Was geschah auf dem Dach der Welt?

by Bücherstadt Kurier

Sim­mons legt mit „Der Berg“ ein span­nend erzähl­tes Aben­teuer vor, das ein wenig Anlauf braucht. Hat man die­sen aber über­stan­den, mag man den Roman nicht mehr aus der Hand legen. - Von Bücher­horte­rin Clau­dia

Der sich im Hima­la­ya­ge­birge befind­li­che Mount Ever­est gilt mit sei­nen 8848 Metern als der höchste Berg der Welt. Die Bestei­gungs­ge­schichte die­ses soge­nann­ten Qomo­langma beginnt in den 1920er Jah­ren. Nach­dem der Dalai Lama 1921 der Royal Geo­gra­phi­cal Society erst­mals die Geneh­mi­gung zur Bestei­gung des Ber­ges aus­ge­spro­chen hatte, finan­zierte diese meh­rere Expe­di­tio­nen mit dem Ziel der Erst­be­stei­gung des Berges.

Jedoch blieb jah­re­lange kon­kur­rie­ren­den ambi­tio­nier­ten Berg­stei­gern Jahr­zehn­te­lang ver­wehrt, was schließ­lich 1953 erst­mals einer Expe­di­tion unter dem Bri­ten John Hunt gelang. Der Tri­umph, das Dach der Welt vor allen ande­ren Natio­nen betre­ten zu haben, ging an die Briten.
Zu den geschei­ter­ten Vor­gän­gern gehö­ren George Mal­l­ory und Andrew Irvine, die 1924 von ihrem Bestei­gungs­ver­such nicht zurück­kehr­ten. Um den Expe­di­ti­ons­ver­lauf ihres Vor­ha­bens dre­hen sich einige Spe­ku­la­tio­nen, denn es ist unklar, ob die bei­den nicht doch den Gip­fel erreicht haben könnten.

Um diese his­to­ri­schen Ereig­nisse spinnt Dan Sim­mons sei­nen erst­mals 2014 vom Heyne Ver­lag in deut­scher Spra­che ver­leg­ten Roman „Der Berg“. Bevor es aber wirk­lich um besag­ten Berg geht, führt Sim­mons zunächst auf geschickte Weise sei­nen Prot­ago­nis­ten ein. Der Leser wird im die Ursprünge des Romans erläu­tern­den Pro­log über Sim­mons‘ Begeg­nung mit dem Neun­und­acht­zig­jäh­ri­gen krebs­kran­ken Jacob Perry unter­rich­tet. Im Rah­men sei­ner Recher­chen inter­viewt Sim­mons Perry bezüg­lich sei­ner Berg­stei­ger­kar­riere. Mit dem Hin­weis, er habe das eigent­li­che Aben­teuer Per­rys erst durch des­sen Hin­ter­las­sen­schaft in Form von dicht beschrie­be­nen Notiz­hef­ten erfah­ren, zieht Sim­mons den Leser in sei­nen Bann. Auf den fol­gen­den über 700 Sei­ten gibt Sim­mons Per­rys Noti­zen in nahezu unver­än­der­ter Form wieder.

Ver­schwun­den auf dem Berg

Perry, ein jun­ger Frei­klet­te­rer und seine Freunde, der „Dia­kon“ Richard Davis Deacon und „J.-C.“ Jean-Claude Clai­roux, befin­den sich gerade auf einer Klet­ter­tour auf dem Mat­ter­horn, als sie vom Ver­schwin­den George Mal­l­o­rys und Andrew Irwi­nes auf dem Mount Ever­est erfah­ren. Als erfah­re­ner Berg­stei­ger­kol­lege und Bekann­ter der bei­den Män­ner kann Deacon nicht fas­sen, dass die bei­den, wie in der Zei­tung ver­brei­tet wird, abge­stürzt und gestor­ben sein sol­len. Er wird es sein, der die nach eini­gen Nach­for­schun­gen, die die Freunde sogar bis nach Deutsch­land füh­ren wer­den, im nächs­ten Jahr fol­gende, geheime Expe­di­tion zum Mount Ever­est anführt. Beglei­tet von Perry und J.-C. sol­len nur wenige Sher­pas, tibe­ti­sche Las­ten­trä­ger betei­ligt wer­den – zu dritt wol­len sie sich dem Berg stel­len, um hin­ter die Ursa­che des Ver­schwin­dens der bei­den Män­ner zu kom­men und die Erst­be­stei­gung für sich zu reser­vie­ren. Zunächst gilt es aber, eine finan­zi­elle Unter­stüt­zung der Expe­di­tion zu organisieren.
In der Mut­ter des Adli­gen Percy Brom­ley, der zur sel­ben Zeit auf dem Berg ver­schwun­den ist und sich der geschei­ter­ten Expe­di­tion zeit­weise ange­schlos­sen hatte, fin­den die drei ihren Gön­ner. Unter der Bedin­gung, ihren Ver­wand­ten Reg­gie Brom­ley-Mon­fort mit auf den Berg zu neh­men und nach ihrem Sohn zu suchen, stellt die alternde Adlige den Män­nern finan­zi­elle Mit­tel zur Verfügung.

