Von der Mid-study-crisis zur Märchenstunde

by Bücherstadt Kurier

Märchenstunde

„Fairy tales only end well. While the story is going on, hor­ri­ble things happen.“
Lau­rell K. Hamil­ton, „Swal­lowing Darkness“

Der­zeit stelle ich mir gerne vor, mein Leben sei ein Mär­chen. Denn das würde bedeu­ten, dass alles gut wer­den wird – das Gute siegt, das Böse ver­liert, und jeder bekommt, was er verdient.
Also, es war ein­mal... eine Geschichte. Meine Geschichte. Es ist nicht von Bedeu­tung, wo genau diese Geschichte spielt, wie sie anfing, wann sie spielt. Wich­tig ist nur, dass ich mich bereits mit­ten­drin befinde.

Ich befinde mich mit­ten­drin im Aben­teuer, auf dem Weg, durch den Zau­ber­wald. Und es scheint ein recht gro­ßer, ja regel­recht rie­si­ger Zau­ber­wald zu sein – immer­hin bin ich schon ganz schön lang unterwegs.
Der Teil des Wal­des, in dem ich mich gerade befinde, ist alt, sehr alt. Er ist an vie­len Stel­len ziem­lich dicht, sodass kaum Licht durch die Baum­kro­nen dringt. Das macht es oft ziem­lich kalt hier, nass und unge­müt­lich, und auch Nebel ist keine Seltenheit.
Es ist ein mys­ti­scher Ort, doch es ist eine ver­steckte, ver­bor­gene Mys­tik. Mein Gefühl sagt mir, dass da etwas ist, aber es ist nicht greif­bar, nicht kon­kret. Ab und zu kommt es mir so vor, als hörte ich Stim­men, Bäume oder sons­tige Wald­be­woh­ner, die säu­seln und flüs­tern, ein lei­ser Sing­sang – mal ganz nah an mei­nem Ohr, mal in uner­reich­ba­rer Ferne. Immer, wenn ich mich nach dem Geräusch umdrehe, mich ihm zuwende, ist da nie­mand. Doch nur weil ich nichts sehe, heißt das nicht, dass da nichts ist, oder?
Manch­mal kommt es mir so vor, als woll­ten diese Stim­men mich in eine bestimmte Rich­tung locken; ein­mal hier­hin, ein­mal dort­hin. Beson­ders an Weg­ga­be­lun­gen fühle ich mich dann meist hin- und her­ge­ris­sen. Als ob unsicht­bare Kräfte ihre Hände nach mir aus­streck­ten und mich in ver­schie­dene Rich­tun­gen zögen. Ein nicht beson­ders ange­neh­mes Gefühl. Allzu leicht ver­liere ich dabei mei­nen „küh­len Kopf“. Und meine so fest geglaub­ten Ent­schlüsse, nicht mehr auf die Stim­men zu hören oder ein­fach ein­mal rechts und beim nächs­ten Mal dann links zu gehen, wer­den vom Wind ein­fach fort­ge­pus­tet. Kein Wun­der, dass das so viel Zeit in Anspruch nimmt.

Immer­hin habe ich mitt­ler­weile her­aus­ge­fun­den, dass die­ser Teil des Weges, auf dem ich mich gerade befinde, ein Ort der Prü­fung ist. Wie ein Laby­rinth, aus dem man her­aus­fin­den soll. Und ich ahne, dass ich hier nicht her­aus­komme, bevor ich die Prü­fung, den Test nicht bestan­den, bevor ich die Lek­tion nicht gelernt habe. So funk­tio­niert das doch in Mär­chen, ist es nicht so?
Aber jetzt, wo ich schon ein­mal hier bin, ist das auch egal. Soll hei­ßen: So lang­sam habe ich mich damit abge­fun­den. Immer­hin bin ich jetzt schon mit­ten­drin und kann nicht zurück. Also habe ich ein­ge­se­hen, dass es nichts bringt, die Situa­tion zu leug­nen, es bringt nichts, sich die Dinge schö­ner zu reden, als sie tat­säch­lich sind, es bringt nichts, sich selbst zu täu­schen, sich etwas vor­zu­ma­chen. Es ist, wie es ist und nicht anders. Und das ist der erste Schritt in die „rich­tige“ Rich­tung: zu akzep­tie­ren, ich wel­cher Situa­tion ich mich gerade befinde, zu akzep­tie­ren, wer ich gerade bin, wie ich denke, wie ich fühle. Selbst­wahr­neh­mung spielt für mich eine wesent­li­che Rolle auf die­sem Pfad der Prü­fun­gen. Und irgend­wie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich genau des­we­gen hier bin – ich befinde mich auf dem Weg zu mir selbst, auf dem Weg zu mei­nem Leben.

Auch recht. Wenn das mein Aben­teuer sein soll, dann her damit. Ich habe das Gefühl, dass der Weg zwar noch nicht vor­bei ist, aber ein gro­ßer Teil die­ses ein­sa­men, oft schau­ri­gen Wald­be­reichs bereits hin­ter mir liegt. Es wird lang­sam wie­der wär­mer und hel­ler und ich höre wie­der ein­zelne Vögel zwit­schern. Hie und da blüht eine ein­same Blume am Weges­rand und duf­tet mir Mut zu. Abge­knab­berte Tan­nen­zap­fen von Eich­hörn­chen zei­gen mir eben­falls, dass ich mich in die rich­tige Rich­tung bewege. Und erst ges­tern glaubte ich, Huf­ab­drü­cke eines statt­li­chen Hir­sches oder eines Ein­horns gese­hen zu haben.

Der­zeit stelle ich mir gerne vor, mein Leben sei ein Mär­chen. Und gott­sei­dank gibt es diese Momente, in denen ich tief in mir drin davon über­zeugt sein kann, dass auch ich irgend­wann das Haus der Guten Fee, das magi­sche Schloss oder die Höhle des Zau­be­rers errei­chen werde. Auch ich kann glück­lich und zufrie­den leben, bis ans Ende mei­ner Tage.

Sil­via

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