ (S. 174)

Cover © Dio­ge­nes

„Vero­nika beschließt zu ster­ben“ (Ori­gi­nal­ti­tel auf Por­tu­gie­sisch: Vero­nika decide mor­rer) ist ein Roman des bra­si­lia­ni­schen Schrift­stel­lers Paulo Coelho, erschie­nen 2000 im Dio­ge­nes Ver­lag. Die Ver­fil­mung kam 2010 in die deut­schen Kinos, unter der Regie von Emily Young und mit Sarah Michelle Gel­lar in der Haupt­rolle. Der Roman diente außer­dem als Vor­lage für ein Thea­ter­stück und als Inspi­ra­tion für das Lied „Saint Vero­nika“ der kana­di­schen Rock­band Billy Talent. Neben all die­ser Begeis­te­rung für die Geschichte um Vero­nika wurde der Roman für den Inter­na­tio­nal IMPAC Dub­lin Literary Award nominiert.

Prot­ago­nis­tin des Buches ist – wie der Titel schon ver­mu­ten lässt – Vero­nika, eine 24-jäh­rige junge Frau, die Selbst­mord bege­hen will. Dabei merkt man bereits zu Beginn der Geschichte, dass ihr eigent­lich nichts fehlt. Unter­stützt wird die­ser Ein­druck noch vom locker hei­te­ren Schreib­stil des Autors, sodass man sich fragt, ob der Autor seine Prot­ago­nis­tin über­haupt selbst ernst nimmt.

„Am 11. Novem­ber 1997 ent­schied Vero­nika, jetzt sei es – end­lich – an der Zeit, sich das Leben zu neh­men.“ (S. 7) Für die­ses Vor­ha­ben mie­tet Vero­nika ein Zim­mer in einem Klos­ter. Auf dem Nacht­tisch hat sie vier Schach­teln mit Schlaf­ta­blet­ten bereit gestellt. Eine nach der ande­ren nimmt sie nun zu sich. Wäh­rend sie daliegt und auf den Tod war­tet, blät­tert sie in dem fran­zö­si­schen Män­ner­ma­ga­zin „Homme“. Da stößt sie auf einen Arti­kel von Paulo Coelho und den Kom­men­tar: „Wo liegt Slo­we­nien?“ Vero­nika beginnt sich zu ärgern, da sie das Gefühl hat, kei­ner wüsste, wo ihr Hei­mat­land Slo­we­nien liegt. Sie beschließt, vor ihrem Tod noch einen Leser­brief zu schrei­ben. Wäh­rend sie daliegt, nach­denkt und schreibt, beginnt sie an ihrem Selbst­mord­ver­such zu zwei­feln. Doch dann begin­nen die Schlaf­ta­blet­ten auch schon zu wirken…

Als Vero­nika wie­der auf­wacht, befin­det sie sich im Irren­haus „Vil­lete“, wo sie erfährt, dass ihr Selbst­mord­ver­such zwar geschei­tert ist, ihr Herz jedoch so sehr davon belas­tet, dass sie nur noch wenige Tage zu leben hat. Auch wenn Vero­nika es erst nicht zugibt, im Grunde hat sie gehofft, dass sie von den Schlaf­ta­blet­ten nicht stirbt. Jetzt jedoch, wo ihr Todes­da­tum fest­steht, bekommt sie es mit der Angst zu tun: „In der Nacht bekam sie jedoch Angst. Ein schnel­ler Tablet­ten­tod war eines, etwas ande­res war es, fünf Tage, eine Woche lang auf den Tod zu war­ten, nach­dem man schon alles gelebt hatte, was mög­lich war.“ (S. 37)

Aber ist es wirk­lich so? Hat Vero­nika schon alles gelebt und erlebt? Sie beginnt sich im Irren­haus umzu­se­hen, lernt einige Pati­en­ten ken­nen und will doch keine Bezie­hun­gen auf­bauen, da sie weiß, dass sie sowieso bald ster­ben wird. Aller­dings klingt das alles ein­fa­cher, als es ist. Denn Vero­nika beginnt, alles zu hin­ter­fra­gen und zum ers­ten Mal in ihrem Leben wirk­lich zu leben. Doch was macht man in den letz­ten Tagen sei­nes Lebens? Plötz­lich fal­len Vero­nika Dinge ein, die sie unbe­dingt noch erle­ben will…

