Von allem genug

by Worteweberin Annika

Ihr Leben lang hat Doris Alm die Men­schen, die eine Rolle in ihrem Leben gespielt haben, in ein rotes Adress­buch ein­ge­tra­gen. Nun, wo sie alt ist, blickt sie auf alles zurück. Ihre Lebens­ge­schichte hat sich Worte­we­be­rin Annika im Hör­buch „Das rote Adress­buch“ vor­le­sen lassen.

Fast ein­hun­dert Jahre ist Doris alt, als sie in ihrer Woh­nung in der Stock­hol­mer Bas­t­u­gata stürzt und ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wird. Sie kämpft dafür, dass es wei­ter­ge­hen kann mit ihr, doch bald wird klar, dass es mit Doris‘ Leben zu Ende geht. Ein Leben, das im Stock­holm der 20er Jahre begann und das bald auf den Kopf gestellt wurde, als Doris‘ Vater starb. Statt zur Schule zu gehen, musste sie sich von der rest­li­chen Fami­lie ver­ab­schie­den und als Dienst­mäd­chen arbei­ten. Zum Abschied gab ihre Mut­ter Doris Worte mit auf den Weg, die sie ihr Leben lang begleiten:

„Ich wün­sche dir von allem genug. Genug Sonne, die Licht in deine Tage bringt, genug Regen, damit du die Sonne schät­zen kannst, genug Glück, das deine Seele stärkt, genug Schmerz, damit du auch die klei­nen Freu­den des Lebens genie­ßen kannst, und genug Begeg­nun­gen, damit du die Abschiede bes­ser verkraftest.“

Wei­tere Sta­tio­nen für Doris sind das Paris der 1930er, in dem sie eine Kar­riere als Man­ne­quin erlebt. Dann New York, wie­der Frank­reich, schließ­lich geht es zurück nach Stock­holm. Ein Leben vol­ler Abschiede – hin­ter fast allen Namen in Doris‘ Adress­buch fin­det sich der Ver­merk „tot“.

„Hast du genug geliebt?“

Pas­sa­gen, in denen Doris‘ Gegen­wart im Alter und spä­ter auch die ihrer Groß­nichte Jenny erzählt wird, wech­seln sich mit Doris‘ Ver­gan­gen­heit ab, die sie für Jenny anhand ihres Adress­buchs auf­schreibt. Mit den Zeit­ebe­nen wech­seln sich auch die bei­den Spre­che­rin­nen ab. Wäh­rend die reife Stimme von Beate Him­mel­stoß der Gegen­wart gehört, leiht Susanne Schroe­der der jun­gen Doris der Erin­ne­rung die ihre. Beim Zuhö­ren las­sen sich die Ebe­nen so stets leicht unterscheiden.

„Das rote Adress­buch“ erzählt von ver­pass­ten Gele­gen­hei­ten, der gro­ßen (auch ver­pass­ten) Liebe, dem har­ten All­tag und endet mit der Frage „Hast du genug geliebt?“. Es ist eine emo­tio­nale Geschichte und eine, die dazu ver­an­lasst, sein eige­nes Leben zu über­den­ken. Woran möch­ten wir uns erin­nern, kurz bevor wir ster­ben? Was ist uns wirk­lich wich­tig, und was ist es eigent­lich nicht? Wer bereit ist, sich auf eine emo­tio­nale Reise in Doris‘ Ver­gan­gen­heit und das eigene Selbst ein­zu­las­sen, ist mit „Das rote Adress­buch“ gut bedient.

Ein Vor­bild

Die Idee zu Doris‘ Geschichte kam Sofia Lundberg, als sie das Adress­buch der Schwes­ter ihres Opas fand, in dem eben­falls alle ver­stor­be­nen Weg­ge­fähr­ten durch­ge­stri­chen waren. Sofia Lundberg lebt mit ihrer Fami­lie in Stock­holm. „Das rote Adress­buch“ war ihr Debüt­ro­man, auf den 2018 „Ett frå­gete­cken är ett halvt hjärta“ (dt. „Ein Fra­ge­zei­chen ist ein hal­bes Herz“) folgte, das im Gold­mann Ver­lag für 2020 als „Ein hal­bes Herz“ ange­kün­digt ist.

Das rote Adress­buch. Sofia Lundberg. Aus dem Schwe­di­schen von Kers­tin Schöps. Gele­sen von Beate Him­mel­stoß und Susanne Schroe­der. Lauf­zeit 442 Minu­ten. Der Hör­ver­lag. 2018.

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