Aben­teuer mit lan­gem Anlauf

Sim­mons erzählt die Geschichte packend und ver­webt his­to­ri­sche Ereig­nisse gekonnt mit fik­tio­na­len Ele­men­ten. Aller­dings muss man sich auf den Erzähl­ver­lauf auch ein­las­sen, denn zunächst wer­den zahl­rei­che wich­tige, tat­säch­lich exis­tente Per­sön­lich­kei­ten der Berg­stei­ger­ge­schichte und ihre Expe­di­tio­nen erwähnt. Ebenso fin­den spe­zi­elle Metho­den und Werk­zeuge des Berg­stei­gens ihren Platz. Er lässt Perry in eini­gen wie Ein­zel­epi­so­den anmu­ten­den Abschnit­ten von den vor­her­ge­gan­ge­nen Unter­su­chun­gen bezüg­lich des Ver­schwin­dens und Ver­hält­nis­ses von Brom­ley, Mal­l­ory und Irwine erzäh­len – denn kei­ner weiß, was Brom­ley eigent­lich auf dem Berg zu suchen hatte.
Diese Epi­so­den und die Vor­be­rei­tung der eigent­li­chen Expe­di­tion, sowie das Ken­nen­ler­nen von Reg­gie Brom­ley-Mont­fort neh­men einen gro­ßen Teil der Geschichte ein. Bis der Leser die Gruppe tat­säch­lich nach Tibet und auf den Berg beglei­tet, ver­ge­hen einige hun­dert Sei­ten, die sich zwar auch unter­halt­sam lesen las­sen, die Hand­lung aber in die Länge ziehen.

Unter­halt­sa­mer Aben­teu­er­ro­man für kalte Winterabende

Im Hima­la­ya­ge­birge ange­kom­men, lässt einen die Hand­lung aber schwer­lich wie­der los. Trotz even­tu­el­ler Schwie­rig­kei­ten, sich in die Berg­stei­ger­the­ma­tik ein­zu­füh­len, fie­bert man doch schnell mit der um die Per­so­nen Reg­gie und den Arzt Pasang und zahl­rei­che Sher­pas anwach­sen­den Gruppe mit. Geför­dert wird dies nicht zuletzt durch die tage­buch­ar­tige, emo­tio­nal auf­ge­la­dene Erzähl­weise des jun­gen Perry. Auf dem beschwer­li­chen Weg durch Geröll, Eis und Schnee, über unüber­wind­bar schei­nende Spal­ten und tücki­sche Glet­scher nimmt die Geschichte deut­lich an Fahrt und Span­nung auf.
Sim­mons legt mit „Der Berg“ ein span­nend erzähl­tes Aben­teuer vor, das ein wenig Anlauf braucht. Hat man die­sen aber über­stan­den, mag man den Roman nicht mehr aus der Hand legen.

Es sei abschlie­ßend betont, dass der Klap­pen­text des Romans eine bestimmte Rich­tung der Hand­lungs­ent­wick­lung ins Mys­te­riöse andeu­tet. Ohne zu viel vom wei­te­ren Ver­lauf der Geschichte ver­ra­ten zu wol­len sei hier ver­si­chert, dass „Der Berg“ etwas gänz­lich ande­res will und fernab aller Schauer- und Fan­t­asy­li­te­ra­tur als klas­si­scher Aben­teu­er­ro­man mit his­to­ri­schen Ein­schlä­gen funk­tio­niert und auch ver­stan­den wer­den sollte.

Der Berg. Dan Sim­mons. Fried­rich Mader (Über­set­zer). Heyne. 2014.

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Zwischenzeilenverstecker Marco 11. Januar 2016 - 8:51

Ich mag vor allem die his­to­risch ori­en­tier­ten Werke von Dan Sim­mons, wie „Ter­ror“ oder „Drood“. Aller­dings ist auch die­sen Büchern zu eigen, dass sie sehr viel Anlauf­zeit benö­ti­gen, bevor die Geschichte an Fahrt auf­neh­men kann.
Genau das ist der Grund, wes­halb ich bis­her von „Der Berg“ noch Abstand genom­men habe. Momen­tan steht mir nicht der Sinn, nach solch sei­ten­star­ken Werken.
Man muss dazu sagen, dass bspw. „Ter­ror“ oder vor allem „Drood“ zu fes­seln ver­mö­gen, wenn man die erste Hürde genom­men hat.

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