Paulo Coelho schafft es, den Leser bis zur letz­ten Seite zu fes­seln. Allein die Frage, wie die Geschichte um Vero­nika endet, lässt einen immer wei­ter lesen. Man begibt sich mit ihr auf die Suche nach sich selbst, nach dem wah­ren Kern des Lebens und stößt dabei auf Gedan­ken­gänge, die alles zuvor Gedachte umzu­wer­fen schei­nen. Da ist die besorgte Mut­ter, die glaubt, Schuld am Selbst­mord­ver­such ihrer Toch­ter zu sein, und Dr. Igor ver­si­chert ihr, dass sie gar nichts dafür kann. Statt­des­sen fragt er sie: „Haben Sie sich schon ein­mal vor­ge­stellt, wie es wäre, wenn wir nicht gezwun­gen wären, jeden Tag in unse­rem Leben das­selbe zu tun? Wenn wir bei­spiels­weise beschlie­ßen wür­den, nur dann zu essen, wenn wir Hun­ger haben, wie dann die Haus­frauen und die Restau­rants damit zurecht­kä­men?“ (S. 87)

Coelho schreibt über Rea­li­tät und Wunsch­den­ken, über Nor­mal­sein und Ver­rückt­heit. Sind die Ver­rück­ten die Ver­rück­ten oder die Men­schen außer­halb des Irren­hau­ses? Was ist über­haupt Rea­li­tät? Kön­nen Wün­sche wahr wer­den? Vero­nika wusste bereits als Kind, dass sie Pia­nis­tin wer­den wollte. Sie hatte Talent, wollte ihr Hobby zum Beruf machen, doch die Mut­ter erklärte ihr: „Nie­mand lebt nur vom Kla­vier­spie­len, mein Herz. (…) Stu­diere Jura. Rechts­an­wäl­tin, das ist ein Beruf mit Zukunft.“ (S. 102) Tat­säch­lich gab Vero­nika ihren Traum auf. Eine beschrie­bene Situa­tion, die doch stark an die Rea­li­tät erin­nert: zu wenig wer­den Kul­tur und Bil­dung geför­dert. Man sieht es allein schon an vie­len Unis und Hoch­schu­len: es man­gelt an Geld für Kunst­ma­te­ria­lien und Musik­in­stru­mente. Das Geld wird lie­ber in Tech­no­lo­gie und Wirt­schaft inves­tiert. Etwas, das „mehr bringt“, mit dem man mehr Geld ein­neh­men kann. Kein Wun­der, wenn Eltern ihren Kin­dern sagen: „Stu­diere Jura. Rechts­an­wäl­tin, das ist ein Beruf mit Zukunft.“ Und dabei rückt Kul­tur immer mehr in den Hintergrund.

Die Ver­rück­ten im Irren­haus kön­nen in der „nor­ma­len“ Rea­li­tät nicht leben, wol­len sich nicht anpas­sen, son­dern ein­fach sie selbst sein. Vero­nika begreift im Laufe der Geschichte, dass die Ver­rück­ten eigent­lich gar keine Ver­rück­ten sind. Sie leben ein­fach abge­trennt von ande­ren, nach ihren eige­nen Regeln. „Im Grunde liegt die Schuld an allem, was in unse­rem Leben geschieht, bei uns. Viele Men­schen haben die glei­chen Schwie­rig­kei­ten durch­ge­macht wie wir, doch sie haben anders reagiert. Wir haben den ein­fachs­ten Weg gewählt: die abge­trennte Rea­li­tät.“ (S. 163)

„Vero­nika beschließt zu ster­ben“ ist ein wun­der­vol­ler Roman über das Leben und die Suche nach sich selbst. Man schließt das Buch und beginnt die Welt mit ande­ren Augen zu sehen. Man wünscht sich: „Ach, könn­ten doch alle Men­schen ihre innere Ver­rückt­heit ken­nen­ler­nen und mit ihr leben!“ (S. 145)

Alexa

Titel: Vero­nika beschließt zu sterben
Autor: Paulo Coelho
Ver­lag: Diogenes
Erschei­nungs­jahr: 2000

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3 comments

queenofnerds 9. April 2014 - 13:39

Klingt super! wird meine nächste Anschaffung 🙂

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Bücherphilosophin 12. April 2014 - 18:22

Mir ging es ebenso, als ich das Buch gele­sen habe. Ich hab von ande­ren Lesern gehört, dass es zu kit­schig ist, aber ich konnte davon nichts fest­stel­len. Ich finde die lebens­be­ja­hende Aus­sage des Roman ein­fach wun­der­voll. Danke, dass ihr mir das Buch mit eurer Rezen­sion in Erin­ne­rung geru­fen habt.
Liebe Grüße,
Katarina 🙂

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(Die Sonntagsleserin) KW #15 – April 2014 | Bücherphilosophin. 13. April 2014 - 8:00

[…] Coel­hos “Vero­nika beschließt zu ster­ben” ist laut dem Bücher­stadt Kurier “ein wun­der­vol­ler Roman über das Leben und die Suche nach sich selbst.” So habe ich es […]

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