Von adeligen Ratten, Irrlichtern und einem kleinen Waisenmädchen

by Bücherstädterin Kathrin

„Die Welt ist gie­rig, und manch­mal ver­schlingt sie kleine Kin­der mit Haut und Haa­ren...“ Das muss auch die kleine Emily Laing erfah­ren, die in einem nicht gerade ver­trau­ens­wür­di­gen Wai­sen­haus in Rother­hi­the in Lon­don auf­wächst: Kin­der wer­den von einer unheim­li­chen Dame mit­ge­nom­men; wenn sie zurück­keh­ren, sind sie nicht mehr die­sel­ben. Die Beto­nung liegt hier­bei auf wenn – denn man­che von ihnen wer­den nie wie­der gese­hen. – Von Bücher­städ­te­rin Kathrin

Eines Tages wird die zwölf­jäh­rige Emily von einer spre­chen­den Ratte namens Lord Hie­ro­ny­mus Brews­ter gebe­ten, ein Auge auf das neu­an­ge­kom­mene Wai­sen­mäd­chen Mara zu haben. Als diese dann von einem Wer­wolf ent­führt wird, beginnt eine span­nende Jagd durch die „Stadt der Schorn­steine“ – oder eher unter die­ser, denn Lon­don birgt ein Geheim­nis: Eine Stadt unter der Stadt, die die uralte Metro­pole genannt wird. Zusam­men mit dem Alchi­mis­ten Mor­ti­mer Witt­gen­stein, dem Elfen Mau­rice Mick­le­white und ihrer bes­ten Freun­din Aurora macht sich Emily auf die Suche nach dem ver­schwun­de­nen Mäd­chen. Auch das dunkle Geheim­nis um Emi­lys Her­kunft kann dabei gelüf­tet werden.

Nicht mehr aus der Hand zu legen

„Lyci­das“ ist der erste Teil einer Tri­lo­gie, in der Chris­toph Marzi aller­lei phan­tas­ti­sche Wesen kre­iert, Legen­den und Mythen neu ver­webt, und auch vor rea­len his­to­ri­schen Ereig­nis­sen kei­nen Halt macht. So erfah­ren wir unter ande­rem auch, was es mit Jack the Rip­per wirk­lich auf sich hatte. Der ver­schro­bene, aber lie­bens­werte Witt­gen­stein fun­giert hier­bei als Erzäh­ler und berich­tet auf seine ihm ganz eigene char­mante, aber auch mär­chen­hafte Art und Weise, die mich trotz der doch recht düs­te­ren Geschichte auch immer wie­der hat schmun­zeln las­sen. Der wun­der-voll andere Schreib­stil Mar­zis lädt zum Träu­men ein und ent­wi­ckelt einen Sog, durch den ich das Buch nicht wie­der aus der Hand legen konnte. „Nur noch ein Kapi­tel“ war dabei meine Devise, die so gar nicht funktionierte…

Abge­schrie­ben?

Den Vor­wurf des ‚Abschrei­bens‘, der an eini­gen Stel­len von man­chen Kri­ti­ker­stim­men bemän­gelt wird, kann ich ganz und gar nicht nach­voll­zie­hen. Auch wenn Marzi sich bei man­chen Geschichts­strän­gen (z.B. von Charles Dickens, der zu sei­nen Lieb­lings­au­toren zählt) hat inspi­rie­ren las­sen, ent­wirft der Autor eine eigene phan­tas­ti­sche, neue Welt, in der Engel als Stra­ßen­mu­si­ker am Oxford Cir­cus auf­tre­ten, Irr­lich­ter als Pfad­fin­der arbei­ten und Rat­ten einem Adels­ge­schlecht ange­hö­ren. Durch zahl­rei­che lite­ra­ri­sche Ver­weise trifft man auf ‚alte Bekannte‘, die man eigent­lich zu ken­nen glaubt, und den­noch ist nichts, wie es scheint, und so bleibt es bis zum Ende span­nend. Mit Abschrei­ben oder der Unfä­hig­keit zu eige­nen Ideen hat dies rein gar nichts zu tun. Wel­cher lite­ra­ri­sche Text ist heute schon noch frei von inter­tex­tu­el­len Ver­wei­sen? Diese Ver­weise sehe ich als eine Wert­schät­zung an Mar­zis Lieb­lings­au­toren, die alten Figu­ren neues Leben ein­haucht und sie in einen ande­ren, und vor allem neuen, Kon­text setzt.

Mir hat Lyci­das sehr gut gefal­len. Es gehört nun zu mei­nen abso­lu­ten Lieb­lings­bü­chern, des­we­gen gibt es für die­ses Buch auch eine klare Lese­emp­feh­lung für alle, die für Fan­tasy, Mär­chen und Kri­mis bren­nen – Ihr soll­tet Emily, Witt­gen­stein und Co. unbe­dingt auf die Reise durch die uralte Metro­pole beglei­ten. Ob ich mir schon die wei­te­ren Bände zuge­legt habe? – „Fra­gen Sie nicht.“

Lyci­das – Die Uralte Metro­pole. Chris­toph Marzi. Heyne. 2011.

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