Von der Hybris des Anzugträgers

by Worteweberin Annika

„Die Fabel von Fausto“ von Oli­ver Jef­fers wurde von der Stif­tung Buch­kunst als eines der 25 schöns­ten deut­schen Bücher 2020 aus­ge­zeich­net. Worte­we­be­rin Annika war neu­gie­rig, was das Bil­der­buch noch zu bie­ten hat.

Es ist eine Fabel von der Hybris des Anzug­trä­gers, vom Haben­wol­len, vom Immer­mehr, die Oli­ver Jef­fers erzählt. Fausto geht durch die Welt und möchte alle Dinge, die er sieht, besit­zen. „Du gehörst mir“, sagt Fausto. Eine Blume, ein Schaf, ein Baum – diese drei las­sen sich nicht zwei­mal bit­ten. Den Berg kann Fausto nur schwer über­zeu­gen, doch den größ­ten Wider­stand leis­tet das Meer.

Dass Fausto letzt­end­lich schei­tern und ein schlim­mes Ende neh­men muss, steht außer Frage. Die Welt, noch dazu die Natur, gehört nie­man­dem – schon gar nicht einem Fausto, der mit Nadel­strei­fen­an­zug und Kra­watte daher­kommt und sie nicht versteht.

Oli­ver Jef­fers erzählt diese Geschichte in ein­fa­chen Sät­zen, die in gro­ßer Schrift gesetzt sind und sich oft über meh­rere Sei­ten erstre­cken. Auf eini­gen Sei­ten steht so nur ein ein­zi­ges Wort, das ganz für sich wir­ken kann. Zusam­men mit den redu­zier­ten Illus­tra­tio­nen bleibt viel Weiß auf den Sei­ten; ein gewich­ti­ges Weiß, das uns beim Lesen über Fausto und die Welt nach­den­ken lässt: Was braucht man wirk­lich im Leben und wel­che Rolle spielt Besitz? Kann man einen See oder einen Berg über­haupt besit­zen? Fra­gen, die in unse­rer heu­ti­gen Welt viel öfter gestellt wer­den soll­ten. Ertap­pen wir uns nicht alle ab und zu bei dem Gedan­ken, unbe­dingt etwas besit­zen zu wol­len, das wir eigent­lich gar nicht brau­chen? Meis­tens sind das wohl keine Schafe, Berge oder gar das Meer, doch in sei­ner Fabel führt Jef­fers uns allen den eige­nen inne­ren Fausto vor Gesicht.

Unter­stri­chen wird die Geschichte durch eine wir­kungs­volle Farb­sym­bo­lik. Die Illus­tra­tio­nen sind Ton in Ton gestal­tet, erst in Sepia­braun, spä­ter auf dem Meer dann in Blau­tö­nen. Nur Faustos Wut und die Dinge, die er sich aneig­net, wer­den in Neon­rot dar­ge­stellt. Auch die rest­li­che Gestal­tung hat die Aus­zeich­nung von der Stif­tung Buch­kunst red­lich ver­dient. Das mar­mo­rierte Vor­satz­pa­pier wirkt edel, das dicke Papier der Sei­ten passt zu den gewich­ti­gen Sät­zen. So blät­tert man gerne durch die­ses Buch.

Vom Ver­lag wird das Bil­der­buch ab 5 Jah­ren emp­foh­len und ab die­sem Alter kann man sicher­lich gut mit Kin­dern über die Geschichte und das Haben­wol­len ins Gespräch kom­men. Doch Fausto geht beson­ders auch uns Erwach­sene an, uns Anzug­trä­ge­rIn­nen, die nicht genug bekom­men kön­nen. Schließ­lich ist es viel schö­ner, im Meer zu schwim­men, als es zu besitzen.

Die Fabel von Fausto. Oli­ver Jef­fers. Aus dem Eng­li­schen von Anna Schaub. Nord­Süd Ver­lag. 2020.

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